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Nachhaltigkeitsprojekt

Ausleihen statt kaufen

Fanden sofort den Draht zueinander: Debora Alder-Gasser (links) und Prof. Anna Knutti von der BFH. Fotos: Fabian Hofmann

Wer eine Alternative zum heutigen Kleiderkonsum sucht, ist bei TEIL genau richtig. TEIL, so heisst es auf deren Webseite, sei der «grösste Kleiderschrank in Bern» und stehe für Stil und Abwechslung. Ein Gespräch über gute Ideen, Vorurteile und die Lust an der Langsamkeit.

Aufgeräumt und hübsch eingerichtet, fast ein bisschen wie in einem grossen begehbaren Kleiderschrank sieht es aus, an der Marktgasse 46, dort, wo früher die Räume der Migros-Klubschule waren. Debora Alder-Gasser, eine der Gründerinnen von TEIL, empfängt uns zusammen mit ihrem jüngsten Mädchen. Das drei Monate alte Baby gluckst fröhlich. Sicher auf den Armen seiner Mama und zufrieden mit der Welt, scheint das kleine Menschlein zu sein. Und genau dafür setzt sich seine Mutter aktiv ein: Damit die Welt, in welcher ihre Kinder aufwachsen, eine lebenswerte bleibt. 

Nachhaltiger Konsum von Kleidern
«Mein Wunsch war es, nachhaltiger zu konsumieren. Ausserdem stellte ich mir die Frage: Muss ich wirklich alles besitzen? Könnte ich es nicht auch ausleihen?», erklärt Debora Alder-Gasser ihre Motivation. Auf Instagram habe sie die «Kleiderei» aus Köln entdeckt und zusammen mit anderen Familienmitgliedern und einer Kollegin, hätten sie sich ans Werk gemacht, die Idee einer «Bibliothek für Kleider» auch in Bern umzusetzen. «Unsere Vision war, dass Bern noch langsamer und bewusster Kleider konsumieren könnte. Nachhaltigkeit, Abwechslung und Stil sind gleichzeitig möglich, indem wir mehr leihen und weniger besitzen», ist die 39-Jährige Betriebsökonomin überzeugt. TEIL sei nun innerhalb der Nachhaltigkeits-Bubble sehr gut vernetzt, für sie stelle sich momentan eher die Frage, wie sie aus dieser Bubble herauskommen und weitere Menschen ansprechen können.

BFH als Forschungspartnerin
Und da kam die Unterstützung durch die Berner Fachhochschule BFH wie gerufen. «Im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt die BFH solch innovativen Projekte, die einen Bezug zur Region haben», erklärt Prof. Anna Knutti, die sofort von der TEIL-Idee fasziniert gewesen war. «Entdeckt habe ich das Geschäft als passionierter Second-Hand-Fan zunächst als Kundin.» Im Gespräch mit Debora Alder-Gasser zeigte sich, dass Anna Knutti dieses Start-up mit ihrem Wissen unterstützen und damit ihren Beruf und ihre Leidenschaft für nachhaltige Mode verbinden könnte. Sie hat dann das Projekt mit dem Institut Marketing and Global Management  der BFH und zusammen mit Innosuisse lanciert. «Wir führten zunächst Interviews mit Kunden und insbesondere mit solchen, die es nicht mehr waren. Als grosser Pluspunkt wurde immer wieder die Möglichkeit genannt, dass man durchs Ausleihen etwas ausprobieren kann, ohne sich festlegen zu müssen», erzählt Knutti. Hingegen sei vielen der doch eher hohe Zeitaufwand, den man fürs Aussuchen und Ausleihen benötige, zu gross.  «Interessant war für uns auch, dass das Leihsystem Männer offenbar gar nicht anspricht. Sie mögen nicht stöbern, sondern gehen zielgerichtet einkaufen», führt die Professorin weiter aus. Deutlich habe sich auch gezeigt, dass Basic-Teile eher weniger gesucht seien, sich die Leute hingegen vorstellen könnten, ausgefallene Designer-Stücke und insbesondere Partykleider auszuleihen. «Entsprechend haben wir im Verlaufe der Zeit unser Sortiment angepasst und bieten nun deutlich mehr Abendkleider an», bestätigt Debora Alder-Gasser. «Auch achten wir auf eine hohe Qualität der Stoffe und deren Verarbeitung. Billigware nehmen wir nicht.» Die Kundschaft schätze insbesondere, dass sie sich hier Teile ausleihen könne, die sie vielleicht von der Farbe oder vom Stil her nie kaufen würde.

Frisch gewaschen
TEIL funktioniert mit einem Abo-Modell. Man wählt zwischen einem, drei oder sechs Kleidungsstücken, die man pro Besuch ausleihen kann. Wie lange man diese behält, kann man frei entscheiden. Die Preise bewegen sich je nach Abo zwischen 19 und 59 Franken pro Monat, für Studierende gibt es Rabatt. «Das Abomodell und die Preise wurden als sehr gut bewertet», betont Anna Knutti. «Allerdings wurden Bedenken wegen der Hygiene häufig als Hinderungsgrund genannt.» Dazu die TEIL-Mitbegründerin: «Die Stücke müssen vor dem Bringen gewaschen werden und wir behandeln sie ausserdem noch mit heissem Dampf – wer dennoch Zweifel hat, kann das Ausgeliehene vor dem Tragen einfach nochmals waschen», das mache man ja meist auch, wenn man neue Kleider kaufe. 

Weiter Weg
«Die Unterstützung durch die BFH ist für uns extrem hilfreich und wichtig», sagt Debora Alder-Gasser. «Grundsätzlich sind wir demnach auf dem richtigen Weg, auch wenn dieser noch sehr weit ist!» Einzig eine 30-Prozent-Stelle für die Administration könne bezahlt werden, alle anderen Mitarbeitenden täten das ehrenamtlich. Deshalb würde das Konzept auch immer weiterentwickelt und angepasst, inzwischen gibt es nun auch den «Marktplatz», wo man eigene Kleider verkaufen und andere tolle Stücke kaufen kann. «Verhaltens-
änderungen beim Menschen brauchen einfach sehr viel Zeit», erklärt Anna Knutti. Es sei wichtig, den Leuten immer wieder das eigene Verhalten vor Augen zu führen und sie für die ausgeklügelten Marketingtricks beispielsweise grosser Online-Händler zu sensibilisieren. Ihre Studierenden müssten jeweils Video-Tagebücher führen und sähen dann selbst, wie inkonsequent ihr Verhalten trotz all der guten Vorsätze sei. «Über Nachhaltigkeit zu reden ist das eine, selbst nachhaltig zu handeln etwas ganz anderes», weiss die Professorin aus eigener Erfahrung. Wichtig sei, dass Bildung und Forschung ihre richtungsweisende Aufgabe ernst nähmen und zur Transformation der Gesellschaft beitragen würden, so wie sich das auch die BFH zur Aufgabe gemacht habe. 

Berner Nachhaltigkeitspreis 
2022 wurde TEIL mit dem Berner Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet, das sei eine enorme Motivation und Bestätigung für sie alle gewesen, beschreibt Debora Alder-Gasser ihre Gefühle. Überzeugt vom Modell ist auch die Professorin: «Vier Jahre sind für ein Start-up schon eine tolle Leistung und Ausdauer zu haben lohnt sich». Denn ein nachhaltiger Lebensstil brauche generell etwas mehr Zeit und dazu müsse man sich bewusst entscheiden. «Menschen sind Gewohnheitstiere und ändern sich nicht von heute auf morgen. Aber ein Besuch bei TEIL wäre ein Anfang und doch schon mal ein Teil-Erfolg auf diesem Weg!», fügt sie mit einem Augenzwinkern an.

EVENT

«Finde und festige deinen eigenen Stil» by TEIL
Mit Stylistin Petra Staffelbach, Make-up Artist Regina Sofia und Fotografin Lilian Salathé. Inspiration, Styling-Tipps und Neues ausprobieren. Den eigenen Stil finden und festigen: Für einen nachhaltigen, bewussten und langsamen Konsum von Kleidern.

  • Datum und Zeit: 17. September 2024 von 18 – 21 Uhr
  • Ort: TEIL, Marktgasse 46, 3011 Bern
  • Kosten: CHF 49.–
  • Anmeldung: kontakt@teil.style (Anmeldeschluss: 15. September)
  • Mitnehmen: 1 bis 2 eigene Kleidungsstücke, die schwierig zum Stylen sind oder Schminkutensilien, bei denen man unsicher ist, wie sie zu nutzen sind.

Der Event findet im Rahmen der
Berner Nachhaltigkeitstage statt.

BFH-NACHHALTIGKEIT

Nachhaltigkeitswende
Die Berner Fachhochschule BFH will bei der Transformation der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit eine aktive Rolle spielen. Sie engagiert sich deshalb in all ihrem Tun für die Nachhaltigkeitswende. Dazu werden neue Lösungsperspektiven für ein nachhaltiges und damit zukunftsfähiges Handeln aller Akteure unserer Gesellschaft entwickelt.

Ein Beispiel dafür ist der Inno-
vationsscheck. Um die Umsetzbarkeit einer neuartigen Idee zu testen, kann man als KMU oder als andere Organisation, die weniger als 250 Vollzeitstellen aufweist, einen Innovationsscheck (Vorstudie) im Wert von bis zu 15 000 Schweizer Franken bei Innosuisse beantragen.

Mehr Infos auf:
https://www.innosuisse.admin.ch/de/innovationsscheck

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