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Getroffen im Chalet Muri

Chalet Muri-Gastgeber Claudio Righetti unterhält sich mit Sepp Blatter über dessen Zeit als FIFA-Präsident.

CR: Lieber Sepp, vor genau 20 Jahren feierte die FIFA ihren 100. Geburtstag. Zu diesem Anlass realisierten wir das Buch mit dem Titel «Dreaming about Football». Gibt es heute im Fussball noch «Träume»?
SB: Selbstverständlich. Man sieht das jeden Tag – auf allen Plätzen dieser Welt. Ich denke da besonders an die Kinder, Jugendlichen und Amateurfussballer. Sie machen die Basis unseres Spiels aus – und leben vom grossen Traum, ein Tor zu schiessen – Goal! Ein Ziel zu erreichen.

Fussball ist auch eine universelle Sprache, verbindet Menschen quer durch die ganze Welt – welche Bedeutung siehst du heute in dieser Brücke zwischen den Kulturen?
Diese Bedeutung ist grösser denn je. Der Fussball verbindet die Kulturen und Völker – und könnte gerade in diesen schwierigen Zeiten eine grosse positive Rolle spielen. Aber man müsste dies zulassen.

Grosse Herausforderungen und Verantwortungen sind mit-im-Spiel – Hand aufs Herz: Was ist wichtiger im Fussball, das Geld, oder das Spiel?
Das elementare im Fussball ist immer das Spiel. Und deshalb besitzt der Fussball auch zwei Milliarden Follower auf der ganzen Welt – mehr als jede Religion, jedes Land und jede politische Bewegung. Aber damit hat der Fussball auch eine grosse wirtschaftliche und politische Bedeutung erhalten. Und diese Entwicklung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Du bist bereits 1975 zur FIFA gestossen – was war deine Vision damals, als junger Mann, ganz am Anfang deiner Karriere?
Ich muss dich korrigieren. Begonnen habe ich im Oktober 1974 – nach einem Handschlagvertrag mit dem damaligen Präsidenten João Havelange. Meine grosse Vision war immer die weltweite Entwicklung des Fussballs – damit sich das Spiel nicht nur auf Europa und Südamerika beschränkt. Im Zentrum stand für mich auch immer der afrikanische Kontinent. Deshalb würde ich es rückblickend als mein grösstes Vermächtnis bezeichnen, dass die WM 2010 in Südafrika stattfand. Besonders am Herzen lag mir auch der Frauenfussball. Und auch hier haben wir einiges erreicht.

Hat sich deine Vision erfüllt – oder würdest du rückblickend Dinge anders anpacken?
Die Vision wurde für mich zur Mission. Und ich kann sagen: Ich habe sie mit Leidenschaft erfüllt.

Eine globale Organisation wie die FIFA, mit unzähligen Sprachen aber auch grundverschiedenen Mentalitäten als eine «Familie», wie du sagst, unter einem Dach zu vereinen und vereint zu halten – wie hast du das hingekriegt?
Dafür braucht es Einsatz, Geduld, Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick. Und natürlich eine grosse Verbundenheit mit dem Spiel. Mir kam sicher auch entgegen, dass ich nicht nur Walliserdeutsch fliessend spreche.

Kaum ein Staatschef, den du als FIFA-Präsident nicht getroffen hättest … was stand bei diesen Begegnungen im Vordergrund?
Bei diesen Begegnungen stand der Fussball als Spiel im Vordergrund – aber auch in seiner Rolle als kultureller, politischer und gesellschaftlicher Faktor. Und last but not least haben wir immer auch die Bedeutung des Fussballs als Faktor für die Volksgesundheit und die Erziehung von Kindern und Jugendlichen thematisiert.

Inwiefern hat deine Heimat, die Schweiz, von deinem Einfluss und langjährigen Netzwerken für den Fussball profitiert?
Ich stand immer mit dem Aussendepartement EDA in Kontakt. Wenn ich einen Staats- oder Regierungschef getroffen habe, lud ich jeweils den Schweizer Botschafter des entsprechenden Landes zu diesen Treffen ein. So kam es zu Gesprächen ausserhalb des diplomatischen Protokolls.

Letztlich gab es kein «Happy End» … in deinem aktuellen Buch «Overtime» veranschaulichst du die Ereignisse aus deiner Sicht – was ist die für dich wichtigste Erkenntnis, die du gewonnen hast?
Mein Führungsstil basierte immer auf Vertrauen. Rückblickend war ich wohl etwas zu gutmütig. Aber letztlich darf ich auf 42 sehr erfüllende und grossmehrheitlich erfolgreiche Jahre zurückblicken. Mein Nachfolger hatte das Glück, sich in ein gemachtes Nest setzen zu dürfen – mit 11, Milliarden Dollar Reserven, Cash sowie Fernseh- und Marketing-Verträgen.

Ethik ist ein viel genanntes Wort im Zusammenhang mit der FIFA: Wie kann aus deiner Sicht Ethik funktionieren, wenn so viel Geld mit ebenso vielen persönlichen Interessen das Spiel mitbestimmen – und auch immer mehr geopolitische Interessen?
Ethik basiert auf Respekt, Fairplay und Anstand. Das liegt im Ermessen und in der Verantwortung jedes einzelnen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Aber der Fussball kann nicht besser sein als die Menschen.

Ist die FIFA Weltmeisterschaft nicht ein Opfer seiner selbst geworden – ich meine damit: Immer grösser, immer mehr, immer neuere Medien und Kanäle usw. – riskiert sie damit am Ende nicht ihre «Selbstzerfleischung»?
Die WM in Katar hat gezeigt: Das Turnier funktioniert überall und zu jeder Jahreszeit. Dass die WM nun aber mit 48 Teams gespielt wird, ist des Guten zu viel. So riskiert der Anlass, einen Teil seiner Exklusivität zu verlieren.

Gibt es für dich Grenzen bei den Gehältern der Top-Spieler – wie erklärst du dieses Phänomen, das gerade nach der WM in Katar keine Limits mehr zu kennen scheint?
Wir befinden uns in der freien Marktwirtschaft. Und hier gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage.

War es richtig, die WM 2022 an Katar zu vergeben?
Ich habe damals für die US-Bewerbung gestimmt. Aber rückblickend darf ich nochmals sagen: Sportlich war die WM in Katar ein Erfolg.

Hast du dafür Verständnis, wenn Fans sagen, sie fühlten sich immer öfters als Spielball von Interessen einiger Fussball-Funktionäre – wie lässt sich die Seele des ältesten und einzigen Spiels, das alle Kulturen gleichsam interessiert und belebt, erhalten – wie dieses «Gute am Spiel» (ein Slogan der FIFA) für die Zukunft wahren?
Ich zitiere hier ein altes Sprichwort: Allen Menschen recht getan, ist eine Tugend, die niemand kann. Aber der Erfolg des Fussballs spricht für sich – und 2 Milliarden Menschen können sich nicht irren.

Hat die FIFA-Organisation aus deiner Sicht heute noch eine Zukunft mit und in der Schweiz?
Ja. Unbedingt. Zürich sollte die Welthauptstadt des Fussballs bleiben – und schliesslich wohne auch ich noch hier. Und bezahle meine Steuern immer pünktlich.

Du hast als junger Mann über 20 Jahre in verschiedenen Klubs, zuletzt bei den Veteranen von GC, gespielt, bist bemerkenswert fit – was sind deine zukünftigen Milestones für den Fussball und was dein noch sehnlichster Wunsch?
Ich habe im Fussball alles gesehen, was man sehen kann. So gesehen bin ich wunschlos glücklich. Nur fehlt mir noch, dass der FC Visp wieder in die 2. Liga aufsteigt.


CR: Und zum Schluss: Welche Frage darf ich dir beantworten?
SB: Was würdest Du machen, wenn Du morgen zum FIFA-Präsidenten gewählt würdest?

CR: Diese Frage kann ich dir in einem Satz beantworten: Ich würde die Wahl dankend ablehnen! Das käme nicht gut mit mir: Zu weit auseinander liegen meine Ideale von kultureller Gemeinsamkeit und die monetären Ansprüche, welche den Fussball heute als globales Geschäft antreiben und beherrschen.

PERSÖNLICH

Sepp Blatter wurde am 10. März 1936 im Walliser Städtchen Visp geboren. Er studierte Wirtschaft und erlangte in der Schweizer Armee den Grad des Regimentskommandanten. 1974 trat er als Direktor für Entwicklungsprogramme in die FIFA ein. Dies war der Start einer beeindruckenden und höchst erfolgreichen Karriere im Weltsport. Blatter machte aus einem Verein mit elf Mitarbeitern einen globalen Konzern mit über 450 Festangestellten. Als er 1998 zum achten FIFA-Präsidenten gewählt wurde, wies der Weltfussballverband 20 Millionen Dollar Schulden aus. Unter seine Amtszeit fallen die bisher wohl wichtigsten Entwicklungsschritte im Weltfussball. Blatter brachte die WM-Endrunde nach Asien und Afrika. Er läutete mit der «Hochzeit» zwischen Fernsehen und Fussball die Entwicklung des Spiels zum weltumspannenden Mediengeschäft ein. Als er 2016 abtreten musste, wies die FIFA Vermögenswerte von 1,5 Milliarden Dollar aus. 2006 gründete er die Stiftung «Sepp Blatter Foundation», die Fussball- und Sportprojekte in der Schweiz unterstützt.

SEPP UND BERN

Ich schätze an Bern besonders:
Die Gemütlichkeit der Berner und die Gemächlichkeit der Politiker.

Das mache ich am liebsten in Bern:
Den Walliser Verein besuchen. Und mit Jöggi Rihs über Fussball sprechen.

Ich vermisse in Bern:
Meinen Walliser Copain Raphael Wicky.

WETTBEWERB

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