Sie buchen einen Tisch – und kommen dann trotzdem nicht. Wie GastroBern-Präsident Tobias Burkhalter diese Unsitte stoppen will. Und wann Trinkgeld wirklich angebracht ist.
Sie sind nun seit bald vier Monaten Direktorin von GastroBern. Welches Fazit ziehen Sie?
Tatjana Rothenbühler: Ich erlebe eine äusserst lebendige, innovative Branche. Die Menschen, die bei uns arbeiten, tun das mit viel Herzblut. Der Verband selbst macht mir einen gesunden Eindruck, dazu ist unser Schulungszentrum, das eigentliche Herzstück des Verbands, weit über die Grenzen des Kantons Bern hinaus bekannt. Manche Gastronomen schlagen ausserdem neue Wege ein. Das Theater an der Effingerstrasse zum Beispiel wurde vom GastroBär dafür ausgezeichnet, Kultur mit Gastronomie zu kombinieren. Stichwort: Event-Erlebnisse.
Also ist Ihr Verband auf einem guten Weg?
Rothenbühler: Davon bin ich überzeugt. Wir müssen allerdings noch einen Zacken zulegen und dafür sorgen, dass die jungen Erwachsenen in ihrer Nähe und im Kanton Bern eine Stelle finden, damit sie nach der Lehre nicht wegziehen. Gleichzeitig gibt es durchaus positive Nachrichten: Unsere Branche konnte im letzten Jahr einen kleinen Gewinn verbuchen, es wurden mehr Lehrabschlussverträge geschlossen; bei der Berufsmesse in Bern wiederum standen die Jugendlichen an unserem Stand Schlange. Das Interesse an unseren Berufen ist folglich vorhanden, allein: Bei uns dauert ein Arbeitstag selten von 8 bis 17 Uhr, zudem ist die Arbeit körperlich anstrengender als bei einem Bürojob. Wer im Service oder in der Küche tätig sein möchte, nimmt das bewusst in Kauf.
Welchen Eindruck haben Sie von Ihrer Direktorin?
Tobias Burkhalter: Wir sind sehr zufrieden. Tatjana bringt den Schub, den wir uns erhofften. Sie hat schnell erkannt, wie unser Verband funktioniert und geht aktiv auf die Leute zu.
Sie selbst kommen ja nicht aus der Gastronomie. Da braucht es wohl zunächst Zeit, um sich einzudenken und einzuleben.
Rothenbühler: Absolut. Das wusste ich aber, deshalb war ich schon vor meinem Amtsantritt aktiv unterwegs, um die Bedürfnisse der Wirtinnen und Wirte aufzunehmen.
Sie waren in den letzten Wochen folglich häufig auswärts essen?
Rothenbühler: Nein (lacht). Wichtiger ist mir, unseren rund 2000 Mitgliedern das Gefühl zu geben, dass sie bei uns am richtigen Ort sind und dass wir unser Bestes tun, um sie zu unterstützen. Andererseits sollen jene, die noch nicht bei uns Mitglied sind, dazu motiviert werden, bei uns Mitglied zu werden, weil wir uns für die Interessen der Gastronominnen und Gastronomen einsetzen und branchenspezifische Weiterbildungen anbieten. Früher hat der Verband vor allem in rechtlichen Belangen geholfen, heute zeigt sich ein differenzierteres Bild.
Wie würden Sie die Situation der Beizen im Kanton Bern beschreiben?
Tobias Burkhalter: Sie ist grundsätzlich gut. Die Herausforderungen sind bekannt: Steigende Kosten im Bereich Energie oder Transport, des Weiteren der Fachkräftemangel und die fortschreitende Bürokratisierung.
Was meinen Sie mit letzterem Punkt?
Burkhalter: Nehmen Sie die verordneten Auflagen. Ein Betrieb muss im Verlauf eines Jahres gefühlt hunderte von Formularen ausfüllen. Dass das Fleisch deklariert werden muss, finde ich richtig. Aber Gipfeli und Weggli? Das alles bedeutet zusätzlichen Aufwand.
Den Corona-Lockdown haben Ihre Mitglieder überstanden?
Burkhalter: Die Frequenzen haben sich erholt. Es warten andere Herausforderungen auf uns wie beispielsweise das veränderte Ausgangsverhalten unserer Kundinnen und Kunden.
Der Ausdruck «Beizensterben» geistert nach wie vor herum.
Burkhalter: Im Gegenteil. Die Zahl der Betriebe nimmt gar leicht zu. Was hingegen passiert, ist eine strukturelle Veränderung der Gastronomie vom Land hin in die urbanen Zentren. Das hat gesellschaftliche Gründe: Früher war die Beiz eine soziale Institution, ein Ort, an dem man sich ausgetauscht hat. Ein Treffpunkt. Wurde einst ausgiebig im Landgasthof Zmittag gegessen, dauert die Pause heute noch maximal eine halbe Stunde, damit bereits um 16 Uhr Feierabend ist. Am Freitag geht gar keiner mehr auswärts essen. Hinzu kommt das Problem der Nachfolgeregelungen. Und dann gibt es ja noch die boomenden Take-aways. Banker mit Tupperware sind heute salonfähig.
Wenn wir über gesellschaftlichen Wandel sprechen: Wie gross ist das Problem der No-Shows – Gäste also, die trotz Reservierung dann nie im Restaurant auftauchen?
Burkhalter: Die Situation wird sich wohl leider verschärfen. Wir Beizer sind damit allerdings eindeutig zu lange zu lasch damit umgegangen. Mit der Bitte, eine Telefonnummer zu hinterlassen, kann die Zahl von No-Shows bereits deutlich reduziert werden. Für eine Reservierung am Silvesterabend die Kreditkartenangaben zu hinterlegen, halte ich zudem kaum für übertrieben. Das wird ja bei einer Hotelbuchung ebenfalls verlangt und ist in anderen Ländern längst Usus, dasselbe gilt für eine Mindestkonsumation.
Zu attraktiven Anstellungsbedingungen gehört auch ein guter Lohn. Nun ist Ihre Branche ja nicht gerade jene, die Spitzensaläre auszahlt.
Rothenbühler: Ein Restaurant ist am Sonntag häufig offen, richtig. Dafür hat man dann an einem Montag frei und vielleicht mehr Platz in der Badi. Nein, wir sind kein Hochlohnsektor. Punkten können wir dafür mit einem 13. Monatslohn und fünf Wochen Ferien. Hochgerechnet sind wir nach Lehrabschluss bei zirka 5000 Franken. Das ist nicht so schlecht.
Reich wird als Servicekraft aber niemand?
Burkhalter: Das hängt mitunter davon ab, wie Sie «reich» definieren und welche Jobposition jemand innehat. Wer sich, wie in anderen Berufszweigen ebenso, selbstständig macht und das Risiko des Unternehmertums auf sich nimmt, darf durchaus mit einem anständigen Lohn rechnen.
Der Gen Z wird nachgesagt, sich körperlich bloss selten übertun und eher im Ausnahmefall hundert Prozent eingespannt sein zu wollen. Ist das für die Gastronomie ein Nachteil?
Burkhalter: Erstens ticken längst nicht alle so. Zweitens kann diese Einstellung auch ein Vorteil sein – Teilzeitmitarbeitende sind bei uns sehr willkommen.
Immer wichtiger wird zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gerade bei Frauen.
Burkhalter: In diesem Thema ist unsere Branche schon fast eine Art Vorreiterin. Bei uns arbeiten tendenziell mehr Frauen als Männer und ich kenne einige, die, manchmal Jahre nach der Geburt eines Kindes, wieder in unseren Beruf einsteigen. Eben weil Teilzeit so gefragt ist.
Rothenbühler: Erwähnen möchte ich an dieser Stelle unser Pilotprojekt HGT (Hotel, Gastro, Tourismus), für das sich GastroBern engagiert und das demnächst startet. Es zielt darauf ab, Menschen, die Sozialhilfe empfangen, wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Personen mit Betreuungsaufgaben, Menschen, die nach einem schweren Ereignis wieder eingegliedert werden oder Leute mit Migrationshintergrund.
Zum Schluss: Woran erkenne ich eine gute Beiz?
Rothenbühler: Ambiente, Speisenauswahl, Gastfreundlichkeit oder Hygiene sagen viel über eine Gastwirtschaft aus.
Burkhalter: Man erkennt sie daran, ob sie voll ist (schmunzelt). Sie spüren beim Betreten eines Lokals relativ schnell, ob es sich um einen Betrieb handelt, der die Angestellten wertschätzt.
Wann ist Trinkgeld angebracht?
Rothenbühler: Streng genommen ist das Trinkgeld im Lohn inbegriffen. Per Gesetz handelt es sich bei dem, was im Volksmund Trinkgeld genannt wird, um eine Schenkung für besondere Dienste. Deswegen ist es nicht korrekt, der Servicekraft das Trinkgeld wegzunehmen.
Burkhalter: Die Mitarbeitenden erklären sich oft freiwillig dazu bereit, das Trinkgeld aufzuteilen, damit auch die Küchen- oder Reinigungsangestellten etwas davon haben.