2025 kommt die Frauenfussball-EM in die Hauptstadt. Co-Projektleiterin Hannah Sutter erklärt, wie gross die Sorge vor Anschlägen ist und warum mit Holland eine Geschichte weitergeschrieben würde.
Hannah Sutter, wie wird man Projektleiterin einer Fussball-EM?
Eine gute Frage (lacht). Nach rund 15 Jahren Berufstätigkeit nahm ich mir Anfang 2023 eine Auszeit und beschloss, auf Reisen zu gehen, und beruflich anschliessend mal etwas komplett anderes zu machen. Zurück in Bern, habe ich mich umgeschaut und festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, aus alten Fahrwassern auszuscheren. Als ich mich auf den Job bewarb, war das Inserat bereits nicht mehr aufgeschaltet, doch die Stelle war noch frei. Zum Glück, denn sie passt perfekt zu mir: Bern, Fussball, Frauenförderung, das ist für mich eine Herzensangelegenheit.
Wie haben Sie sich auf diese Aufgabe vorbereitet?
Eigentlich gar nicht, denn dafür blieb gar keine Zeit (lacht). Ich sprang ins kalte Wasser. Bevor es losging, nahm ich an einem UEFA-Workshop in Muri teil, der ein paar Tage vor dem Start meiner neuen Tätigkeit angesetzt war. Zusammen mit Verantwortlichen der weiteren Schweizer Austragungsorte.
Wie erleben Sie den europäischen Fussballverband UEFA bis jetzt? An der Männer-Euro in Deutschland stand er wegen der Auswahl der Sponsoren und der hohen Ticketpreise in der Kritik.
Ich denke, es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Männer- und dem Frauenfussball: 2025 wird die Frauen-EM zum ersten Mal im Format eines Major-Turniers wie bei den Männern ausgetragen; 2022 in England hatte die Women’s Euro noch den Stellenwert eines Juniorinnen-Turniers. Das bedeutet, dass diesmal deutlich mehr Menschen in das Projekt involviert sind, umgekehrt muss aber auch die Schablone, die auf die Männerturniere passt, auf die Frauen adaptiert werden.
Inwiefern?
Nehmen Sie das Ticketing: Bei den Männern sind die Stadien so oder so gefüllt, bei den Frauen wird das teilweise anders sein. Sprich: Die UEFA wird gemeinsam mit den Austragungsorten den Ticketverkauf aktiv promoten müssen.
Gibt es in Bern, wie bei der EM 2008, wieder bloss das von der UEFA vorgeschriebene Bier?
Als Co-Organisatorin ist es mir enorm wichtig, lokale Sponsoren mit ins Boot zu holen. In Bezug auf das Marketing sah ich in Deutschland Dinge, die mir nicht nur gefallen haben. In Bern planen wir in diesem Zusammenhang, auf dem Bundes- wie auf dem Waisenplatz etwas für die Einheimischen, Gäste und Fans zu organisieren, das zu uns passt. Es soll ein vierwöchiges Sommerfussballfestival mit Public Viewings und einem abwechslungsreichen musikalischen sowie kulturellen Rahmenprogramm mit magischen Momenten für alle geben. Wir hoffen, dass möglichst viele Bernerinnen und Berner ihre Sommerferien im Juli 2025 zuhause verbringen.
Im Wankdorf werden vier Partien ausgetragen. Wie wollen Sie dieses vier Mal füllen?
Ein Spiel der Schweizer Nati findet sicher in Bern statt, das dürfte in Bezug auf das Ticketing unproblematisch sein. Ähnlich sieht es bei einem weiteren Gruppenspiel mit einem bis jetzt unbekannten Spitzenteam aus. Auch beim Viertelfinal sehe ich weniger Probleme. Bei einem weiteren Gruppenmatch ist es hingegen möglich, zwei fussballerisch eher unbekannte Länder zugeteilt zu erhalten. Dann sind 32’000 Tickets natürlich viel. Der Vorverkauf startet bereits am 1. Oktober. England hatte 2022 übrigens eine Auslastung von rund 80 Prozent – diese Marke möchten wir gerne toppen.
Welche Nation wünschen Sie sich für Bern? Die Holländer wären wohl kein schlechtes Los.
(Lacht) Wir sagen immer, dass die Oranje 2008 eine Art zweites Wunder von Bern waren – nach jenem von 1954. Mit den Niederlanden könnten wir eine Geschichte weiterschreiben, und sie würde wohl dazu führen, dass manche hier ins Stadion zurückkommen, die das sonst nicht tun würden. Ja, Holland hat eine tolle Fan-Basis, zum Glück haben das andere ebenfalls: Die Engländerinnen beispielsweise waren jene, die sich am schnellsten für Tickets vorregistriert haben. Spanien spielt derzeit sehr erfolgreich, dazu leben zahlreiche Spanierinnen und Spanier bei uns.
Wie nehmen Sie den Frauenfussball derzeit generell wahr?
Ich denke, er ist an einem entscheidenden Punkt. England ist eine Fussballnation, die EM gab dem Land vor zwei Jahren einen gewaltigen Push – die Eröffnungspartie musste sogar kurzfristig in ein grösseres Stadion verlegt werden. Die Berner Nati-Kapitänin Lia Wälti, die auch Botschafterin für die Host City Bern ist, spielt in London bei Arsenal regelmässig vor 60’000 Leuten. Das war vor drei Jahren noch nicht so. Die Entwicklung ist spürbar, doch es gibt riesige Unterschiede. Spanien, Frankreich und England stehen an einem ganz anderen Punkt als etwa die Schweiz.
In England sind die Fussballerinnen Profis und verdienen gutes Geld. Bei uns ist ihr Sport derzeit nach wie vor ein Nebenberuf.
Genau. Meist werden die Frauenteams durch den Profibetrieb der Männer querfinanziert. Die Richtung stimmt, noch ist es allerdings ein weiter Weg. Und deshalb ist die Women’s Euro 2025 eine riesige Chance, sowohl für den Breiten- wie auch den Spitzenfussball der Frauen in der Schweiz.
Oft wurde und wird der Frauenfussball nach wie vor belächelt. Weht in Politik, Gesellschaft und in den Medien mittlerweile ein neuer Wind?
Es kommt langsam. In der Stadt Bern haben wir glücklicherweise einen grossen Rückhalt in der Politik. Gewisse Kritiker sollten sich eventuell mal die Zeit nehmen, einen Match komplett mitzuverfolgen, um die fussballerischen Qualitäten der Frauen zu entdecken. Gewisse, die nörgeln, haben wohl noch gar nie eine Partie zu Ende gesehen. Ich war Ende Mai beim Frauen-Champions-League-Final in Bilbao: das Spiel innerhalb von zehn Minuten ausverkauft, 50’000 Fans im Stadion. Es herrschte absolute Hühnerhautstimmung. Ganz generell sollten meines Erachtens nicht Dinge verglichen werden, die sich nicht vergleichen lassen.
Was ist aus Ihrer Sicht bei den Frauen denn anders als bei den Männern?
Ihr Sport ist oft technischer – und es gibt weniger Drama. Frauen liegen seltener am Boden und mimen minutenlang den sterbenden Schwan. Dazu lockt Frauenfussball tendenziell mehr Frauen, mehr Familien, mehr Kinder an. Menschen, die sonst selten an einen Match gehen, weil sie vielleicht Angst vor Ausschreitungen haben oder ihnen wie in England die Tickets schlicht zu teuer sind.
Wie sieht es mit der Sicherheit der Fans aus? Die Angst vor Anschlägen ist bei sportlichen Grossanlässen allgegenwärtig.
Die Weltlage ist angespannter als 2008, bei der grossen Party in Bern. Gestützt auf die Erfahrungen von 2022 und von der WM im letzten Jahr in Australien und Neuseeland, rechnen wir hier in Bern mit einem diverseren Publikum als damals. Dass die Hooligan-Problematik im Frauenfussball bis anhin kein Thema ist, nimmt uns Druck weg. Ich durfte an der EM in Deutschland in Stuttgart und in Frankfurt hinter die Kulissen blicken – ja, wenn wie in Stuttgart radikale ungarische Fangruppierungen zu erwarten sind, kann es schon stressig werden. Und was tut man mit über einhunderttausend Schotten, die ohne Billette in einer Stadt unterwegs sind? Wir rechnen nächstes Jahr mit weniger Besuchenden, dafür mit einem gemischteren Publikum als 2008. In Deutschland wurden zudem in gewissen Städten rigorose Eingangskontrollen zu den Fanzonen gemacht – wir möchten es hier offener gestalten, ohne Umzäunungen wie damals auf dem Bundesplatz. Dann, so denke ich, wird auch die Stimmung anders sein.
Wie gut kennen Sie sich eigentlich mit Frauenfussball aus?
Ich bin seit langer Zeit leidenschaftlicher Fussballfan, mit YB fing alles an. Während meiner Studienzeit in Rom besuchte ich hin und wieder die Spiele der AS Roma. Wie viel Ahnung ich konkret habe? Jeden Tag noch ein bisschen mehr (lacht).