Christoph Simon könnte man als den langsamsten Slampoeten bezeichnen. Aber ist er wirklich so langsam oder ist das seine Masche und wie war das in den Jahren bevor er auf den Bühnenbrettern unterwegs war?
Christoph Simon wird im tiefen Emmental geboren und zieht dann nicht in die Stadt, sondern mit seinen Schwestern und Eltern ins Oberland. Das Psychologie-Studium bricht er ab, arbeitet gelegentlich und schreibt. Sein Debütroman «Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen» macht ihn mit 28 zum freien Schriftsteller. Trotz einiger Veröffentlichungen zieht es Simon auf die Bühne und so wird er Slam-Poet, hierbei zweimal Schweizermeister, später Kabarettist; sein Wirken wird 2018 mit dem Salzburger Stier belohnt. Heute steht er auf vielen Bühnen; war bei Giacobbo/Müller, Deville, Aeschbacher, beim Comedy Labor und bei sonstigen SRF-Formaten. Er liebt zudem das «schriftliche Synchronisieren» von Dialogsituationen. Christoph Simon lebt mit seiner Familie in Bern, schreibt und tritt auf und liebt das, was er tut. Hobbies braucht er als Ausgleich nicht. Und Fahrradfahren mag er auch nicht.
Warum mögen Sie Fahrradfahren nicht?
Stress. Selbstverschuldet. Ich werde angehupt, weil ich rot nicht von grün unterscheiden kann, also die Toleranz der Autofahrenden strapaziere. Ich reagiere aber extrem streng und aggressiv, wenn mir ein Auto den Rechtsvortritt nimmt. Ohne mich wäre die Strasse ein friedlicherer Ort.
Was dachten Sie bei der Entgegennahme des Salzburger Stiers?
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, was ich tue.
Geschichten erzählen, lange, umschweifende und dennoch auf den Punkt gebrachte … wie kommen Sie zu oder sie zu Ihnen? Und wo?
Ich finde das Grosse im Kleinen und das Kleine im Grossen. Ich finde das Ausseralltägliche im Alltäglichen. Ich bin faul – lieber schreibe ich nichts, als danach zu graben. Ich glaube, das Menschsein besteht aus Freude und Schmerz, Enthusiasmus und Traurigkeit, Zärtlichkeit und Brutalität. Meine Nachbarin ist kürzlich gestorben, ihre Tür ist vom Erbschaftsamt versiegelt worden. Ich mochte sie, wir haben uns im Treppenhaus gegrüsst. Sowas bewegt mich. Ich habe keine Ahnung, wie ich unsere Zufalls-Beziehung zu einer heiteren Geschichte biegen kann, aber es beginnt mir zu Schreiben.
Wie reagieren die etwas eiligeren Zürcher auf Ihre langatmigen Bühnentexte?
ZürcherInnen gibt es nicht. Sie sind ausgewanderte WalliserInnen. AlbanerInnen. Anonymbleibenwollende BernerInnen. Sie reagieren wie in Russland, als ich aus meinen Büchern lesen durfte: Mit Kunstverstand und mit der Freude, dass sie jemand ernst nimmt als vereinzelter Mensch in einem System, das zuviel von ihnen verlangt.
Und wie war das in Österreich? Ihre Texte haben ja auch ein bisschen
den «Berner Groove» … wie wirken sie auf Hochdeutsch?
Deutschland ist wegen dem Schweizerbonus kein Problem. Die Deutschen mögen mich auf die Art, wie wir Schweizer Italiener mögen. Positiver Rassismus halt. In Österreich sind sie misstrauischer, aber sie gehen mir auf den Leim, weil mein Humor von Hader, Jonke, Fian und Qualtinger geprägt ist.
Sind Ihre langsamen Geschichten ein bisschen gewollt oder sind Sie wirklich so ruhig unterwegs?
Ich glaube, eine unpressierte Welt ist eine angenehme Welt.
War das schon immer so, will heissen, auch im Kindergarten, im Sandkasten und auf dem Schulhausplatz?
Sandkästen gab es nicht in Unterseen. Wir spielten vertikal am Harder die Kletterwände hoch und runter. Im Kindergarten bin ich Frauen hinterhergejagt, sprachlos und eher ungewollt ruhig. Auf dem Schulhausplatz hat man mich nie gesehen. Ich hörte in irgendeiner Ecke Bruce Springsteen oder las Hermann Hesse.
Haben Sie gerne Ihre Aufsätze vorgelesen?
Ich hätte mich nicht geweigert, wäre es gewünscht worden. Ich fühlte immer, dass ich etwas zu sagen habe. Auch wenn ich bis heute nicht wirklich herausgefunden habe, was.
Erkennen sich Menschen in Ihren Geschichten wieder oder sind die Charaktere komplett frei erfunden?
Sie sind komplett frei erfunden und ich erkenne mich darin. Ob sich andere Menschen darin erkennen, ist geschäftsrelevant, aber nicht meine Absicht.
Entschuldigen Sie die Bemerkung, aber oft scheint es, als wären Sie gerade erst dem Bett entstiegen; Ihr Haar leicht wirr und der Blick etwas verschlafen.
Ich kenne Kämme und Haarbürsten nur aus Erzählungen, das stimmt. Mein Blick ist ein suchender, kein verschlafener – auch wenn er verschlafen wirkt. Ich suche immer nach dem nächsten interessanten Gedanken.
Wie ist das eigentlich so, wenn man zu bekannten TV-Formaten (Giacobbo / Müller / Deville etc) eingeladen wird. Sind Sie, obwohl Sie immer so ruhig scheinen, nervös? Welche Gedanken schwirren durch Ihren Kopf? Oder bringen Sie derartige Auftritte nicht aus der Ruhe?
Nach dem Giacobbo / Müller-Auftritt habe ich wieder zu rauchen begonnen, so nervös war ich hinterher. Beim Deville-Auftritt musste ich hochleistungssportlich hundertfünfzig Wörter in die Minute drücken, normalerweise rede ich hundertzwanzig Wörter pro Minute. Diese TV-Formate existieren alle nicht mehr. Ich fühle mich als der letzte Zeuge einer bereits vergessenen SRF-Phase.
Sie treten auch in kleinen Theatern auf und schreiben oft recht zurückgezogen an Ihren Romanen. Stimmt meine Annahme, dass es Ihnen dabei fast ein bisschen wohler ist?
Die Abwechslung macht die Wohligkeit aus. Ja, ich ziehe mich gern in den Flow von Schreiben und Sein zurück, aber ebensogern stürze ich mich in Bühnentrubel und in soziale Angelegenheiten, weil sie goldene Momente und schöne Begegnungen versprechen.
Was planen Sie fürs 2025?
Die Premiere vom neuen Programm «Auf Kurs». Ab Februar in den kleinen Theatern, die verschlafen dreinblickende Fahrradrowdys programmieren.
Und für Silvester?
Die ehrliche Antwort: Kein Plan. Die Antwort eines langatmigen Schülers, der seinen Aufsatz vorlesen will: An Silvester würd’ ich gern mit Plateaustiefeln, Batikjeans und mit versteckten Netzstrümpfen die versiegelte Tür zur Wohnung meiner verschiedenen Nachbarin lautlos aufbrechen und dort eine äusserst lautlose Abschiedsparty für sie feiern. Frau Z. war wundervoll scheu.