Gigga Hug ist eine Künstlerin, deren wichtigstes Tool das Smartphone ist. Im Gespräch verrät sie, wie die Mutterschaft sie verändert hat und warum sie gerne Stör-Apps nutzt.
Gigga Hug bittet den BärnerBär in ihre Wohnung. Hier befindet sich auch ihr Atelier, das sich die zweifache Mutter als kleine Insel eingerichtet hat. An einem kleinen Pult dürfen die Kinder, eine zehnjährige Tochter und ein achtjähriger Sohn Hörbücher hören und selbst etwas gestalten, während sie sich in ihre Arbeit vertieft. «Anders ist das nicht gegangen», verrät sie lachend. Bilder und Videos erstellt Hug grösstenteils auf ihrem Handy. «Du kannst damit überall arbeiten und ein Bild ist nie ganz fertig.» Spiegelungen, Landschaften oder psychedelische Muster entstehen, wenn sie vorgefundenes Bildmaterial, oder eigene Malereien und Zeichnungen mit der Hilfe von verschiedenen so genannten Stör-Apps bearbeitet. Ihre ersten Fotografien entstanden, indem sie Bilder direkt vom Fernsehbildschirm abfotografierte. Diese Pixelästhetik prägt bis heute ihr Werk. «Kunst war bei uns Zuhause sehr präsent», so Hug. Die Künstlerin ist das mittlere von fünf Kindern. «Ich bin wohl das typische, leicht exzentrische Sandwichkind.» So sei sie manchmal mit den Unterröcken der Grossmutter verkleidet in den Kindergarten gegangen. «Meine Mutter hat mich machen lassen.» Musikalisch und filmisch habe ihr älterer Bruder, ein bekannter People-Journalist, sie beeinflusst. Die Musik von Massive Attack und die Filme von Alfred Hitchcock und David Lynch hätten sie geprägt. «Ich mag unheimliche Sachen.»
Vom Sehen und Nichtsehen
Ein schwarzweisses Foto bei Hug Zuhause zeigt sie mit ihren Geschwistern. Sie ist das Mädchen mit den Brillengläsern. «Ich musste als Kind mehrmals an den Augen operiert werden.» Heute sehe sie scharf wie ein Adler. Das Sehen und Nichtsehen ist vielleicht nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrung ein grosses Thema in Hugs künstlerischen Arbeit. In ihren sich ständig fortsetzenden Handzeichnungen, die sie «dessin automatique» nennt, erkennt man nie alle Figuren auf einmal. Gesichter und Körper gehen nahtlos ineinander über, der Tod – in Form eines Skelettes – mischt sich kaum sichtbar unter Körper von Männern und Frauen. «Diese Zeichnungen entstehen mit Fineliner auf Papier». Es gebe unzählige von diesen Blättern, die sie gerne einmal als Installation inszeniert zeigen würde.
Puppen in Prag
Hug hat das Lehrerseminar besucht, dann Deutsch, Französisch und Bildnerisches Gestalten studiert und schlussendlich eine Weiterbildung in Kunstvermittlung absolviert. Sie leitete während zweier Jahre das Kunstlabor im Zentrum Paul Klee, hatte aber das Gefühl, zu wenig selbst bestimmen zu können. Heute unterrichtet sie wieder leidenschaftlich Bildnerisches Gestalten. «Ich bin eine Lehrerin, die immer zeichnet», so Hug. Und sie bringe viele ihrer Themen – Körper, die Frauenrolle, das automatische Zeichnen – in den Unterricht mit ein. 2009 erhielt sie ein Stipendium für einen Prag-Aufenthalt. Damals beschäftigte Hug sich mit Puppen, die sie sammelte, inszenierte und in blauem Licht fotografierte. «Mir gefiel die Plastizität», so Hug. Der Körper und dessen Vergänglichkeit beschäftigt sie. «Ich glaube der Mensch macht Kunst, weil er Angst vor dem Tod hat.» Ihre jüngere Schwester, die sie in Prag besuchte, fand ihr Atelier voller Puppen gruselig. «Sie konnte fast nicht dort übernachten», so Hug. Mit der Geburt ihrer Kinder war die Puppenserie zu Ende. «Ich hatte jetzt meine eigenen Babys.»
Plötzlich ist da jemand
Die Mutterschaft hat Hug als einschneidend erlebt. «Plötzlich ist da jemand auf der Welt, den Du beschützen musst. Du bist nicht mehr allein.» Kunst und Kinder unter einen Hut zu kriegen, empfindet sie als Spagat. «Man wird unflexibler.» Der Titel einer ihrer Zeichnungen lautet: «Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.» Besonders für ehrgeizige Frauen und Männer sei die Elternschaft nicht immer einfach. Ihr Mann, der in Tunesien aufgewachsen und in der IT-Branche tätig ist, musste für die Familie in seinem Hobby als Musiker zurückstecken. Culture Clash, das gäbe es in ihrer Ehe manchmal schon, erklärt die Künstlerin. Meist seien es kleine Dinge, die man anders sähe oder beurteile. Kennengelernt hat Hug ihren Mann über die sozialen Medien. «Wir mochten die gleiche Musik und teilten ein Faible für den Schauspieler Benicio del Toro, der meinem Mann ein wenig gleicht», verrät sie lachend.