Diese Frage hat Christian Wohlwend wohl schon gefühlte tausend Mal gestellt bekommen. Denn dass es keinen geben soll, klingt wirklich fast zu schön, um wahr zu sein. Aber, die VERD Purpose Genossenschaft verfolgt effektiv einen alternativen Ansatz und kann als eine gesellschaftliche Innovation bezeichnet werden.
«Wenn mich etwas stört, dann muss ich versuchen, das zu ändern», umschreibt Christian Wohlwend, Vorsitzender und «Vater» von VERD seine Motivation. Gestört habe ihn beispielsweise, dass die aktuellen Bezahlsysteme viel zu hohe Gebühren für Transaktionen verlangten, der so generierte Betrag beläuft sich pro Jahr auf gut 1,7 Milliarden Franken. Mit VERD.cash wolle er eine Alternative bieten. «Eine, die den Public Value, also den gesellschaftlichen Wert und nicht die individuelle Gewinnmaximierung anstrebt», erklärt er.
«Love it, change it or leave it»
«Liebe es, ändere es oder verlasse es» ist seit jeher Christian Wohlwends Motto. Nach seiner Lehre bei der SBB, führte ihn sein beruflicher Weg später in nationale und internationale Unternehmen, wo er in der Personalleitung tätig war, bis er 2006 Betriebsleiter von Bernmobil wurde. «Der Öffentliche Verkehr faszinierte mich schon immer. Und ich konnte bei Bernmobil viel bewegen.» Technisch wäre noch viel mehr möglich gewesen, die Umsetzung scheitert am Willen zur Zusammenarbeit der Verkehrsunternehmen. Und so entschloss sich Christian Wohlwend nach zehn Jahren für Punkt drei seiner Lebensmaxime: leave it! Also ging es auf zu neuen Ufern. Denn an Ideen mangelte es ihm noch nie.
Unterschiedliche Projekte – eine Basis
Er wollte fortan mehr denn je weg vom Egoismus, hin zur Gemeinschaft. «Traditionelle Geschäftsmodelle in unserem Wirtschaftssystem sind darauf ausgerichtet, den individuellen Gewinn zu maximieren», erklärt Wohlwend. «VERD Purpose verfolgt einen alternativen Ansatz. Als privatwirtschaftlich orientiertes Unternehmen strebt es zu 100 Prozent den Public Value – also gesellschaftlichen Wert – an.» Das heisst, die Gewinne aus den Dienstleistungen fliessen in die Gemeinschaft zurück. Deshalb auch ist VERD Purpose eine Genossenschaft. Jede in der Schweiz wohnhafte Person und jedes Geschäft mit Sitz in der Schweiz kann mit dem Kauf eines Anteilscheins von fünf Franken Mitbesitzer von VERD Purpose werden (siehe Box).
Erstes Projekt: VERD.cash
Er startete vor gut sieben Jahren mit dem Projekt VERD.cash, viele weitere Dienstleistungen sollen folgen. Der gemeinsame Nenner bei allen soll ein sinnvoller Nutzen für die Gemeinschaft sein. «Mit dem Zusatz ‹Purpose›, also Zweck und Sinn, möchten wir dies zum Ausdruck bringen». Mit grossem Enthusiasmus hat Christian Wohlwend diese Idee in Angriff genommen, inzwischen konnte er diverse Privatpersonen begeistern, die VERD mit Darlehen unterstützen. Auch die Fachhochschule Nordwestschweiz ist mit an Bord, da es ein vergleichbares Modell in der Schweiz bisher noch gar nicht gebe. Susanne Hadorn, Co-Leiterin des Instituts für Nonprofit und Public Management, bezeichnet VERD deshalb als «soziale Innovation». Aus diesem Grund, so Wohlwend mit einem Schmunzeln, seien klassische Investoren bei ihnen nicht am richtigen Ort. Denn: «Unser Gewinn fliesst in die Projekte zurück.» Mit schlanken, effizienten Strukturen und Lohndeckeln soll der administrative Aufwand auch in Zukunft so gering wie möglich gehalten werden.
Wer profitiert?
Die erste Gemeinde, die beim Projekt mitmachte, ist Riggisberg. Das ist deshalb nicht ganz zufällig, weil Wohlwend selbst dort lebt. Riggisberg hat also seinen «Bevölkerungstopf» aktiviert, auch die Gewerbetreibenden sind inzwischen mit an Bord. Diese Aktivierung kann die Exekutive – in Riggisberg der Gemeinderat – in Auftrag geben. Jede der über 2000 Gemeinden in der Schweiz hat seit Januar 2025 einen eigenen Topf. VERD.cash ist sowohl für Banken als auch für das Gewerbe interessant. Denn der Händler hat keine Installations-Kosten. Er kann sein bestehendes Bezahlterminal ohne Zusatzaufwand weiter nutzen, die Transaktion kostet mit 0,6 Prozent deutlich weniger als bei den gängigen Zahlungslösungen. Und wer VERD.cash einsetzt, unterstützt und entlastet somit sein Lieblingsgeschäft und trägt mit den dank der selbst generierten Erträge zu einem lebendigen Dorf bei.
VERD strebt zu
100 Prozent den Public
Value – also gesell-
schaftlichen Wert – an.Christian Wohlwend
Schon 15 000 Franken im Topf
In Riggisberg sind aus Sponsoringbeiträgen bereits 15 000 Franken im Bevölkerungstopf zusammengekommen. Die in der Gemeinde wohnhaften VERD-Genossenschafter konnten deshalb Ende Januar erstmals Geld aus dem Bevölkerungstopf für von ihnen vorgeschlagene Projekte einsetzen. Die 30-Jahr-Feier der Ludothek Riggisberg wurde mit 6000, die Optimierung des Waldschulplatzes mit 5700 Franken unterstützt. Der Rest des Geldes verbleibt im Topf für nächste Unterstützungsprojekte.
Innovationspreis für VERD
Ebenfalls diesen Januar wurde die VERD-Idee mit dem Innovationspreis des Naturparks Gantrisch ausgezeichnet. Dieser fördert mit der Wirtschafts-Vision Gantrisch und weiteren Partnern innovative und nachhaltige Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen. Die Nominierten erhalten eine Plattform, um sich zu präsentieren und ihre guten Ideen der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Genau das braucht VERD denn auch dringend: dass die Öffentlichkeit davon erfährt und Vertrauen aufbauen kann.
Kontinuierliche Verbreitung
Bereits Mitte dieses Jahres will Christian Wohlwend mit seinem Team eine grössere Anzahl Schweizer Gemeinden von VERD.cash überzeugt haben. Ausserdem Unternehmen, die nicht nur Sitz in der Schweiz haben, sondern auch hier produzieren, sowie Gewerbetreibende und Bankinstitute. Und natürlich so viele in der Schweiz wohnhafte Personen wie möglich. Denn je mehr mitmachen, desto mehr Geld fliesst wieder zurück in die Gemeinschaft, in ihre eigenen Gemeinden. «Wir wollen einfach eine Alternative bieten, indem wir bei den Wurzeln beginnen. Das ist keine schnelle Lösung, aber eine nachhaltige.»
Der Name VERD ist übrigens die rätoromanische Bezeichnung für Grün. «Das Wort gefiel mir, es klingt schön, ist kurz und die URLs dazu waren noch frei!», sagt der clevere Geschäftsmann und der Idealist in ihm fügt augenzwinkernd an: «Und es steht natürlich auch für die Hoffnung auf gemeinschaftlichere Zeiten!»



Fotos: Daniel Zaugg