Singer-Songwriterin Jaël über die Interaktion mit und zwischen ihren Kindern, die ungewöhnlichen Doppelkonzerte und ihren privaten Bezug zum Wort «charmant».
Wie kamen Sie auf die Idee, an den meisten Tourneestationen nachmittags Konzerte mit den Dialektliedern Ihres Albums «Sensibeli» und abends Ihre englischsprachigen Songs zu singen?
Ich habe gemerkt, dass an den meisten Orten ein Interesse für beide Programme besteht. Ich entdecke am Abend oft Gesichter von Erwachsenen, die am Nachmittag schon mit Kindern im Publikum sassen. So befruchten sich die Konzerte gegenseitig. Für mich als Mutter ist es auch praktisch, weil ich an weniger Tagen eine Betreuung für meine Kinder organisieren muss. Anderseits kosten mich diese «Monster-Auftritte» auch viel Energie.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie, insbesondere auf Ihre Lieder rund ums Thema Hochsensibilität?
Die Kinder finden Zugang zuerst über die Melodie, aber mit zunehmendem Alter ebenfalls über den Text. Ich höre von ihnen immer wieder den Satz: «Die Lieder erzählen ja von mir.» Meistens kommen nach den Konzerten auch zwei oder drei Elternteile zu mir und sagen, sie hätten während des ganzen Konzerts «gegrännt», weil sie ihre hochsensiblen Kinder oder sich selbst wiedererkannt hätten.
Überlegen Sie nun auch Ihre Popsongs in Mundart statt auf Englisch zu machen, weil diese Worte bei Ihrem Publikum mehr Emotionen auslösen?
Das gehört zu den Gedanken, die ich mir mache. Momentan beschäftigt mich vor allem, was die Erziehung meiner Kinder in mir auslöst und wie ich die Familie mit der Karrierefrau in mir in Einklang bringe. Darüber zu texten ist nicht ganz einfach. Als wir vergangenen Frühling in Berlin Ferien machten, hörte ich dort sehr viel deutschsprachige Musik. Mir fiel auf, dass auch dort das Muttersein nicht im Fokus steht. Wenn ich trotzdem darüber singen würde, schlösse dies auch einen Teil der Hörerschaft aus und würde wohl zu psychologisch-pädagogisch klingen. Ich will ja keine Masterarbeit schreiben.
Reicht es nicht, wenn Sie in einer überzeugenden musikalischen Form authentisch von dem singen, was Sie beschäftigt?
Momentan kriege ich noch nicht ganz alles zusammen ohne plakativ oder kitschig zu werden.
Fühlten sich Lunik eigentlich als Aussenseiter, als sie in den Nullerjahren als einzige Berner Band nicht mit Mundartrock erfolgreich waren?
Das waren wir sowieso, zumal wir elektronischere Musik machten als die anderen. «Schweizer Antwort auf Trip-Hop» hiess es damals. Das mystifizierende Feenbild, das oft von mir gezeichnet wurde, liess uns unnahbar wirken. Wir waren somit von aussen betrachtet das pure Gegenteil von Plüsch.
Ich lerne mich besser
abzugrenzen.Jaël Malli
Ihr Ehemann ist Mitinhaber einer Berner Designagentur. Tauschen Sie sich nicht nur über Ihren visuellen Auftritt, sondern auch über Ihre Musik aus?
Roger bezeichnet sich zwar als meinen grössten Fan, doch ich teile diesen Eindruck nicht. Er setzt sich nicht so sehr mit meiner Musik auseinander, sondern steht auf Alternative-Rock-Bands wie Linkin Park und Placebo. Er gestaltet jedoch schon seit Lunik-Zeiten meine Plattencover. Und zwar sehr gut. Die Schwierigkeit liegt einzig darin, dass nicht so klar ist, wer der Chef ist.
Haben Sie sich bei dieser Zusammenarbeit lieben gelernt?
Nein, ich habe ihn durch eine Grafikerin in meiner Frauen-WG kennengelernt. Ich begleitete sie an ihr Studienfest, wo er an der Bar arbeitete. Ich bestellte ein Glas Wein und schaute gar nicht hin, wer es mir ausschenkte, gab jedoch ein Trinkgeld, vermutlich als einzige Person an einem solchen Anlass, worauf er «charmant» sagte. Erst bei diesem Wort, das für jemanden seiner Generation ungewöhnlich war, blickte ich auf – das ist nun zwanzig Jahre her.
Als Mutter Ihres heute siebenjährigen Sohnes Eliah fühlten Sie sich anfänglich total überfordert. Was machen Sie bei Ihrer zweieinhalbjährigen Tochter Liala anders?
Da die beiden ganz unterschiedliche Menschen in verschiedenen Entwicklungsphasen sind, ergibt es sich von allein, dass andere Themen in der Erziehung präsent sind. Sie ist viel autonomer, während er mehr Unterstützung von mir braucht und annimmt, um im Gleichgewicht zu bleiben. Da Eliah sehr fordernd ist, lerne ich im Umgang mit ihm etwas wahnsinnig Wichtiges, das ich als Kind nie lernte: mich besser abzugrenzen.
Welche Rolle spielt der Geschlechterunterschied?
Es erstaunte mich sehr, als Liala von sich aus klischierten Mädchenbildern zu entsprechen begann. Sie bringt allen die Schuhe, räumt auf und hat extrem Verständnis für ihren Bruder, der so viel Raum einnimmt. Ich vermittle ihr gerade, dass sie zuerst mal für sich selbst schauen darf. Interessanterweise wollte sie nichts von Eliahs Autos und Dinosauriern wissen, die wir ihr zum Spielen offeriert hatten. Seitdem sie mit ihrer Puppe spielt, will Eliah es plötzlich auch, und ich musste seine vom Estrich holen, wo wir sie hingepackt hatten, nachdem er früher kein Interesse an ihr hatte. Umgekehrt spielt Liala mit ihm nun Fussball und baut sehr gerne.
Wie stark beschäftigen Sie die globalen klimatischen und kriegerischen Bedrohungen, gerade im Hinblick auf Ihre Kinder?
Ich finde diese Entwicklung erschreckend und versuche mich schon seit Jahren vor der Angst zu schützen, indem ich meinen Medienkonsum reduziert habe. Noch schlimmer als die Konflikte zwischen Menschen oder Nationen ist, was wir unserem Planeten antun. Wir müssen die Klimaerwärmung endlich bremsen, damit unsere Kinder nicht ihr ganzes Leben lang mit irgendwelchen Naturkatastrophen kämpfen müssen.
Was tun Sie dafür?
Ich trenne unseren Abfall, spare Strom und Wasser, fahre mit dem öV oder E-Bike mit Anhänger und lebe unseren Kindern grundsätzlich ein Bewusstsein vor. Eliah wehrt sich sogar dagegen, dass wir Flugreisen machen. Ich habe sie auch reduziert, aber als ich sah, dass der Nachtzug nach Berlin, den wir nehmen wollten, dreimal so teuer war, bin ich schwach geworden.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Einerseits, wenn ich meine Aufgabe erfülle und den Menschen Lieder schenke, die ihre Herzen berühren, anderseits die heutigen Eltern, die ihre Kinder hoffentlich zu anderen Erwachsenen erziehen als diejenigen, die heute an der Macht sind. Trump würde sich bestimmt nicht wie die Axt im Walde aufführen, wenn man ihn bedürfnisorientiert erzogen hätte und Werte wie Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Toleranz vorgelebt hätte.
Was erwartet das Publikum bei Ihren Konzerten in der Mühle Hunziken?
Der Charakter und der Inhalt des Programms sind vergleichbar mit dem Abend am Klangantrisch Festival im letzten Juni. Unser akustisches Trio tritt erneut mit dem kammermusikalischen Ensemble Paul Klee auf. Es macht Spass, die veränderten Möglichkeiten auszuloten, wenn zwei musikalische Welten aufeinandertreffen, doch es ist aufwändig, weil die klassischen Musiker natürlich entsprechende neue Arrangements benötigen.
Sie taufen dabei das Live-Album «Ensemble», das Sie in Riggisberg aufgenommen haben. Lohnt sich der Aufwand einer CD-Produktion überhaupt noch?
Rein kommerziell sicher nicht, aber mein Publikum hat noch Freude an hochwertig produzierten Vinyls oder CDs. So liess ich sie in einer kleinen Auflage für die Fans pressen, die sie auf meiner Webseite bestellt hatten. Alle anderen können das Album streamen.
Welche Prioritäten setzen Sie 2025?
Ich will mich speziell um meine Gesundheit kümmern, da ich im letzten Jahr leider wieder unter diversen körperlichen und psychischen Beschwerden litt. Nach der Tournee soll es auch um meine musikalischen Ideen gehen, die noch reifen müssen.
Fotos: zvg