Emilie Inniger hat ein Libretto zur Oper «Pitschi» geschrieben und ist als Sängerin und Chorleiterin aktiv. Wir haben das junge Talent im Botanischen Garten in Bern getroffen.
«Für mich ist der Botanische Garten wie eine Oase mitten in der Stadt», verrät Emilie Inniger. Die junge Sängerin und Chorleiterin trifft sich mit dem BärnerBär beim Palmhaus zum Gespräch. Ihre Schwester ist Biologin und arbeitet im BoGA. «Ich komme viel hier her, um zu verweilen oder um meine Schwester zu besuchen.» Inniger stammt aus einem musikalischen Elternhaus. «Mein Vater ist Cellist und hat in der Musikschule in Köniz gearbeitet.» Der Kinderchor Köniz wurde jeweils auch für Projekte im Stadttheater beigezogen. «Ich war für viele Bubenrollen die zweite Besetzung, was etwas frustrierend sein kann», erinnert sich Inniger. Man studiere die Rolle ein, komme aber meistens nicht zum Zug. Heute schreibt Inniger, die klassischen Gesang in Luzern studiert hat, ihre eigenen Libretti. Zum Beispiel für die Oper «Pitschi» von Edward Rushton, die in den Spielstätten von Bühnen Bern zu sehen war. Das auf dem Bilderbuch von Hans Fischer (1909 –1958) beruhende Werk, erzählt die Geschichte eines Kätzchens, das mehr sehen will, als die Stube von Bäuerin Lisette, in der sie wohnt. Es macht sich auf, die anderen Tiere auf dem Hof kennenzulernen. Inniger hat sich eng an die einzelnen Bilder des Buches gehalten und stellt die Tiere – alle von Sopranistinnen dargestellt und gesungen – der Reihe nach vor. Sie selbst schlüpfte dabei in die Rolle von Bello, dem Hund.
Schubert und Schönberg
Natürlich habe sie ein wenig von ihrer Weltanschauung in das Stück einfliessen lassen, so Inniger. Sie hinterfrage den Umgang des Menschen mit Tieren. «In meiner Geschichte singt die Geiss eine Arie und klagt darüber, dass man ihr ihr Junges weggenommen hat.» Inniger, die sich vegan ernährt, staunt immer wieder, wieviel Aggression es je nach Gegenüber auslösen kann, wenn man sich für Tiere einsetzt. Sie wünscht sich ein Umdenken. Aktuell studiert sie in Bern Germanistik und Musikwissenschaften. Sie ist realistisch, was die Zukunft anbelangt. «Die Hochschulen spucken Unmengen an Sänger:innen aus, aber nur ein Bruchteil davon steht schliesslich auf der Bühne.» Trotz ihres jungen Alters von 25 Jahren konnte sie bereits am Gymnasium Musik unterrichten. «Das hat mir Spass gemacht.» Gnadenlos kritisch seien die Gymnasiast:innen. «Du musst sie packen.» Gemeinsam mit ihrer Klasse ist sie tief ins Liederrepertoire abgetaucht, das im 19. Jahrhundert unter anderem mit Schubert eine Blütezeit hatte. Ihr eigenes Lieblingslied? «Das ändert sich dauernd.» Momentan höre sie Lieder von Schönberg rauf und runter. Dank Spotify käme man heute viel leichter zu allerlei altem Liedgut. Inniger bezeichnet das als Fluch und Segen. «Klassische Musik leidet am Schnelllebigen. Sie braucht Platz, Raum und Zeit.» Sie glaube nicht, dass man eine Sinfonie von Gustav Mahler einfach mal schnell im Bus hören und verstehen könne.
Kleopatra trifft Bernerlegende
Für ihre Bachelorarbeit vor drei Jahren widmete Inniger sich der Oper «Giulio Cesare» von Georg Friedrich Händel. Im Dreiakter, der 1724 uraufgeführt wurde, trifft der Imperator Julius Cäsar auf die Herrscherin Kleopatra. Diese spielte und sang Inniger gleich selbst. «Ich habe den Fokus auf sie gelegt, der Frauenrolle mehr Gewicht gegeben.» Sie suchte nach einer Erzählinstanz und fragte schliesslich den in Bern legendären Schauspieler Uwe Schönbeck an. Sie kannte den 2022 verstorbenen Darsteller aus einer Operettenproduktion, bei der beide mitgewirkt hatten. Prompt sagte Schönbeck zu. Zeigen konnte sie die Oper schliesslich im Paulusheim Luzern und in der Johanneskirche in Bern. Als Sängerin tritt Inniger demnächst in verschiedenen Konstellationen in Erscheinung (siehe Box). Ihr erstes Instrument, das Cello, spiele sie heute nur noch gelegentlich. «Aus therapeutischen Gründen», wie sie sagt. «Meine Mutter hatte mir das Instrument einst schmackhaft gemacht, weil das Klavier bereits von meiner Schwester gespielt wurde.» Auch die Grossmutter spielte eine wichtige Rolle bei der musikalischen Erziehung. «Gemeinsam haben wir Schubert-Liederbücher durchgekämmt, gesungen und am Klavier gesessen.» Bei aller Liebe zum 19. Jahrhundert, mag Inniger auch heutige Musik. Sie liebt etwa die Band Stiller Has. «Den Moudi finde ich super.» Ausserdem hört sie Rap, etwa wenn sie mit ihrer Schwester in den Alpen nach speziellen Pflanzen sucht. «Rapmusik ist manchmal sehr sexistisch. Ich höre allerdings solche, deren Wut sich nicht gegen unterdrückte Menschengruppen richtet, sondern eine gute Wut bedient, die ich teile.»
Helen Lagger