Blues-Grandseigneur Philipp Fankhauser erzählt, wie er kurz vor seinem 60. Geburtstag ein neues Leben geschenkt bekam, über das kommende Album und was ihm Weihnachten bedeutet.
Ist es Ihr bislang grösstes Weihnachtsgeschenk, dass Sie wieder auftreten können?
Ich freue mich, aber das grösste Geschenk für mich ist ohne Frage, dass mir die Stammzellentransplantation am 25. Juli 2023 ein zweites Leben geschenkt hat.
Wie ging Ihr erstes Leben zu Ende?
Vom Januar bis Juli letzten Jahres habe ich bis zehn Tage vor dem Eingriff noch fünfzig Konzerte gegeben, wobei ich zum Schluss sitzend auftreten musste und nach jedem Wort merkte, wie ich schwächer und schwächer wurde.
Haben Sie schon Anzeichen Ihrer Krankheit gespürt, als diese diagnostiziert wurde oder handelte es sich um einen Zufallsbefund?
Als ich vor zwanzig Jahren zu Dr. Urs Gäumann ging, Facharzt für Rheumatologie in Bern, entdeckte er bei mir neben Morbus Bechterew, einer chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung, die meine Beweglichkeit stark einschränkte, überraschend auch essentielle Thrombozythämie, ein Frühstadium von Leukämie. Dank Medikamenten konnte ich noch dreizehn Jahre ein normales Leben führen. Dann begann die Phase Wait & Watch, bei der meine Blutwerte alle paar Monate kontrolliert werden mussten. Später benötigte ich allwöchentlich Dopingspritzen und ab 2023 Bluttransfusionen, deren Effekt krass war.
In welcher Beziehung?
Den Weg vom Parkplatz zur Universitätsklinik Zürich ging ich wie ein sehr alter Mann am Stock und mit ein, zwei Beuteln Blut und genügend roten Blutkörpern intus fühlte ich mich quasi wie ein junger Kerl, total mit Sauerstoff aufgerüstet. Das hat einige Wochen geholfen, doch dann schaffte ich es zuhause kaum mehr vom ersten in den zweiten Stock.
Gab es Phasen, in denen Sie daran zweifelten, ob Sie diese Krankheit überleben werden?
Ja, natürlich. Zuerst war ich noch sehr optimistisch, weil ich das Gefühl hatte, dass ich Ärzte hatte, die sehr gut zu mir schauten und die Thrombozythämie noch nicht einschränkte. So setzte ich mich gar nicht intensiv mit der Krankheit auseinander, sondern verdrängte sie so weit wie möglich und flüchtete mich in meine Musik.
Und als dies nicht mehr möglich war?
Da bekam ich plötzlich so einen wahnsinnigen Bammel, dass ich Dr. Gäumann sagte, «Urs, ich kann mir vorstellen, dass ich die Stammzellentransplantation doch nicht machen lasse». Dabei wusste ich, dass meine Lebenserwartung dann nur noch ein oder zwei Jahre gewesen wäre. Darauf sagte er ziemlich resolut, das käme gar nicht in Frage. Er hätte mich nun zwanzig Jahre betreut, aufgepäppelt und durchgebracht. Da könne ich doch ein paar Wochen vor diesem wichtigen Eingriff nicht aussteigen!
Wie haben Sie reagiert?
Diese bestimmte, gut gemeinte Ansage hat mich schon beeindruckt. Als er mir dann noch vor Augen führte, dass alles schmerzlos und der Austausch nur über einen Katheter vonstatten geht, hat mich das enorm beruhigt. Faszinierend fand ich insbesondere, dass die Zellen den Weg an den Ort im Körper, wo sie gebraucht werden, allein finden. Ein Pappenstiel war die Transplantation trotzdem nicht, aber das Resultat ist fantastisch. Ich bin auf dem besten Weg meine frühere Leistungsfähigkeit zu erreichen und muss nicht befürchten, dass diese Leukämie – wie andere Krebsarten – eines Tages erneut auftritt. Ausserdem ist Morbus Bechterew gleich mit ihr verschwunden. Der einzige Nachteil ist, dass ich nun alle Impfungen neu machen lassen muss. Aber das kann selbst ein Spritzenphobiker wie ich verschmerzen.
Da bekam ich plötzlich so einen
wahnsinnigen Bammel.Philipp Fankhauser
Hat diese existentielle Erfahrung Ihr Verhältnis zum Blues verändert?
Ich dachte, dieses Überlebensgefühl müsste sich eigentlich äussern, doch die Melancholie ist leider nicht verschwunden. Es wäre praktisch gewesen, wenn ich ein wenig mehr eine Frohnatur bekommen hätte. Wobei ich ja auch nicht nur ein Kind von Traurigkeit bin. Der legendäre Willie Dixon sagte mal, «the blues are the true facts of life», weil Blues die Mehrzahl von blue ist, da es nicht nur ein, sondern ganz viele Arten Blau gibt, dunkles und helleres.
Das spiegelt sich in Ihrer Musik schon länger.
Ich halte es wie mit meinem Idol und Mentor Johnny Copeland, dessen Wahlspruch war: You got to entertain people and you got to make people happy. Es gibt schon genügend Bullshit, mit dem du im Alltag konfrontiert wirst. Als mir ein Freund mal sagte, ob ich mir bewusst wäre, wie glücklich ich die Menschen mache, hat es auch mich glücklich gemacht. Konzerte leben auch von der Wechselwirkung und sind nicht nur der Vortrag eines Musikers vor Publikum.
Als ersten Single-Vorboten des Albums, das im März erscheinen wird, haben Sie den Titelsong «Ain’t That Something» ausgewählt. Eine Anklage, dass Menschen einander betrügen oder ihr Glück nicht zu schätzen wissen?
Absolut. Ich war im Sommer in den USA und sah, wie polarisiert die dortige Bevölkerung ist. Die Positionen sind jedoch auch bei uns verhärtet. Heutzutage sind die meisten Probleme global. Wenn endlich alle Religionen abgeschafft würden, wäre schon viel gewonnen. Die haben schon so viel Leid verursacht. Egoismus, Machtgier und Narzismus sind leider verbreitet. Als Sänger, der sich ins Rampenlicht stellt, darf ich vielleicht gar nichts sagen …
Weshalb spielen Sie auf dem kommenden Album für einmal nicht selber Gitarre?
Es war komfortabel, weil ich noch nicht genügend Energie hatte, als wir im Studio waren und mein neuer Gitarrist Flo Bauer im Gegensatz zu mir ein ausgebildeter Musiker ist, der zu dieser Auswahl ganz unterschiedlicher Songs aus verschiedenen Stilrichtungen etwas Passendes kreieren kann. Live spiele ich nun aber wieder Gitarre.
Nun werden wir in den Geschäften wieder mit Weihnachtssongs beschallt. Welche gefallen Ihnen, welche nicht?
Ich liebe «Driving Home For Christmas» von Chris Rea, James Browns «Please Come Home For Christmas» und habe 2007 «Well Hear, It’s Chrismas» geschrieben, mit dem ich Whams «Last Christmas» als erfolgreichstes Weihnachtslied abzulösen hoffte. Leider hat es nicht ganz geklappt.
Was bedeutet Ihnen Weihnachten?
Als Kind empfand ich es als Herausforderung, den Erwartungen meiner geschiedenen Eltern gerecht zu werden. Später habe ich mich nach Möglichkeit um weihnachtliche Verpflichtungen gedrückt. Nachdem auch meine Mutter gestorben ist, begann ich meine Wohnung plötzlich ein wenig weihnachtlich zu schmücken, nun erstmals den Olivenbaum auf der Terrasse statt einer Tanne! Schon länger feiern wir Band-Christmas. Bei der Premiere, vor über dreissig Jahren noch als Trio, gingen wir in die Kronenhalle, dann in wechselnde Restaurants, und nun findet das Essen meistens bei mir statt, weil ich am meisten Platz habe und immer jemand von uns kocht. Und am 25. Dezember treten wir auf der Lenzerheide im Zauberwald auf.