Seit vielen Jahren ist Sonja Knapp eine weltweit gefragte Künstlerin und Designerin. Im Gespräch mit Claudio Righetti erzählt sie, wie sie sich als junges Mädchen in Paris einen Namen machte, weshalb sie zusammen mit Emanuel Ungaro ein Modehaus gründete und warum Design eine ganz andere Welt als Kunst ist.
Liebe Sonja, welche Eigenschaften braucht ein Künstler, eine Künstlerin?
Ich denke, das Wichtigste ist Herzhaftigkeit! Ich war immer couragiert und unerschrocken. Ohne das kannst du kein Künstler, keine Künstlerin sein – als Künstler musst du etwas wagen! Die Kunst sollte auch nie die Natur imitieren – ganz im Gegenteil: Kunst ist für mich die Natur. Ich entwickle mich mit ihr, indem ich im Rhythmus von Licht und Schatten eine ausdrucksvolle, plastische Poesie aufspüre. Jede meiner Skulpturen widerspiegelt meine Innenwelt, meine Gedanken und Gefühle. Es geht mir also nicht darum, etwas mitzuteilen oder genau wiederzugeben: Meine Skulpturen sollen den Betrachtenden emotional berühren und ihn ermutigen, darin seine eigene Poesie zu finden. Kunst ist meine Lebensenergie!
Wie entstehen deine Skulpturen?
Wenn ich an einer Skulptur arbeite, begebe ich mich in eine kreative Einsamkeit und bin nur noch in meinen Gedanken für das neue Werk vertieft. Die Formen perfekt zu definieren, ist meine grösste Herausforderung. Denn nicht die statische Figur soll letztlich Mittelpunkt sein, sondern die Lichtspiegelungen und Reflexionen, die vom hochglanzpolierten Edelstahl ausgehen. Das Metall, welches meine Skulpturen zum «Leben» bringt, ist sehr eigenwillig und setzt eine genaue Kenntnis seiner Eigenschaften und Eigenarten voraus. Die exakte Anordnung der einzelnen Arbeitsschritte ist komplex und aufwändig. Mein Ziel ist dann erreicht, wenn sich die Skulptur durch die Reflexionen des Lichts leicht und sanft zwischen der sichtbaren und geistigen Welt bewegt – und dennoch kraftvoll ihren Platz im Hier und Jetzt einnimmt, frei und bedingungslos.
Du hast in Paris zuerst als Grafikdesignerin Erfolge gefeiert, dann, noch blutjung, die weltbekannte Maison Emanuel Ungaro mitbegründet. Berühmtheit hast du als Modedesignerin erlangt. Wie unterscheiden sich aus deiner Sicht Design und Kunst?
Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Ein Kunstwerk ist Wahrheit, die Verinnerlichung deiner selbst. Modedesign hingegen ist eine rein oberflächliche Gestaltung, die gefallen muss und einem kommerziellen Bedürfnis nachkommt. In beidem findest du, wenn du so willst, meinen Stil und meinen kreativen Fingerabdruck. Aber Kunst ist nicht zu verwechseln mit dem, was Gefallen muss und nur einem äusserlichen Erscheinungsbild dient, wie die Mode dies tut. Auch dann nicht, wenn es sich um gute Mode handelt – an der Oberfläche entsteht niemals Kunst!
Du hast dich schon als Designerin für die Skulptur interessiert. Wie sind eigentlich deine legendären «Body Sculptures» für die Maison Ungaro entstanden – war dafür die Designerin oder die Künstlerin Sonja Knapp am Werk?
Das war für mich eine kreative Rettungsaktion (lacht). Wir hatten damals für unsere Abendkleider Stickereien erhalten, die nicht unserm Konzept entsprachen – ich dachte mir: Wenn du diese Stickereien in eine Skulptur einbindest, dann wird man auf diese schauen und der Stoff wird nur noch einen ausschmückenden Charakter haben. Die skulpturalen Elemente und Masken modellierte ich dann unseren Mannequins direkt auf den Leib. So entstanden die ersten Body Sculptures.
Der Effekt war brilliant! Die französische Vogue feierte einen «neuen, selbstbewussten Frauenstil» und der Fotograf Richard Avedon schuf mit einer deiner Masken eine seiner bekanntesten Modefotografien. Sogar Yves Saint Laurent hat später das Thema der Körperskulpturen aufgegriffen.
Ich habe damit meine Vision kreiert, nicht einen neuen Frauenstil – eine Vision, die einer Frau Stil gibt, sie verherrlicht. Die Fotografen haben dann dokumentiert, was ich geschaffen habe. Die metallenen Body Sculptures mussten nicht nur visuell attraktiv sein – sie mussten auch am Körper einer Frau überzeugen, ihr schmeicheln. Richard Avedon hat das wunderschön in seinen Fotografien eingefangen.
Aus aktuellem Anlass der Olympischen Spiele hast du das Thema der «Body Sculptures» noch einmal aufgegriffen, mit einer Silbermaske und Skulptur, welche in der Ausstellung «Liasons Suisses» noch bis zum 8. September in Paris zu sehen ist (siehe Foto oben). Ein Blick zurück oder in die Zukunft?
Weder noch. Ich denke, wir haben damals Dinge kreiert, die zwangsläufig getragen werden mussten – um schöner zu sein, einen Stil zu verkörpern usw. – das alles war, wie die Mode auch, vergänglich! Die Kreation heute ist ein archaisches Objekt, eine Metapher zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie steht als Skulptur zwar statisch in einer Vitrine, doch kann man die Maske auch tragen, zum Beispiel um sich vor fremden Blicken zu schützen, sich geheimnisvoll zu machen – oder auch nur um die Altersfalten zu kaschieren (lacht). Das Werk ist also auch ein sozio-kulturelles Experiment mit der eigenen Persönlichkeit.
Du bist sehr jung nach Paris gegangen, mit einer starken Persönlichkeit zwar, aber dennoch: Wie hast du dich durchgesetzt als so junge Frau, in einer vornehmlich männerdominierten Arbeitswelt damals?
Ich hatte an der Kunstgewerbeschule in Zürich eine ausgezeichnete Ausbildung und mein Grafik-Metier von der Pike auf gelernt. Und ich war eben auch eigenwillig und couragiert. Begonnen habe ich damit, für die Galeries Lafayette Preisschilder von Hand zu gestalten. Dann, eines Tages, wurde ich nach meinen Ideen für das Design von Plakaten und der grossen Schaufenster angefragt. Die Menschen waren damals sehr offen und zugänglich: Warst du gut und deine Arbeit überzeugend, bist du rasch weitergekommen. Ich war geistig wie auch kreativ schon immer sehr flexibel, was mir entgegenkam. So vertraute man mir schon sehr bald die künstlerische Leitung der Galeries Lafayette an. Mein Talent war in Paris mein Türöffner.
Dann hast du Emanuel Ungaro getroffen und mit ihm das Modehaus gegründet. Wie gross war der Wechsel von der Grafik in die Mode?
Typographie und Grafik, das kannst du lernen. Für die Mode brauchst du Geschmack und einen überzeugenden persönlichen Stil. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass in den Galeries eine arbeitet, die gut ist (lacht). Ich konnte gut Zeichnen und Gestalten, Emanuel gut schneidern. Ich designte die Stoffe mit auffallenden grafischen Elementen und kombinierte diese Ideen in neuen Kollektionen die Emanuel in eine perfekte Passform brachte. Es war ein Bruch mit Traditionen, denn ich wollte keine Mode für die Salons kreieren, sondern eine Mode für die Strasse, eine visuell neue Modernität erlangen, worin sich eine Frau zu jeder Zeit wohlfühlen konnte. Kreativ war es für mich ein ganz neuer Weg.
Und zum Schluss: Welche Frage darf ich dir beantworten?
Sonja: Was macht die Kunst mit der Welt?
Claudio: Ein grosser Begriff… eine Welt ohne Kunst – das wäre wie ein Körper ohne Seele! Deshalb kann ich mir das Leben ohne Kunst gar nicht vorstellen. Es wäre blutleer, langweilig und hätte nichts mehr mit dem Leben und den Menschen zu tun. Darum bringt für mich die Kunst der Welt von allem am meisten! cr