Schnellzugriff

Das Berner Trio drehte in seiner Heimat und in Rom

Lohn für fast sechs Jahre Arbeit

Die Berner Schauspielerin Sabine Timoteo spielt in «Electric Fields» eine der weiblichen Hauptrollen. Fotos: Vinca Film

Regisseurin Lisa Gertsch (32) über ihren preisgekrönten, mit Sabine Timoteo, Michael Neuenschwander und einem Minibudget realisierten Kinofilm «Electric Fields».

«Electric Fields» wurde beim Max Ophüls Festival in Saarbrücken als bester Film ausgezeichnet. Was bedeuten Ihnen dieser und zwei weitere Preise?
Sehr viel, zumal es ein sehr renommiertes Festival ist, bei dem die Kinos immer voll sind und das Publikum das Gespräch mit den Filmemachern sucht. Durch diesen Austausch bekommt man ein Gefühl dafür, wie der Film ankommt und wen er anspricht. Ich freue mich besonders, weil er die Anerkennung von verschiedenen Seiten erhielt. Nebst dem Hauptpreis und dem Drehbuchpreis gewann er auch den Filmkritikerpreis.

Welchen Einfluss haben solche Auszeichnungen auf die nächsten Projekte?
Es bedeutet nicht automatisch, dass man sie finanzieren kann. Nachdem mein Bachelor-Film «Almost Everything», der an der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste) entstanden ist, sehr erfolgreich war, hoffte ich, meinem ersten Langfilm realisieren zu können. Ich investierte vier Jahre Arbeit, fand aber nicht genügend Geldgeber. Dank der Energie, die aus diesem Stillstand frei wurde, konnte «Electric Fields» ohne nennenswerte Mittel entstehen.

Wie war das möglich?
Es war für mich selbst unerklärlich. Alles an diesem Projekt schien wie von selbst zu funktionieren. Ich fand die Ideen und die Menschen, die Lust hatten, sich einem offenen Prozess hinzugeben und die mir Vertrauen schenkten. Unser Kollektiv Sabotage und die ZHdK haben mich dabei sehr unterstützt.

Wie ist Ihr formal und inhaltlich ungewöhnlicher Film entstanden?
Meine Grundidee war, verschiedene Geschichten zu erzählen und sie zu einem Film zusammenzufügen. Nach der ersten Episode mit Michael Neuenschwander und Hansrudolf Twerenbold war dann klar, dass sie zu einer Klammer um die folgenden Geschichten über seltsame und unerklärliche Ereignisse wird. Am Anfang sind sie sehr visuell. Man sieht, wie jemand zum Leben erwacht oder eine Glühbirne ohne Stromzufuhr leuchtet. Dann spielt das Zwischenmenschliche, Verborgene eine immer wichtigere Rolle.

Haben Sie auf dem Set viel improvisiert?
Nein, die Drehbücher standen. Klar, wir haben Szenen geprobt und am Dialog kleine Änderungen vorgenommen. Der kleine Apparat aus Regie, Kamera, Ton und im Durchschnitt zwei Schauspielenden erlaubte uns flexibel auf das einzugehen, was uns der Drehort anbot.

Weshalb wählten Sie Schwarzweiss?
Das geschah sehr intuitiv und schuf einen Kontrast zwischen dem modernen Rahmen, in dem die Geschichten handeln, und dem von unserer realen Welt abgehobenen, geheimnisvollen Inhalt.

In Rom haben Sie Sabine Timoteo vor dem Kolosseum und auf der Spanischen Treppe gefilmt. Wie haben Sie die Dreherlaubnis bekommen – oder haben Sie gar nicht gefragt?
Als ich zwei Tage vor dem geplanten Dreh allein durch das nächtliche Rom unterwegs war, merkte ich, dass bis weit nach Mitternacht überall Menschen herumsitzen und Bier trinken und schon am frühen Morgen wieder Touristen bei den Wahrzeichen auftauchen. Es gibt also nur ein kleines Zeitfenster, in dem die Strassen und Plätze leer sind. Dieses haben wir genutzt und ein scheinbar menschenleeres Rom erschaffen, das es so gar nicht mehr gibt.

Kannten Sie Timoteo und Neuenschwander schon, weil sie auch aus Bern stammen?
Mit Michael war ich schon befreundet, weil wir bereits zwei Filme miteinander gemacht hatten. Mit ihm begann die Idee für «Electric Fields». Sabine kannte ich noch nicht, hatte aber schon lange den Wunsch, mal mit ihr zusammenzuarbeiten. Ich hatte das Glück, dass auch sie beide gerne etwas machen wollten, das sich ausserhalb der gewohnten Produktionsbedingungen bewegte.

Hatte Ihr Konzept andere Vorteile?
Wir waren nicht unter Zeitdruck, sondern konnten über eineinhalb Jahre hinweg eine Episode nach der anderen schreiben, drehen und schneiden. Ich konnte mich auch von Locations, von denen ich wusste, dass sie uns zur Verfügung stehen würden, inspirieren lassen, in dem ich mich fragte: Was könnte dort passieren? Die Reduktion erleichtert es auch, sich zwischen den Ideen zu entscheiden, da man sonst immer Gefahr läuft, sich in den unendlichen Möglichkeiten zu verlieren.

Was hat ursprünglich Ihre Begeisterung fürs Regieführen geweckt?
Ich bin mit guten Filmen und vielen Büchern aufgewachsen. Ich habe viel geschrieben und mir meine Geschichten oft als Filme vorgestellt, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass das ein echter Beruf sein könnte. Im Studium habe ich gemerkt, dass ich die Arbeit mit Schauspieler:innen liebe. Am Inszenieren fasziniert mich, den schmalen Grat zu finden, auf dem alles ineinandergreift.

Wer ist Gustav Gertsch, der auf «Electric Fields» zu hören ist?
Mein Vater. Er ist klassischer Pianist und hat die Chopin-Stücke gespielt, die für den Soundtrack besonders wichtig sind. Es ist schön, dass ich so erstmals mit meinem Vater arbeiten konnte. Er ist übrigens nicht das einzige Familienmitglied in diesem Film. Meine Mutter, mein Onkel und meine Schwägerin wirkten als Spielende mit, meine Tante machte Catering und meine Nichte assistierte beim Ton.

In welchem Stadium ist Ihr nächster Film?
Momentan schreibe ich am Drehbuch und werde von der Zürcher Filmstiftung unterstützt. Ich produziere dieses Projekt wie «Electric Fields» mit unserem Kollektiv Sabotage.

Sie begleiten Flüchtlinge in Abschiebehaft. Für einen Dokumentarfilm?
Nein, das ist ein Engagement, bei dem ich seit sechs Jahren im Rahmen des Solinetz im Flughafengefängnis Kloten Geflüchtete besuche, die in der Schweiz sonst keinen Menschen haben, mit dem sie sprechen können. Das ist in meiner Biografie aufgeführt, weil ich so auf die Thematik und mögliche Engagements aufmerksam machen will.

PERSÖNLICH

Lisa Gertsch wurde 1992 in Bern geboren und lebt seit ihrem Studium der Spielfilmregie an der Zürcher Hochschule der Künste, das sie 2023 abschloss, in Zürich. Für ihren Bachelor-Kurzfilm «Almost Everything» wurde sie 2018 mit dem Studenten-Oscar ausgezeichnet. «Electric Fields», in dessen sechs Episoden neben Timoteo und Neuenschwander auch Julia Jentsch und Sophie Hutter mitwirken, ist ebenso humorvoll wie poetisch. Das stimmungsvolle Schwarzweiss steht ihrem ersten abendfüllenden Film ausgezeichnet. Es ist der erste Berner Film seit 42 Jahren, der das Max Ophüls Festival in Saarbrücken gewann. 1982 ging er für «E nachtlang Füürland» an Remo Legnazzi und Clemens Klopfenstein, die ihn während den Jugendunruhen gedreht hatten. «Electric Fields» läuft ab 20. Juni im Kino.

VERLOSUNG

Der BärnerBär verlost 3 × 2 Ticktes für die Vorpremiere von «Electric Fields» am Montag, 10. Juni, um 20 Uhr im Berner Kino Rex 1 in Anwesenheit von Regisseurin Lisa Gertsch und Julia Jentsch («Sophie Scholl – die letzten Tage»), die eine der Episodenhauptrollen spielt.

Hier mitmachen

 

Diesen Beitrag teilen

Weiterlesen

Mit neuem
E-Paper Reader!

Flüstere dem Bär etwas.

In der Flüstertüte berichtet der BärnerBär immer wieder über Gerüchte aus der Hauptstadt. Du hast etwas gesehen oder gehört, von dem der Bär wissen sollte? Hier kannst Du es ihm flüstern!

Name und E-Mail-Adresse benötigen wir nur zur Korrespondenz. Diese Angaben werden wir nie veröffentlichen.

Bitte aktiviere JavaScript in deinem Browser, um dieses Formular fertigzustellen.
Name
Klicke oder ziehe Dateien in diesen Bereich zum Hochladen. Du kannst bis zu 2 Dateien hochladen.
Laden Sie bis zu zwei Bilder zu Ihrer Meldung hoch.

FOUGSCH AM BÄR?

Geschichten aus der Haupstadt, tolle Wettbewerbe und mehr – folge uns jetzt!

DER BÄRNERBÄR NEWSLETTER

Melde Dich jetzt für den bärenstarken Newsletter an und erhalte 1x wöchentlich die spannendsten Geschichten aus Bern direkt per Mail.