Hélène und Daniel Lüthi hören auf: Während zehn Jahren haben sie das kleinste Hotel von Bern geführt und rund dreissig Kunstausstellungen organisiert. Mit Nicolas Bernières Installation setzen sie einen fulminanten Schlusspunkt.
«Wir haben uns vor gut 45 Jahren in den Blumen kennengelernt», verrät Daniel Lüthi. Er jobbte in einem Blumengeschäft im Berner Bahnhof, in dem Hélène Lüthi als Floristin angestellt war. Die beiden heirateten, bekamen eine Tochter und später zwei Enkelkinder, wanderten nach Israel und Bolivien aus und führten, zurück in der Schweiz, während zehn Jahren das kleinste Hotel von Bern. Hier am Schwalbenweg in der Länggasse trifft der Bärnerbär das umtriebige Paar, das gemeinsam rund dreissig Kunstaustellungen realisiert hat. Seit 1996 sind die beiden hier wohnhaft. Gleich gegenüber ihrem Wohnhaus befindet sich das Hotel, in dem nun zum letzten Mal übernachtet werden kann. «Wir hören auf», so die beiden. «Und zwar mit einem Feuerwerk», wie sie nachschieben. Fulminanter Schlusspunkt zum 10-jährigen Jubiläum der casita ist die Installation des französischen Künstlers Nicolas Bernière, der 2005 durch eine Künstlerresidenz in die Schweiz kam, seine Frau kennenlernte und sich in Bern niederliess. Bernière, der in seiner Heimatstadt Paris Malerei studiert hatte, setzt in seinen Installationen auf den Werkstoff Karton. Ganze Welten erschafft er aus dem unprätentiösen Material. Als Vater missfiel ihm das vorgefertigte Spielzeug, so schuf er für seinen heute 14-jährigen Sohn Ritterrüstungen, Schiffe und Burgen aus Karton an und entdeckte dabei das Potential dieses Materials. In der casita präsentiert er nun die Installation «Le jardin de Nyx» und verwandelt das ganze Haus in einen begehbaren Garten, wobei sich rankende Lianen, Blattwerk, kleine Vögel und für ein Hotel typische Objekte, wie ein Telefon oder ein Schreibpult, ein poetisches Ganzes ergeben. Erstmals brechen Hélène und Daniel ihr bisheriges Konzept auf: Hotelbetrieb und Kunstausstellung waren bisher stets zwei voneinander getrennte Bereiche. Bernière und das Galeristenpaar hegten den Wunsch, dass man in der Installation schlafen und träumen kann. Deshalb ist es jetzt möglich, in der casita ein Zimmer zu buchen und mitten in der Kunst zu nächtigen (siehe Box).
Waschhaus wird zum Tropenhaus
Die Künstler und Künstlerinnen, die bisher in der casita ausgestellt haben, haben eines gemeinsam: Sie reagierten alle auf die Räumlichkeiten des kleinen Hauses. Die Berner Video- und Installationskünstlerin Anouk Sebald etwa richtete 2020 mit «Hotel Eutopia» ein Hotel im Hotel ein, wobei sie unter anderem eine Tapete, Hausschuhe und einen Bademantel mit psychedelischen Mustern gestaltete. Das Künstlerduo M.S. Bastian und Isabelle L. aus Biel realisierte 2019 im zweistöckigen Bau des Hotels mit Dschungel- und Paradiesbildern eine Art Tropenhaus. Die casita ist ein sogenanntes Dependenzgebäude, das ursprünglich als Werkstatt und Lager und später als Waschhaus des Quartiers diente. «Es war eine mit Reben überwachsene Ruine, als wir es übernahmen», erinnert sich das Galeristenpaar. Die beiden liessen eine umfangreiche und kostspielige Sanierung durchführen, um die Räumlichkeiten heiz- und bewohnbar zu machen. Zwischen 1996 und 2013 betrieben sie das Häuschen unter dem Label «GARAGE» als nicht kommerziellen Begegnungsort. Sie luden Pianist:innen ein, die für eine Flasche Wein spielten und organisierten während der Fussball-WM und -EM Public Viewings. «Es war ziemlich Rock’n’Roll, mit Röhren-Bildschirm und der Möglichkeit, drinnen zu rauchen», so Daniel Lüthi. Als sie 2013 schliesslich die casita eröffneten, fiel erstmals wortwörtlich alles ins Wasser. «Wir hatten einen Wasserschaden und mussten den ganzen Boden erneuern», so Hélène Lüthi. Doch die beiden liessen sich nicht beirren und konnten bald erste Gäste empfangen. Zwei Erwachsene und ein Kind haben in diesem Hotel Platz. Viele Stammgäste gingen hier ein und aus. Das Spektrum reicht von koreanischen Tourist:innen bis hin zu Heimweh-Bernerinnen oder Professor:innen aus dem Ausland, die an der nahen Universität dozieren. Hélène und Daniel Lüthi sind im Quartier eng vernetzt, arbeiten mit dem lokalen Teeladen oder der Gelateria zusammen. «Die Länggasse ist ein Dorf», so Hélène Lüthi. Es sei ein Quartier, in dem die Menschen alles andere als anonym lebten. Ausserdem habe man den Wald in der Nähe und sei doch ganz nahe vom Zentrum. Warum hören die beiden, die auch vielen lokalen Künstler:innen eine Plattform boten, auf? «Wir wollen selbstbestimmt auf dem Höhepunkt aufhören, unser Herzensprojekt also nicht ausfransen lassen», so Daniel Lüthi. «Die casita soll genau wie einst die «GARAGE» allen in positiver Erinnerung bleiben.».