Filip Haag ist nicht «schubladisierbar» … zu vieles hat er erkundet und erfunden, als dass er sich in eine Stilrichtung drängen liesse. Er drängt sich lieber in unerforschte Gebiete, immer neugierig auf Neues, auf den kleinen Moment, der sich, wenn der Funke springt, zum Monument auswächst. So ist er nach Phasen, in denen er minimalisierte, wieder bunter unterwegs. Und Gold ist ihm – als Farbe und Bedeutungsträger – wichtig.
Sie sind künstlerisch vielseitig unterwegs. Als was sehen Sie sich am ehesten?
Ich sehe mich als Maler und sporadisch – neu – als Fotograf. Ich male jeden Tag im Atelier im Progr, da bringe ich Bilder aus dem Inneren ans Licht. Fotografieren bringt mich gelegentlich aus dem Atelier, ich betrachte das als poetischen Weg in die Wirklichkeit, als Reality Check. Ich kann besondere «Augen-Blicke» gut und schnell erkennen. Kunst ist leider elitär und teuer, wenige Leute besuchen Galerieausstellungen; Fotografie dagegen ist für alle besser sichtbar und nicht unerschwinglich.
Es ist kaum zu glauben, dass die Aufnahmen im Fotobuch «Kunst des Augenblicks» nicht inszeniert sind.
Inszenieren ist tabu. Ich besuche Ausstellungen mehrfach und kenne die Werke – und erkenne manchmal schon an der Kasse eine Person, die mit einem bestimmten Bild interagieren könnte … und versuche dann, sie da auch zu «erwischen». Das gelingt nicht immer; ich kann zu langsam sein, suboptimal stehen oder verwackeln. Einmal folgte ich im Metropolitain Museum in New York einer Besucherin, die einer von Goya Portraitierten glich, wie ein Zwilling. Als sie nach zwei Stunden bei Goya ankam, schaute sie das Bild nicht einmal an.
Ist die Leidenschaft für die Fotografie grösser als die für Malerei?
Nein, aber sie verbindet meine Themen. Ich habe Kunstgeschichte studiert, bin Maler und mich interessieren Menschen. So bringe ich alles zusammen.
Fühlen Sie sich als Künstler wertgeschätzt?
Bis zu einem gewissen Grad schon… Alle wünschen sich grosse, internationale Bedeutung, es könnte also mehr sein. Aber für meine Anerkennung habe ich wenig unternommen. Lange lebte ich – statt in Metropolen – am Thunersee. Ich arbeite einfach viel und gerne. Dafür, dass ich das täglich kann, bin ich dankbar. Berühmtheit kann ja einem Werk auch schaden.
Weil man dann «produziert»?
Viele berühmte Kunstschaffende waren in ihrer Anfangsphase interessanter. Chagall etwa malte anfänglich unglaublich intensive, gute Bilder, später wurden sie zur «Dutzendware». Spannung verliert sich, wenn im Werk nicht mehr zu kämpfen ist.
Weil mit der Berühmtheit die Freude am Kunst-Schaffen verloren geht…?
Ich drücke es anders aus: Für den Erfolg sollte man sich beschränken auf etwas, das dann Label werden kann; Giacometti formte «nur» noch schlaksige Figuren, Botero dicke, Mirò beschränkte sich auf Rundliches und Chagall malte Flugshows von Figuren. Und so weiter. So aber funktioniert der Markt und nicht das Leben.
Sie wollen nicht fassbar sein?
Kunst ist doch auch Erforschung! Hätte ich andere Prioritäten, würde ich mir eine Nische suchen und «Lieblingsbilder» malen.
Wo leben Sie sich mehr aus, in Ihren Strichel-Zeichnungen oder in den monumentalen Wandmalereien?
Meditative Versenkung und das Rauschhafte, beides fordert und fördert die Kunst. An den Zeichnungen verbringe ich – irgendwie meditativ – mitunter Hunderte von Stunden. Bilder umgekehrt passieren idealerweise rauschhaft. Bin ich im «Flow», so spüre ich, was das Bild von mir will. Ist es dann noch nicht gut genug und fertig, muss ich es später fast komplett übermalen, statt ins Detail zu gehen; da sind Werke ohne Ende, die seit 20 Jahren rumstehen.
Ein Grossprojekt waren 2023 zwei Wandbilder im Hotel Bern. War das Thema vorgegeben oder waren Sie frei?
Ich zeigte dem Architekten, der das Hotel umbaute, und dem Verwaltungsratspräsidenten im Atelier meine Vision – die Bilder sollten Raum und Räumlichkeit suggerieren –, alles andere ergibt sich IMMER vor Ort. Alles ist improvisiert, der Prozess ist wesentlich – der Weg zählt.
Wandbilder möchte ich immer wieder malen; ich lasse mich so gern von neuen Situationen inspirieren.
Das Malen mit Goldfarbe ist für Sie wichtig geworden – wie kam das?
Lange bestand mein Werk daraus, zu fokussieren, zu reduzieren und auch mal nur in Schwarz und Weiss zu malen. Ich trieb es auf die Spitze, es erschöpfte sich. 2020 dann verbrachte ich fast drei Monate in Varanasi (Indien). Zufällig hatte ich auch etwas Gold-Gouachefarbe dabei – und begab mich damit in eine Welt, die alles relativierte. Neues tat sich auf … und brachte mich zurück an meine Anfänge. Dank dem Gold fand mich die Farbe wieder.