GURTENFESTIVAL-CHEF BOBBY BÄHLER

«Es muss nicht immer allen gefallen»

In rund vier Monaten beginnt das Gurtenfestival. Geschäftsführer Bobby Bähler über polarisierende Künstler, Selbstkritik und wieso musikalisch teilweise bewusst Grenzen ausgelotet werden.  

Bobby Bähler, die nächsten Acts fürs Gurtenfestival 2025 werden zirka Ende März angekündigt. Sind da gute Namen mit dabei?
Selbstverständlich! (lacht) 

Wie zufrieden sind Sie bis jetzt mit dem Line-up? 
Sehr. Für uns einigermassen frustrierend war nur, dass es zwei, drei Acts – ich nenne bewusst keine Details – gibt, die wahnsinnig hip sind und die wir um ein Haar hätten verpflichten können. Doch wir verpassen sie, weil sich ihr Terminplan geändert hat – das fuchst schon. Insgesamt ist das aktuelle Programm aber ausgesprochen ausgewogen; viel Neues kombiniert mit Legenden wie Will Smith. 

Wenn ihr nach einem Festival ein Debriefing vornehmt, ist man da ehrlich zueinander und sagt: Das war jetzt schon ein schwächeres Jahr?  
Absolut, wir sind sehr selbstkritisch. Um eine Festivalausgabe richtig einzuordnen, ist allerdings wichtig zu wissen, welche Faktoren noch mit reinspielen: Das Programm ist einer jener Trigger und Treiber, das ein Open-Air erfolgreich machen kann. Viel wichtiger ist hingegen, wie der Event vor Ort bei den Leuten ankommt. Wie überträgt sich die Energie auf die Besuchenden und mit welchen Gefühlen gehen sie nach Hause? Diese Energie spiegelt sich in der Konsumation vor Ort und bei den Feedbacks wider. Etwa mit Likes oder Gaggihäufchen in den sozialen Medien. Wir erhalten glücklicherweise überwiegend Herzen und Flammen – das möchten wir gerne so beibehalten.

Trotzdem sind klingende Namen ein wichtiger Hebel, um den Ticketvorverkauf anzuheizen.
Richtig, wir sind ein Pop-Festival und decken populäre und zeitgenössische Musik ab – von subkulturell bis Mainstream. Natürlich ist der kommerzielle Aspekt wichtig, deshalb setzen wir auf einen breiten musikalischen Mix. Gleichzeitig strengen wir uns enorm an, im Bereich Subkultur die richtigen Artists zu verpflichten. Denn sie bringt oft jene Bands hervor, die fünf oder zehn Jahre später gefeiert werden. Wir wollen diesen jungen Strömungen unbedingt eine Plattform bieten, häufig auf der Zeltbühne oder auch im Soundgarden. Manche runzeln über den Klangteppich dort eventuell die Stirn, was übrigens ganz okay ist. Es muss nicht immer allen gefallen.

Niemand auf
unseren Plakaten
ist günstig.

Bobby Bähler


Dennoch lässt sich Kritik kaum vermeiden, gerade von unserer Seite, den Medien. Nehmen Sie diese ernst? 
Wir können sie teilweise sicher nachvollziehen. Ich möchte Folgendes dazu ausführen: Es ist bekannt, dass Menschen ab 30 sich stets im etwa ähnlichen Musikgenre bewegen. Wenn eine Zeitung also die Zielgruppe der über 35-Jährigen im Fokus hat, werden neue Künstlerinnen und Künstler tendenziell eher hinterfragt. Wir als Veranstalter konzentrieren uns wiederum auf ein Publikum zwischen 20 und 40, folglich sprechen wir unter 16-Jährige eher seltener an und ab 35 kann es eben sein, dass man nicht alle Namen kennt, die auf dem Programm stehen. Das erzeugt ein Spannungsfeld, was absolut in Ordnung ist. Kritik ist per se nichts Schlechtes. Gleichzeitig würde ich mir manchmal etwas mehr Offenheit wünschen, sich auf etwas Neues einzulassen, anstatt von Vornherein zu sagen: «Ich kenne ja gar niemanden mehr!» 

Einer der absoluten Top-Shots 2025 ist Will Smith. Wie habt ihr es geschafft, ihn zu verpflichten? Er ist als Sänger, vor allem jedoch als Hollywood-Schauspieler bekannt.
Namen wie er werden einem angeboten. Wir befinden uns in einem offenen Markt und bieten mit – unser Vorteil ist, uns bei den involvierten Agenturen in den letzten Jahren gut positioniert zu haben. Somit gehören wir dann zu den Ersten, die angefragt werden, wenn jemand wie Will Smith eine Tour plant. Und ja, er ist Hollywood-Star, natürlich, hat aber weltweit auch mehrere Nummer-eins-Hits geliefert. Wir waren uns schnell einig: Wer eine solche Legende bei sich auf der Bühne haben kann, muss diese Option ziehen! Ich glaube und hoffe, dass sein Auftritt uns recht geben wird.

Wie läuft das Booking denn genau ab? 
Möchte eine Künstlerin oder ein Künstler in Europa auftreten, wird ein sogenanntes Routing definiert, wo und wann gespielt wird. Anschliessend klären die Festivals, welche Gagen sie zu bezahlen bereit sind. Auf dieser Basis sagt das entsprechende Management entweder zu oder ab. Bei Will Smith ist es genau so gelaufen. 

Ist er einer der teuersten Künstler, die ihr je unter Vertrag genommen habt?
Wir nennen keine Zahlen.

Günstig ist jemand wie er wohl trotzdem kaum?
Nein, wobei niemand auf unseren Plakaten günstig ist (lacht)

Ist Will Smith eine Antwort darauf, dass das Gurtenfestival in den vergangenen Jahren mit dem Line-up nicht immer restlos überzeugt hat? 
Da sind wir nun wieder bei der subjektiven Wahrnehmung. Für uns war Rosalia beispielsweise ein Wahnsinns-Act. Sie spielte beim Coachella in Kalifornien als Headliner auf der Mainstage. Ich will damit bloss sagen: Es hängt extrem davon ab, welche Brille man gerade trägt. Aus musikalischer Sicht durften wir in den vergangenen Jahren etliche Namen verkünden, die hoch im Kurs stehen. Wir präsentierten ähnliche Programme wie andere europäische Open-Airs, die jedoch fünfmal so gross sind wie wir. Selbstverständlich passen diese Acts beziehungsweise deren Management dann ihre Gage an – ein Glastonbury bezahlt mehr als wir, logisch. Würden wir uns indes nicht von Beginn an klar zu den Künstlerinnen und Künstlern wie auch zu den Agenturen bekennen – Rosalia trat bei uns 2019 zum ersten Mal auf der Zeltbühne auf und war damals noch eher unbekannt –, hätten wir sie 2023 nie engagieren können. Was Will Smith anbetrifft, habe ich persönlich das Gefühl, dass Bern ein bisschen Glamour ab und zu guttut. Gleichzeitig gab es auf dem Güsche in der Vergangenheit Artists, die für uns musikalisch einen grösseren Impact hatten. 

Zur Zwischenauflockerung ein paar Stichworte, zu denen Sie bitte kurz Stellung nehmen. Erstens: Sleep­ing Zone.
Es wollten zuletzt immer weniger Menschen auf dem Gelände übernachten. Daher ist die Sleeping Zone bis auf Weiteres kein Thema mehr.

Der Gurten-Sonntag.
Kann in Zukunft immer mal wieder ein Thema werden.

Essen und Trinken mit Bargeld bezahlen.
Nie mehr! 

Schnulze und Schnultze.
Sag niemals nie. Ich mag die beiden Jungs sehr, ihre Schlagermusik muss aber im richtigen Rahmen stattfinden – der Gurten-Sonntag wäre dafür genau der richtige Platz.

Eintrittspreise.
Wir hoffen, diese in Zukunft auf dem Niveau zu halten – versprechen können wir es leider nicht. 

Joost Klein und generell Künstler, die polarisieren.
Wir als Festival sind unpolitisch. Solange sich unsere Acts an das geltende Recht halten, gilt auf der Bühne die künstlerische Freiheit. Zudem lässt sich, wenn jemand bis zu anderthalb Jahre im Voraus gebucht wird, kaum erahnen, was in der Zeit bis zum Event passiert. Wird eine Person nicht juristisch verurteilt oder verhält sie sich nicht so, dass ihre Haltung mit unseren Werten unvereinbar wäre, darf sie bei uns auftreten. Das ist auch ein juristisches Thema, wir können nicht einfach Verträge künden, wenn beispielsweise keine Verurteilung vorliegt und somit die Unschuldsvermutung gilt. Joost Klein wurde im Übrigen von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen, es sah eher nach einer inszenierten Geschichte aus. 

Patent Ochsner, die andeuteten, eventuell nie mehr auf dem Güsche aufzutreten.
Büne Huber und seine Band werden bei uns stets offene Türen vorfinden. Die Entscheidung, auf den Hausberg zu kommen, liegt hingegen bei ihnen.

Letztes Stichwort: Frauenquote.
Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, dem gesamten Spektrum von Diversity Beachtung zu schenken. Wenn wir uns beispielsweise zwischen einer Künstlerin und einem siebten männlichen Act entscheiden müssen, wählen wir die Künstlerin. Generell steht uns in diesem Bereich aber schlicht eine deutlich kleinere Auswahl an weiblichen Namen zur Verfügung. Deshalb: Ja, es wird vielleicht wieder Jahre geben, wo etwa die Frauenquote am Gurten eher tief liegt, weil wir hier nicht an einem Wunschrad drehen können. Ich möchte allerdings betonen, dass wir als Organisatoren Vielfältigkeit tief verinnerlicht haben und deswegen nie Mühe bekundeten, unser Programm divers zu gestalten. Heterogenität hat immer auch mit der Struktur der entsprechenden Organisation zu tun, mit Haltung. Und diese offene und inklusive Kultur leben wir garantiert. 

Wie geht ihr generell mit Inklusion und körperlicher Unversehrtheit um? Sexuelle Belästigungen lassen sich ja nicht proaktiv vermeiden.
25‘000 Personen auf dem Gurten an einem Tag sind ein Abbild der Gesellschaft. Als Veranstalter pflegen wir ein Wertesystem: Gemeinsamkeit, Liebe, Toleranz – definiert in unserem Feel-Safe-Together-Konzept. Die Vorgaben sind klar: Sie fangen beim Schweizer Recht an und hören bei unseren Hausregeln auf. Wenn nötig, setzen wir sie durch. Zum Glück herrscht auf dem Güsche meist eine äusserst liebevolle und respektvolle Kultur. Es passieren selten Vorfälle, und wenn, dann wollen wir adäquat reagieren; aus diesem Grund ist ein Careteam im Einsatz. Und es gibt als letzte Instanz eine Security, die im schlimmsten Fall eingreift, das allerdings nur ausnahmsweise tun muss. 2024 wurden uns übrigens gerade mal drei Schlägereien gemeldet. Es heisst gar, die Stimmung in der Stadt Bern sei am Gurtenfestival-Wochen­ende ruhiger.

Nachhaltigkeit ist
bei uns auf
drei Säulen aufgebaut.

Bobby Bähler


Wie managt ihr den Widerspruch, dass ein Open-Air nicht per se ökologisch funktionieren kann, das aber von allen Seiten gefordert wird? 
Nachhaltigkeit ist bei uns auf drei Säulen aufgebaut: erstens die ökonomische Nachhaltigkeit, das heisst, das Festival muss auch langfristig finanziell solide aufgestellt sein. Zweitens gibt es die soziale Nachhaltigkeit, also unter anderem die erwähnten Careteams; das Verbinden von Menschen. Säule Nummer drei ist der klassische ökologische Aspekt. Ja, Festivals bringen eine Umweltbelastung mit sich: Auf einer grünen Wiese werden bewusst Sachen hingestellt und los gehts. Hervorheben möchte ich indes schon, dass wir in dieser Hinsicht stets eine Pionierrolle innehatten: Wir waren 2004 die Ersten, die Mehrwegbecher einführten. Unsere WCs werden mit Wasser – und davon ist ausreichend vorhanden – gespült statt mit Chemie. Zudem liegt unsere Recycling-Quote nahe bei 80 Prozent, alleine beim Plastik werden sogar verschiedene Sorten getrennt. Diesen Anspruch erlegen wir uns übrigens selber auf. Reines Verzichten fällt an einem Grossanlass hingegen schwer. In einem nächsten Schritt möchten wir nun die Schadstoffe von Flügen kompensieren. Eventuell können in Zukunft ja unsere Gäste mitbestimmen, ob sie einen Beitrag zum Klima leisten möchten? Und wir können uns vorstellen, auf die Artists zuzugehen und sie zu fragen, ob sie ihre Flüge kompensieren oder ob wir das für sie tun sollen. Insgesamt bewegen wir uns auf einem hohen Niveau: Im Schnitt produziert eine Person am Festival weniger als ein Kilo Abfall pro Tag. Sie hält sich zwar nicht einen ganzen Tag bei uns auf, dennoch ist das weniger als der Schweizer Durchschnitt mit 1,9 Kilo pro Person pro Tag . 

Im Dezember wurde bekannt, dass vergangenes Jahr am Freitag zu viele Menschen Zutritt zum Gur­tenfestival hatten.
Wir haben einen Fehler begangen. Erstens bei der Berechnung der Kontingente und zweitens dabei, das Ganze adäquat zu kommunizieren. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in aller Form und von ganzem Herzen dafür zu entschuldigen. Dahinter steckte selbstverständlich keine Absicht. 

Ist die Sache intern noch ein Thema?
Ja, weil es uns enorm wehgetan hat. Insbesondere in einem Bereich, in dem wir sonst zu den Besten gehören; das ist extrem unglücklich. Gleichzeitig wollen wir aus diesem «Chlapf an den Gring» lernen. 

Wie würden Sie das diesjährige Line-up zusammenfassen?
Frech, breit, mit viel Energie. Und am Samstagabend tritt gegen das Ende hin eine Legende auf, die uns alle umhauen wird.  

Bobby Baehler dz 4

Fotos: Daniel Zaugg

INFO

Das wird 2025 neu
Am Gurtenfestival kommt es 2025 zu einigen Änderungen, wie die Organisatoren letzte Woche mitteilten. So wird es neu einen zweiten Eingang bei der Waldbühne geben, um den Andrang bei der Gurtenbahn zu entlasten. Der Zugang beginnt bei der Busstation Spiegel/Blinzern und führt durch den Wald. Die Rückreise erfolgt wie bis anhin über die bisherige Route.

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