Der abrupte Abgang von Bern-Welcome Geschäftsführer Martin Bachofner gibt nach wie vor zu reden. Wo liegt der Wurm drin? Der Bärnerbär sprach mit dem bekannten Kommunikationsprofi Lorenz Furrer über die Probleme und Vorteile beim Verkauf des «Produkt» Bern.
Macht es bei Ihrer Arbeit einen Unterschied, ob Sie Menschen anpreisen und vermarkten oder eine Stadt?
Ja und nein. Ja im Sinne, dass eine Person etwas anderes ist als ein Objekt. Nein im Sinne, dass sowohl beim Menschen als auch beim Produkt kreative Ansätze und das Entwickeln von Strategie und Story notwendig sind. Unter dem Strich ist der Unterschied nicht sehr gross.
Ihre Agentur ist auch der Geschäftssitz in der Hauptstadt Region Bern. Was erachten Sie als den wichtigsten Ansatz, wenn es darum geht, die Stadt ins beste Licht zu rücken?
Das Wichtigste ist, authentisch zu bleiben. Man kann und soll aus Bern kein Disneyland machen. Man muss überzeugt sein von dem, was da ist und das dann optimal vermarkten.
«Wenn Bern und Gstaad touristisch
näher zusammenrücken, wäre das
bestimmt interessant.»
Was bedeutet das konkret?
Das Faszinierende und Einmalige an Bern ist das Politzentrum der Schweiz. Die Musik spielt in Bern. Das kommt viel zu wenig zum Tragen. Zudem ist Bern eine sehr kompakte Hauptstadt, fast alles ist «in Walking Distance» erreichbar.
Dass Bern das politische Zentrum ist, wird leider oft verdrängt, von der Wirtschaft, auch von den Berner Medien und selbst von den Politikern. Weshalb?
Ich führe dies darauf zurück, dass vieles, was hier passiert, hinter verschlossenen Türen stattfindet. Es sind täglich viele extrem spannende und auch oft sehr bekannte Menschen in Bern zu Besuch, bei einem Bundesrat; bei einem Bundesamt oder auch bei einer internationalen Organisation mit Sitz in der Schweizer Hauptstadt. Leider kann man das in den meisten Fällen nicht kommunizieren, denn die Diskretion ist im Politbetrieb ein zentrales Element. Doch es ist schon so, dass wir in Bern das Licht allzu sehr unter den Scheffel stellen.
Man könnte die prominenten Besuche nachbearbeiten. Ich erinnere mich, dass die Herzogin von Kent jedes Jahr in Bern Porzellan einkaufte, Prinz Philip war mehrere Male für Sitzungen mit dem internationalen Pferdesportverband da, Liz Taylor kam zum Zahnarzt nach Bern, zum gleichen übrigens wie der Waffenhändler Kashoggi, Schauspieler Jean-Paul Belmondo wohnte zusammen mit Ursula Andress in der Altstadt. Hinzu kommen all die Stars, welche den Flughafen Bern anfliegen, um nach Gstaad weiter zu reisen. Das sollten wir doch offensiver kommunizieren …
… umso mehr, dass das mondäne Gstaad nur eine Autostunde von Bern entfernt ist. Wenn Bern und Gstaad touristisch näher zusammenrücken, wäre das bestimmt interessant. Ein bisschen mehr Glamour würde Bern gut anstehen. Aber eben: Die Diskretion ist sowohl in Bern als auch in Gstaad sehr wichtig.
«Das Wichtigste ist, authentisch zu bleiben.
Man kann und soll aus Bern kein Disneyland machen.»
Gstaad geniesst einen weltweiten Bekanntheitsgrad, bei Bern ist das anders …
Vergessen Sie Interlaken nicht, auch dieser Ort ist weltberühmt und ist, im Vergleich mit internationalen Dimensionen, auch nur einen Katzensprung von der Hauptstadt entfernt.
Aber Sie wünschen sich nicht unbedingt einen Massentourismus à la Interlaken?
Nein, das will hier niemand. Bern ist dafür gänzlich ungeeignet. Bern bietet historische Architektur, die Altstadt ist Weltkulturerbe und wie gesagt das politische Zentrum. Hinzu kommt eine attraktive Umgebung,
zu der auch Gstaad und Interlaken gehören.
Das Produkt Bern ist seit Jahrzehnten gleich. Ist diese Beständigkeit ein Teil des Problems, Bern zu verkaufen? Sollte man sich Neues einfallen lassen?
Mit Bern Welcome, also dem strategischen Abgleich der verschiedenen Akteure und Interessen für die Vermarktung von Bern, wurde diesbezüglich ein richtiger und wichtiger Schritt gemacht. Was konkret fehlt, sind zwei, drei Publikums-Magnete. Dafür fehlt jedoch zum Teil die nötige Infrastruktur. Wir haben zwar unsere hervorragenden Sportstadien, doch es fehlt ein modernes Kongresszentrum mit einer Kapazität für 2000 bis 3000 Menschen, wie das Bernexpo plant. Zudem gestaltet sich die Sponsorensuche für neue Events sehr schwierig, das ist möglicherweise ein typisch bernischer
Negativ-Punkt.

Aktivitäten unterstützt. Der 50-jährige Pfarrerssohn Furrer ist verheiratet mit der Warenhaus-Erbin und -chefin Nicole Loeb.
Wo klemmt es?
Das Mäzenatentum fehlt in Bern fast gänzlich; die sprichwörtliche «Berner Lösung» ist meines Wissens nirgends zum Tragen gekommen. Doch es gibt auch Lichtblicke: So hat bekanntlich Hansjörg Wyss einen dreistelligen Millionenbeitrag an die Uni Bern angekündigt und auch die Finanzierung des Annexbaus des Kunstmuseum will er übernehmen. Und es gibt wunderbare neue beziehungsweise bestehende Projekte. Ich denke dabei an die Lichtspiele und den phänomenalen Winterzauber auf der kleinen Schanze.
Das tönt alles etwas zufällig. Braucht es da nicht strategische Ansätze?
Doch. Mit Bern Welcome wurde ein entsprechendes Strategie- und Koordinationsorgan geschaffen. Zudem würde es wohl Sinn machen, wenn man sich mit dem Kanton noch stärker abspricht, denn die Ziele und das Potenzial sind gemäss den neuen Regierungsrichtlinien ähnlich und bergen grosse Synergiemöglichkeiten: Der Kanton will zum führenden Medizinalstandort der Schweiz mit internationaler Ausstrahlung werden, was den Kongresstourismus fördert. Er will auch das organisch gegebene nationale Politikzentrum stärken, diesbezüglich digitaler Vorreiter werden, zusammen mit bestehenden Playern wie Uni und Wirtschaft.
Haben Sie eine spannende Idee für eine wiederkehrende spannende Veranstaltung?
(schmunzelt) Wir sind in der Hauptstadt jenes Landes, welche seit über 170 Jahren punkto Demokratie im Allgemeinen und seit 150 Jahren im Umgang mit der direkten Demokratie mit Initiativen und Referenden einen unschätzbaren Erfahrungsschatz sammeln durfte; also sozusagen in der Welthauptstadt der Demokratie. Wieso also nicht ein World Democratic Forum? Oder ein Studienzentrum für Demokratie? Oder ein Kongress für Demokratie und Digitalisierung?
Matthias Mast