Der Verlag des Jahres kommt aus Bern: Vatter & Vatter

In Wimmelbüchern die Schweiz entdecken

Matthias Vatter mit seinen Wimmerlbücher
Verleger Matthias Vatter: «Wir sind der Schweizer Wimmelbuchverlag.» Fotos: Neel Nowotny

Nicht von Pappe: Vatter&Vatter hat es mit individuellen Ideen und ungewöhnlichen Buchausgaben zum Verlag des Jahres geschafft. Verleger Matthias Vatter scheut keine Konkurrenz durch E-Books und weiss, was Print einzigartig macht.

«And the winner is … Vatter & Vatter!» Es war ein grosser Abend für den kleinen Berner Verlag. Als bei der Generalversammlung des Buchhandels- und Verlags-Verbands Matthias Vatter den Namen seines Unternehmens hörte, konnte er es kaum glauben: Verlag des Jahres 2024. «Sie hatten es bis zuletzt ganz schön spannend gemacht», lacht er heute im Showroom des Verlags im PROGR-Zentrum. «Schon die Nomination war ein tolles Zeichen aus der Branche.» Denn als Kleinverlag hatten sie sich kaum Chancen ausgerechnet im Onlinevoting genug Stimmen gesammelt zu haben. Nach dem Sieg galt Vatters erster Gedanke dem Team mit Projektleiterin Annina Schneller und Julia Bogdanovic (Marketing und Vertrieb). Vatter&Vatter ist zudem ein Familienunternehmen: Mitgründerin ist seine Schwester, die Texterin Anja Vatter, Matthias Vatters Frau, Illus­tratorin Beatrice Kaufmann, arbeitet auch im Verlag.

Er selbst kam vom digitalen Geschäft zum analogen. Der Historiker und studierte Lehrer baute einst eine Firma für digitale Lehrmittel auf. «Während der Unizeit gründete ich mit Freunden die Lernetz AG. Wir setzten stark auf Onlinelernmittel, über die Jahre wurde daraus aber immer mehr Blended Learning. Eine Kombination aus online, Print und personalisiertem Lernen. Aber ich merkte, dass digitale Medien eben nicht alles abdecken.» Das traditionelle Buch hat in seinen Augen immer noch seine Qualitäten und Berechtigung. Nach 15 Jahren stieg Vatter bei Lernetz aus, 2013 entstand ein erstes Wimmelbuch, 2015 der Verlag Vatter&Vatter. Hatte er keine Sorgen, dass es nicht funktionieren könnte? «Manche Formate sind digital nicht konkurrenzierbar. Ein digital vergrösserbares Wimmelbild geht zwar, wimmelt aber nicht wirklich. Also, man kann auch heute noch einen Verlag gründen», resümiert Vatter. 

Keine Scheu vor schrägen Ideen
Die Nische ist entscheidend. «Wir sind der Schweizer Wimmelbuchverlag», sagt der Verleger und zeigt ein paar Bestseller wie das Berner oder Schweizer Wimmelbuch. Inzwischen gibt es sie auch zum Ausmalen. Daneben hat Vatter & Vatter Wortfächer im Programm, die Anja Vatter erdacht hat: «Near-Book» nennt der Verleger diese Druckerzeugnisse. Nicht wirklich ein Buch, aber nah am Buch. Weiter geben sie Gedankenblöcke, Spielkarten, ein Buch mit Beleidigungen, eins mit Erfolgen, eins mit Niederlagen oder ein Buch, das Kotztüten dokumentiert, heraus. Oft Sonderformate, kleine Auflagen. «Wir machen viel selbst. Die Ideen entstehen bei uns. Oder die Menschen kommen mit ihren Vorstellungen auf uns zu», sagt Vatter zum Kreativprozess im Verlagsteam.

Diese besondere Themenauswahl trifft offenbar einen Nerv und kommt gut an. Aber Vatter gibt auch zu, dass er eine Krise im Buchhandel spürt: «Es wird für kleinere und mittlere Verlage immer schwieriger, über Buchhandlungen zu verkaufen. Mit dem Remissionsrecht dürfen sie ein Buch bis zu eineinhalb Jahre später an den Verlag zurückgeben, wenn es nicht verkauft wurde. Wenn man dann plötzlich eine Rückgabequote von 30 Prozent hat, geht die Rechnung nicht mehr auf.» Sein Verlag weicht hier auf zusätzliche Verkaufsstellen wie Warenhäuser und Geschenkläden aus und geht bei Wimmelbüchern oft Partnerschaften ein. Vatter steht Studienergebnissen, die belegen sollen, dass Jugendliche und junge Erwachsene immer weniger lesen und es schlechter beherrschen, mit gemischten Gefühlen entgegen. «Ich sehe die Lage weniger dramatisch. Bei den vielen Medien, die wir heute nutzen, müssen Kinder weitere Kompetenzen erwerben, um sich den medialen Raum zu erschliessen. Darauf kommt es an.» Dennoch ist es ihm wichtig, dass Lesen und Schreiben richtig erlernt wird. Eine Szene an der letzten Leipziger Buchmesse hat ihm Mut gemacht: «Dort sah ich hunderte junge Menschen für ein Autogramm eines Erfolgsautors in der Sparte «New Adult» Bücher anstehen. Ein echter Boom.»

Denkanstösse im Fächerformat
Hohe Papierpreise, veränderte Lesegewohnheiten und Inflation machen Matthias Vatter weniger Sorgen. Seine Wimmelbücher sind aus Pappe und werden im sächsischen Plauen hergestellt. «Sachsendruck ist absoluter Spezialist für Pappbücher und eine Druckerei mit jahrhundertealter Tradition.» Die Wortfächer hingegen waren anspruchsvoller. Ganze viermal wechselte der Verlag die Druckerei, bis die Umsetzung sie zufriedenstellte. «Die Fächer werden nun in Meißen in einem Traditionsbetrieb hergestellt, jedes Blatt wird von Hand einsortiert. Sehr aufwendig.» Die Wortfächer gibt es zuweilen mit ungewöhnlichen Themen wie Erkenntnisse aus der Psychoanalyse für den Alltag, Berner Haikus oder Absurditäten des Wirtschaftssystems. Und diese Produkte nehmen oft ungewöhnliche Wege: Aus einem Büchlein zu Vorurteilen, namens Kopfschubladen, entstand eine kleine Wanderausstellung für Bibliotheken. «Diese können aus ihrem Bestand dann passende Bücher dazustellen. Und die Künstlerin von Kopfschubladen, Noëlle Berg, bietet passende Workshops an.» Solche Werke sind Gesprächsöffner und regen zum Sinnieren an. 

Vatter holt ein grosses Buch aus einem Regal im Showroom. Damit wagt sich der Verlag wieder an ein Novum heran: Ein Wimmelbuch zum Thema Abschiednehmen. Es entstand in Zusammenarbeit mit Palliativmedizinerin Sophia Bartenstein und Illustratorin Andrea Peter. Die Bilder zeigen Figuren, die kleine und grosse Abschiede, ob von einem Hund oder der krebskranken Mutter, bewältigen müssen. Alles zum Selbstentdecken in der Wimmelwelt. Für Schulen hält der Verlag auch Zusatzmaterial bereit, um das herausfordernde Thema Trauern und Endlichkeit zu unterstützen. «Ich bin sehr gespannt, wie das Buch ankommen wird», sagt Vatter. «Wir sind überzeugt, dass es mehr thematische Wimmelbücher braucht.»

Matthias Vatter wimmelbuecher 1

PERSÖNLICH

Matthias Vatter (53), verheiratet, drei Kinder, stammt aus Bern und wohnt bis heute gerne in seiner Heimatstadt. Der Verlag, den er zusammen mit seiner Schwester vor neun Jahren gründete, trägt aktuell den Titel «Verlag des Jahres». Vatter ist auch privat ein Buchliebhaber, von Graphic Novels bis historische Sachbücher.

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