Kinder, die nicht bei ihren eigenen Eltern leben können, sollen trotzdem in Geborgenheit aufwachsen dürfen. Dafür setzt sich der Verein Pflegekind Bern im Kanton Bern ein. Co-Geschäftsleiter Herbert Ammann erzählt über die Arbeit seiner Fachstelle.
Beschreiben Sie uns bitte in kurzen Worten die Tätigkeit von Pflegekind Bern!
Wir beraten und begleiten Pflegefamilien und vermitteln Pflegeplätze für Kinder, welche nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können. Zudem vermitteln wir Entlastungsplätze für Familien, welche zu stark belastet sind. Bei Bedarf unterstützen wir Pflegekinder auch finanziell.
Welches sind die häufigsten Gründe, ein Kind von einer Pflegefamilie betreuen zu lassen?
Die Eltern sind aus irgendeinem Grund nicht fähig, die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten. Die Ursachen sind oft körperlicher oder psychischer Natur, zum Beispiel Sucht und/oder schwere psychische Krankheiten. Auch der Tod eines Elternteils kann unter Umständen zu einer Fremdplatzierung in eine Pflegefamilie führen.
Was sind die idealen Voraussetzungen für eine Pflegefamilie?
Die «ideale» Pflegefamilie hat Platz, genügend Zeit und Energie und ist bereit, auch ein Abenteuer mit einem Familienzuwachs und dieser speziellen Aufgabe und Rolle einzugehen. Pflegefamilien sind offen gegenüber den Herkunftsfamilien und unterstützen die Kontakte und Beziehung der Pflegekinder zu ihren leiblichen Eltern.
Statten Sie den durch Sie vermittelten Pflegefamilien regelmässig Besuche ab?
Wenn wir den Auftrag der Behörden erhalten, die Pflegefamilien zu begleiten und zu beraten, haben wir häufig Kontakt mit den Pflegeeltern sowie den Pflegekindern. Ansonsten ist es oft die Beiständin oder der Beistand sowie die jeweilige Pflegekinderaufsicht, welche Kontakt nach einer Vermittlung zu den Pflegefamilien haben.
Wie und von wem werden Pflegeverhältnisse kontrolliert und betreut?
Die Pflegeverhältnisse werden häufig durch die Beiständinnen und Beistände sowie der Pflegekinderaufsicht kontrolliert. Falls wir einen Auftrag der Behörden erhalten, ist es eine unserer Hauptaufgaben, Pflegefamilien in ihrer anspruchsvollen Aufgabe zu begleiten und zu beraten.
Wie siehts mit der Entschädigung aus?
Die Pflegefamilien werden mit einem kleinen Entgelt von den Gemeinden und vom Kanton entschädigt und erhalten die Rückvergütung der Nebenkosten der Kinder.
Wie ist die Arbeitsteilung zwischen Kantonalem Jugendamt und Pflegekind Bern?
Wir sind in einem Gesamtleistungsvertrag mit dem Kantonalen Jugendamt. Jährlich geben wir dem Amt Auskunft über die Erreichung unserer Leistungsziele. Unsere unternehmerischen Freiheiten werden aber immer mehr eingeschränkt, was unserer Fachstelle zunehmend Schwierigkeiten bereitet. Dies hat leider immer häufiger negative Auswirkungen auch für die Arbeit mit den Pflegekindern und den Pflegefamilien.
Ist ein Pflegeverhältnis in jedem Fall meldepflichtig?
Wer ein Kind in seine Familie mehr als einen Monat entgeltlich oder mehr als drei Monate unentgeltlich aufnehmen will, benötigt eine Bewilligung. Dies gilt auch für Personen, die ein verwandtes Kind in ihre Familie aufnehmen wollen.
Ab wann kostet eine Beratung bei Ihnen etwas?
Wir sind zurzeit noch in der Lage, interessierten Pflegeeltern, hilfesuchenden Pflegekindern oder ratsuchenden Sozialarbeitenden – falls noch kein offizieller Auftrag mit den Behörden besteht –
kostenlose Beratung anzubieten. Diese Leistungen können wir jedoch dem Kanton nicht verrechnen und müssen anderweitig durch unser Fundraising finanziert werden.
Die Vermittlung eines abgeklärten Pflegeplatzes kostet 3112 Franken, gemäss kantonaler Verordnung. Wer bezahlt diesen Betrag, die abgebende Familie?
Oft sind Herkunftsfamilien nicht in der Lage, ein Pflegeverhältnis mitzufinanzieren. Die finanzielle Lage wird bei einer Platzierung von den Behörden jedoch in jedem Fall abgeklärt. Falls möglich, müssen die Eltern der Kinder sich an den verschiedenen Kosten bei einer Platzierung ihrer Kinder beteiligen.
Was erachten Sie zurzeit als grösste Herausforderung?
Die kantonalen Rahmenbedingungen sind für viele Pflegefamilien, für Pflegekinder und für uns als Fachstelle seit der Gesetzesänderung vom 1.1.2022 grösstenteils verschlechtert worden (Gesetz über die Leistungen für Kinder mit besonderem Förder- und Schutzbedarf KFSG). Diese veränderte Gesetzeslage hat leider neben wenigen positiven Veränderungen viele negative Auswirkungen auf den Kindesschutz und die Attraktivität der Aufgabe als Pflegeeltern. Kinder müssen wegen des Mangels an Pflegefamilien vermehrt in Heimen platziert werden. Die Kosten für den Kanton Bern sind bei einer Heimplatzierung um ein Vielfaches höher. In einer Familie könnten die Kinder geborgener aufwachsen.
Haben Sie persönlich auch schon Pflegekinder betreut?
Noch nicht. Aber ab meiner geplanten Frühpensionierung würde es mich sehr freuen, wenn wir als Entlastungsfamilie an einem bis zwei Wochenenden pro Monat Kinder betreuen und dadurch einer überlasteten Familie helfen könnten.