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«Es gibt keinen Grund, über die Aviatik die Nase zu rümpfen»

Wie fest hat Corona den Berner Flughafen durchgeschüttelt? CEO Urs Ryf und VR-Präsident Alexandre Schmidt reden Klartext. Und sie sagen, warum das Dreckschleuder-Bashing nervt.

Lange war es auf dem Flughafen Bern wegen Corona, so schien es, totenstill – und jetzt?
Urs Ryf: Seit Donnerstag heben endlich wieder Passagiere bei uns ab, immer donnerstags und sonntags gibt es eine Verbindung nach Lübeck; seit Sonntag wird Stuttgart angefogen, ab dem 10. Juli Kreta und Mallorca.
Alexandre Schmidt: Bern ist ein polyvalenter Flughafen wie kein anderer in der Schweiz. Hier starten Passagier- und Businessfüge genau so wie Bundesratsjets und Rega, zudem sind wir der grösste Helikopterfughafen des Landes. Das zeichnet uns aus. Die Frage ist nun, wie gut wir dieses Angebot in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund der Pandemie weiterführen können. Wir müssen optimieren und sanieren, wollen an den Charterfügen festhalten und müssen beobachten, wie sich die Nachfrage entwickelt.

Der abgetretene Flughafen-Verwaltungsratspräsident Beat Brechbühl meinte kürzlich, Linienfüge ab Belp seien in Zukunft kaum ein Thema mehr.
Schmidt: Wir haben in den letzten zehn Jahren gleich mehrere Groundings erlebt. Charterfüge in den Sommer- und Herbstferien haben hingegen immer äusserst gut funktioniert. Wir hoffen und rechnen damit, dass das auch in Zukunft so sein wird.

fyBAIR plante ursprünglich aber mit Linienfügen.
Ryf: Als wir fyBAIR im September 2019 entwickelt haben, war das tatsächlich unsere Geschäftsidee. Corona hat eine regelmässige Hub-Anbindung an ausländische Flughäfen allerdings in weite Ferne rücken lassen.

Als Tourist im Frühling 2022 ab Belp nach Berlin oder Wien zu fiegen, ist also wenig realistisch?
Ryf: Wir fokussieren sehr klar auf Inseln, und zwar von Anfang Mai bis Ende Oktober. Wir reden von rund acht Destinationen im Mittelmeerraum. Wir müssen in Szenarien denken, denn wir wissen beispielsweise ja nicht, welchen Impact die Delta-plus- oder andere Covid-Varianten haben könnten. Trotzdem sind wir voll und ganz mit der Planung des nächsten Jahres beschäftigt.

Wie geht es dem Flughafen aus finanzieller Sicht?
Schmidt: Die Frage ist nicht ob, sondern wie der Flughafen überlebt. Die Infrastruktur steht, die Bewilligungen sind erteilt und es existiert eine gewisse Grundauslastung. Ausserdem besitzen wir genügend Liquidität, um Corona zu überstehen. Damit es mit den Publikumsfügen weitergeht, muss aber die Nachfrage wieder steigen, so wie wir sie vor der Pandemie gekannt haben. Solange das nicht der Fall ist, sind wir nicht über den Berg.

Wo drückt der Schuh am heftigsten?
Schmidt: Wir konnten die Kosten massiv runterfahren. Jeder personelle Abgang passierte über eine natürliche Fluktuation. Gleichzeitig ist die Zahl der Flugbewegungen interessanterweise gestiegen, was mit den zahlreichen Ausbildungsfügen zu tun hat. Die Flüge, die den höchsten Umsatz bringen, sind dafür leider weggebrochen. Die benötigen wir jedoch als langfristige Sicherheit.

Wie wollen Sie das Publikum wieder für Flugreisen begeistern?
Ryf: Nach dem SkyWork-Grounding 2018 mussten wir feststellen, dass keine Airline bereit ist, auf eigenes Risiko Flüge ab Bern anzubieten. Das Einzugsgebiet ist bescheiden, 30 verschiedene Destinationen scheinen unrealistisch. Man muss sich auf wenige Ziele konzentrieren, diese dafür aber richtig umsetzen. Aus dem Gedanken heraus entstand die Idee einer virtuellen Airline, also selbst Verkehr zu generieren. Der andere Markt, die Business-Jets, lässt sich von aussen kaum beeinfussen.
Schmidt: Die Corona-Krise hatte auch ihr Gutes: Wir haben sie für Sanierungen, etwa bei einem Hangar, genutzt. Auch das Flughafen-Restaurant hat zum Glück wieder eine Zukunft. Ausserdem sind wir dabei, den Flughafen lärmarmer und emissionsfreier zu gestalten. Segelfieger beispielsweise werden anstatt wie bisher mit einem anderen Flieger mit einer Seilwinde in die Luft gezogen. Dank Flugsimulatoren am Boden können zudem gewisse Flugbewegungen zwecks Ausbildung eingespart werden. Und vielleicht steht hier schon bald ein Elektrofieger. Geplant ist ebenso, die Solarpanels auszubauen.

Bleiben wir bei der Ökologisierung der Aviatik: Gerade vor der Abstimmung über das CO2-Gesetz wurden Flugzeuge einmal mehr mantraartig als Dreckschleudern gegeisselt.
Ryf: Ja, solches Bashing spüren wir nach wie vor. Obwohl sich die Luftfahrt dazu bereit erklärt hat, das Wachstum ab 2020 CO2 -neutral zu gestalten und ab 2050 die Emissionen auf netto Null runterzufahren.

Was stört Sie sonst noch?
Ryf: Bei Reisen unter 500 Kilometern Weg ist der Zug wohl tatsächlich das geeignetere Transportmittel. Für grössere Distanzen existiert hingegen keine Alternative, deswegen erstaunt es mich, dass ausgerechnet die Luftfahrt mit einem Anteil von weltweit 2,8 Prozent am gesamten CO2 -Ausstoss der Klimakiller Nummer 1 sein soll. Das Mobilitätsbedürfnis bleibt.
Schmidt: Die Luftfahrt ist extrem platzsparend und verbraucht pro Person dreimal weniger Treibstoff als ein Auto. Wer die Aviatik einstampfen möchte, muss gleichzeitig das Schienennetz massiv ausbauen. Bis das umgesetzt wäre, ist die Fliegerei schon längst CO2 -neutral unterwegs.
Ryf: Die neuen Embraer-Maschinen der Helvetic sind die effizientesten, die momentan auf dem Markt existieren. Sie sind hörbar leiser und verbrauchen noch 2,3 Liter Treibstoff pro 100 Kilometer und Person.
Schmidt: Mit zwei Mal zwei Kilometern Piste statt hunderten von Kilometern Autobahnasphalt (lacht). Es gibt keinen Grund, über die Aviatik die Nase zu rümpfen.

Welche Signale erhalten Sie aus der Politik?
Schmidt: Kanton und Bund helfen während der Pandemie mit Härtefallgeldern und Kurzarbeitsentschädigungen, die Stadt Bern als Eigentümerin des Grundstücks wiederum hat uns wie all ihre Mieter gleichbehandelt und die Hälfte des Baurechtzinses erlassen. Damit schenken uns die Behörden viel Zeit, die wir jetzt brauchen, um nach vorne zu schauen. Weiter hat uns die Stadt Bern beim Geschäft des neuen Flughafenrestaurants sehr gut unterstützt und bewiesen, dass sie schnell und effizient arbeiten kann. Dafür sind wir äusserst dankbar. Wir sollten nicht vergessen: Ohne Flughafen Bern wäre der gesamte Kanton von der Aviatik schlicht abgeschnitten, sie würde einfach anderswo stattfinden.

Das Wankdorf-Stadion wird nebst Fussballspielen auch für Open-Airs und Partys genützt. Wird der Flughafen Belp bald ebenfalls multifunktional sein?
Ryf: Gerade im Eventbereich verfügen wir definitiv über attraktive Räumlichkeiten. Einen Hangar kann man für Ausstellungen, Konzerte oder Indoor-Kinos nutzen. Solche Gedanken prüfen wir selbstverständlich.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das neue Flughafenrestaurant, das 2023 neueröffnet werden soll?
Schmidt: Die Leute werden dort quasi mit den Füssen auf der Piste, umgeben von Hügeln, Bergen und viel Natur, einen Kaffee trinken können. In Kloten dagegen benötigen Sie fürs Planespotting einen Feldstecher (lacht). Wo gibt es das sonst?

Wie kommt die Verbindung Bern-Lübeck an?
Schmidt: Lübeck Air ist derart begeistert von Bern, dass sie ihre dreimonatige Präsenz bereits um einen Monat verlängert hat.

Die Buchungen laufen also wie geschmiert?
Ryf: Genaue Zahlen kenne ich keine, die Erwartungen der Airline sind aber allem Anschein nach deutlich übertroffen worden. Im Übrigen haben sie sich aufgrund der Konkurrenzsituation mit der Swiss gegen Zürich und für Bern entschieden.
Schmidt: Lübeck lässt sich von der Grösse her mit Bern vergleichen und gehört genau wie unsere Hauptstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie ist nur einen Katzensprung von Hamburg entfernt und bietet einen idealen Ausgangspunkt, um die Nordsee und ihre Inseln zu entdecken.
Ryf: Der Hin- und Rückflug kostet inklusive Gebühren 329 Franken. Das erachte ich als einen fairen Preis.

Wie zuversichtlich sind Sie für die nächsten 24 Monate?
Schmidt: Bei Gegenwind verhalten wir uns ähnlich wie der Pilot: Er gibt Schub! Gegenwind erzeugt Auftrieb. Wir werden die Krise durchstehen, weil wir über genügend Reserven verfügen. Keine Frage.
Ryf: Absolut. Sofern sich die Nachfrage nach Corona wieder erholt, ist das Überleben nicht infrage gestellt. Andernfalls müssten wir das Geschäftsmodell auf die neuen Marktverhältnisse anpassen.

Yves Schott

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