Lo & Leduc träumen auch nach dem Erfolg von «079», der kaum zu toppen sein wird, weiter und sorgen im Dachstock für frische «Luft».
Wie denkt ihr über die Glaubenssätze in der Single «The Dream», man müsse immer alles geben und an sich glauben? Setzen die einen nicht auch unter Druck?
Leduc: Gestern hatten wir gerade ein Gespräch mit jemandem, der sagte, er hätte den Song zuerst nur nebenbei gehört und gedacht, wir hätten nur ein weiteres «You can make it if you really want»-Lied geschrieben, von denen es schon sehr viele gibt. Diesen ersten Eindruck kann ich verstehen. Wir hinterfragen und kritisieren diese leidigen Glaubenssätze zwar, aber dadurch reproduzieren wir sie auch.
Welcher Traum stand am Anfang eurer Karriere?
Lo: Besonders in Erinnerung ist mir der Moment, als wir in einer Beiz in der Länggasse sassen und den Plan schmiedeten, durch das Gratis-ins- Netz stellen unserer Mixtapes die Fanbase so auszubauen, dass wir mit der Liveband, die wir schon vor zehn Jahren hatten, an Festivals auftreten konnten.
Seid ihr realistische Träumer?
Leduc: Nein, ich finde, dass dies durchaus grosse Träume waren. Das Problem ist ja auch nicht das Träumen, sondern dass heute auf Social Media selbsternannte Mentor:innen und Life-Coaches den Jugendlichen predigen, wie sie in Nullkommanix zu Erfolg und Reichtum kommen können. Und dabei nur selbst reich werden. Ich glaube, die Herausforderung ist es, die richtige Balance zu finden. Einerseits sind viel Geduld und Leidenschaft nötig, um zum Erfolg zu kommen, und andererseits das Bewusstsein, dass nicht jeder die gleichen Chancen hat. Natürlich müssen auch Harvard-Studenten, die mit ihren Start-ups Millionen verdienen, fleissig sein, aber seltsamerweise haben die meisten von ihnen auch sehr reiche Eltern …
Ihr scheint euch auch noch für andere Dinge als «nur» für Musik zu interessieren?
Leduc: Wir haben uns eine Nische gebaut, in welcher wir sehr viel lesen können und behaupten, das gehöre zu unserer Arbeit. Viele Leute haben dafür gar keine Zeit, was vielleicht auch einen Vorteil hat, da man sich sonst rasch Sorgen macht und sehr schnell alt wird – so wie wir (lacht).
Ihr wirkt reifer als andere Musiker in eurem Alter. Wie wichtig ist es für euch, Songs zu machen, die auf den ersten und den zweiten Blick etwas zu bieten haben?
Lo: Ich weiss auch nicht genau, was Reife heisst. Es gibt viele Leute, die sich Gedanken machen, egal ob Taxifahrer:innen, die extrem viele verschiedene Leute erleben, oder Wissenschaftler:innen, die viel genauer über soziologische oder strukturelle Verhältnisse Auskunft geben könnten, aber nur über eine geringe Medienpräsenz verfügen. Wir haben das Glück, dass wir Musik machen, die vielen Leuten gefällt und wir uns deshalb oft in der Öffentlichkeit äussern können. Deswegen überlegen wir uns, wie wir diese Stimme nutzen.
Leduc: Wir schätzen es bei anderen Künstler:innen sehr, finden es aber durchaus legitim, Lieder zu schreiben, die nur eine Ebene haben. Vielleicht wirken sie dadurch sogar intensiver. Die Gefahr besteht ja auch bei uns, dass wir zu viel in einen Text hineinpacken wollen.
Merkt ihr manchmal erst während der Arbeit, was in einem Song steckt?
Lo: Ja, «Money On My Mind» ist so ein Beispiel. Da war zuerst nur der Refrain, den man in der zweiten Staffel der Serie «Tschugger» hört. Wir überlegten uns, ob wir es dabei belassen sollten, also keinen weiteren Text hinzufügen. Schlussendlich wurde es zu einem dieser Lieder, das nur eine Ebene hat, oder eben doch nicht …
Leduc: Ein Tick von uns (lacht)!
Lo: Vielleicht raffiniert, vielleicht plump gemacht, aber es kreist wirklich nur um ein Thema. Es geht einfach nur um Geld und tut nicht mal so, als ginge es noch um was anderes. Es stellt sich einfach hin und sagt: «Doch, doch. Geld. Es ist wichtig. Gibs mir, denn ich brauche es.»
Auf welche Art Songs bekommt ihr mehr Feedback?
Lo: Das ist schwer zu beantworten. Die Social Media-Plattformen sind darauf ausgelegt, dass man schnell und kurz kommentiert, etwa «Hey super, Herz-Emoji» oder «Voll schwach». Persönlichere Nachrichten erreichen uns meist auf anderen Wegen.
Weshalb habt ihr gegen den Shitstorm Stellung bezogen, mit dem SP-Nationalrätin Tamara Funiciello überzogen wurde, nachdem sie «079» als sexistisch bezeichnet hatte, und mit ihr im Januar sogar den Videoclip zu «Taxi Taxi» gedreht?
Leduc: Wir befürworten eine öffentliche Diskussion wichtiger Themen. Der Fall hatte exemplarisch gezeigt, wie unsere Medienwelt heute funktioniert. Nachdem wir zusammen in «Taxi Taxi» zu sehen gewesen waren, reichte das für eine Titelseite. Es wäre schön, wenn wichtige gesellschaftliche Themen dieselbe mediale Präsenz erhalten würden. Tamara Funiciellos unermüdliches Engagement für die Revision des Sexualstrafrechts wäre eigentlich viel eher eine Titelseite wert.
Mit eurem Megahit habt ihr 2018 sicher eure kühnsten Träume übertroffen. Welche neuen Ziele habt ihr euch danach gesetzt?
Lo: Wir müssen diese Frage relativ häufig beantworten, weil Erfolg zu oft nur an Zahlen gemessen wird. Wir machen uns keine Illusionen: Wir werden nie ein zweites «079» landen. Wenn das der Grund gewesen wäre, weshalb wir Lo & Leduc gegründet haben, hätten wir wirklich ein Problem, aber das Schöne ist, dass uns immer neue Sachen unter den Nägeln brennen. Nun haben wir uns sogar den Luxus geleistet, 2022 zwei Alben herauszubringen.
Wie ist es dazu gekommen?
Lo: Am Anfang der Pandemie sind wir in unseren Stuben gesessen und dachten: «Jetzt können wir keine Konzerte geben. Also was machen wir?» So entstanden Lieder und Skizzen, die sich für uns irgendwann in zwei unterschiedliche Stimmungen einteilen liessen. «Mercato» sehe ich vor meinem inneren Auge als digitale Playlist, «Luft» als Schallplatte. Wir sind froh, dass das Album effektiv auch auf Vinyl veröffentlicht wird, da dort die Grafik besser zum Tragen kommt, die Lyrics mehr Beachtung finden und nicht nur einzelne Songs Wirkung erzielen, sondern auch ihr Zusammenspiel.
Welche Beziehung habt ihr zum Dachstock, in dem eure Plattentaufe stattfinden wird?
Lo: Die Reitschule ist ein Schmelztiegel für Generationen von Musikfans in dieser Stadt und gesellschaftlich enorm wichtig. Es ist für mich das schönste Konzertlokal in Bern.
Leduc: Es tönt in diesem Holz-Dachstock einfach unfassbar gut!
Reinhold Hönle
Die Rapper und Musiker Lorenz Häberli (36) und Luc Oggier (33) wuchsen in Bern auf, fanden sich 2007 bei der Mundartformation Pacomé und schafften den Durchbruch 2014 mit «Zucker fürs Volk», ihrem vierten Album als Duo. Die Geschichts- und Germanistik-Studenten wurden dafür mit drei Swiss Music Awards ausgezeichnet. 2018 stellte ihre Single «079» mit 21 Wochen an der Spitze der Hitparade einen neuen Rekord auf. Das neue Album «Luft» erscheint am 4. November. Konzerte: 11. (ausverkauft) und 12. November im Dachstock, Bern.