Was darf sich Kunst nennen, was nicht? Braucht es die Definition überhaupt und wer setzt die «Grenzen»?
Egal. Die Geschichte von Iris Klötzli, seit vielen Jahren wohnhaft in einem Pflegeheim in der Agglomeration Bern, ist eine ziemlich traurige, aber dennoch schöne… Iris Klötzli begann mit über 60 Jahren zu zeichnen. Die trotz ihrer halbseitigen Lähmung unternehmungslustige und immer fröhliche Frau, besuchte eines Tages im Heim das Atelier und vertiefte sich fortan fast täglich ins Zeichnen … Alles, was ihr gefällt, sammelt sie und zeichnet es ab. Was dabei herauskommt, sind ausdruckstarke Bilderwelten, die an Geschichten aus Märchenbüchern oder aber auch vielleicht an ihre Kindheit erinnern.
Iris, können Sie sich an Ihren ersten Tag im Atelier erinnern?
Nein, aber ich erinnere mich, dass das Heim ganz anders aussah, dass es gemütlich war, mit einem Kaffee beim Entrée, wo sich immer alle trafen. Und es gab einen Kiosk, wo es Zeitschriften und allerlei Kleines zu kaufen gab.
Sie haben nie gezeichnet, bevor sie ins Heim kamen. Was gab Ihnen den Ansporn, ins Atelier zu gehen und es mit dem Zeichnen und Malen zu versuchen?
Ich habe immer versucht, mich im Heim zu beschäftigen und viele Angebote zu besuchen. Man hat mich dann eines Tages gefragt, ob ich Lust zu malen hätte und ich sagte: Ich probiere es mal. Das Atelier hat mir gefallen und so habe ich damit begonnen, Verschiedenes auszuprobieren. Besonders gut hat mir das Abzeichnen gefallen. Dabei bin ich bis heute geblieben, wenn auch ich nicht mehr jeden Tag viel zeichne.
Weshalb nicht?
Ich bin müde geworden und schlafe auch viel. Aber mir gefällt das Zeichnen immer noch und es ist ein bisschen, wie in einer anderen Welt zu sein.
Sie zeichnen mit Vorliebe Tiere und Menschen, als Vorlage verwenden Sie Hefte, die im Heim aufliegen oder die Sie abonniert haben. Machten Sie das schon immer so?
Ja, das war für mich am einfachsten, das Abzeichnen. Ich mag es, in Heften zu blättern – da gibt es so viele schöne Sujets. Die setze ich auf dem Blatt Papier zu einem neuen Bild zusammen.
Sie haben ein sehr gutes Gefühl für Farben – Ihre meisten Bilder sind sehr bunt und fröhlich.
Ja, ich liebe Farben. Ich wähle diese aber unbewusst und freue mich, wenn das Gesamtbild dann so schön stimmig ist.
Womit zeichnen Sie?
Am Liebsten mit Filz- und Farbstiften. Da ich sehr oft mit kleinen Mustern und Symbolen arbeite, ist das Malen mit Pinsel für mich eher schwierig, aber ich habe auch schon auf Leinwänden gemalt.
Was fühlen Sie beim Zeichnen? Erinnern Sie sich an frühere Momente oder Träume?
Ich kann beim Zeichnen abschalten und es macht die Tage kürzer. Ich kann mich nicht an Träume erinnern, doch meine Kindheit in Matten war schön und ich hatte mit meinem Bruder, der nicht mein leiblicher Bruder ist und in derselben Pflegefamilie aufwuchs, ein schönes Verhältnis. Er besucht mich auch heute noch hier im Heim obwohl er immer noch in Meiringen lebt. Er kommt mit dem Zug; eine lange Reise für ihn.
Stellen Sie in Ihren Bilderwelten auch Kindheitserinnerungen dar?
Nein, diese Bilder entstehen zufällig und sehen einfach manchmal wie Geschichten aus. Das Schiff mit den vielen winkenden Passagieren zum Beispiel. Es gibt es zwar mitunter, dass ich eine Szene aus dem Heim darstelle, wie einmal eine Frau in einem Rollstuhl oder ein Mann an einem Rollator, aber das geschieht nicht bewusst.
Sie haben mit einigen Ihrer Malkolleginnen schon dreimal in Galerien ausgestellt. An einer Ausstellung in Zusammenarbeit mit zwei Galerien in der Lorraine konnten Sie viele Bilder verkaufen, auch an einen bekannten Kunstsammler, der zehn Bilder erwarb. Was dachten Sie damals?
Ich war sehr erstaunt. Ich verstand am Anfang gar nicht, was dieser Herr eigentlich von mir wollte, als er mich in der Galerie zu sich rief. Und dass er so viele Bilder kaufte, fand ich schön. Das hat mich schon ein wenig stolz und glücklich gemacht.
Würden Sie gerne wieder ausstellen oder sind Ihnen Ausstellungen eher unangenehm?
Ja, sicher würde ich gerne wieder ausstellen, aber lieber nicht im Heim, sondern draussen, wo auch Menschen kommen, die mich nicht kennen. Ich liebe es, an Ausstellungen mitzumachen. Die Ausstellung in der Lorraine fand ich toll, weil sie so nahe war und so viele Leute kamen. Viele wussten gar nicht, dass ich so viel zeichne.
Anmerkung: Iris Klötzli wird 2025 in der Galerie Artdirekt von Giovanni Schumacher gezeigt.