Nach Ausschreitungen auf der Schütz: Polizeidirektor macht dem Stapi schwere Vorwürfe

«Alec von Graffenried versteckt sich!»

Immer wieder muss die Polizei zu Einsätzen auf der Schützenmatte ausrücken. Foto: Keystone

In einem Punkt sind sich alle einig: Die Eskalation der Gewalt auf der Schützenmatte von vorletztem Wochenende muss Konsequenzen haben. Doch welche? Der BärnerBär hat mit den verantwortlichen Entscheidungsträgern gesprochen: mit dem kantonalen Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP), mit dem städtischen Polizeidirektor Reto Nause (Mitte) sowie mit Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL).


«Der Stapi weiss schlicht nicht, was er sagen soll»

Philippe Müller Regierungsrat/Sicherheitsdirektor, Kanton Bern

Philippe Müller, rund zehn Tage sind es her seit den Ausschreitungen auf der Schützenmatte – sind Sie immer noch erschüttert über die Vorfälle?
Ja, absolut. Hier waren Menschen im Einsatz, die Familien haben und die in der Nacht für unsere Sicherheit sorgen – und sie wurden grundlos angegriffen und verletzt. Insgesamt elf Personen, darunter eine Frau. Ich akzeptiere das nicht. Auch nicht bei der Reitschule. Diese Eskalation der Gewalt widerspricht all dem, wofür die Reitschule sich angeblich einsetzt.

Was meinen Sie?
Auf der Schützenmatte werden nicht zuletzt Frauen immer wieder bedrängt und belästigt, auch von nordafrikanischen Männern mit ihrem rückständigen und gefährlichen Frauenbild.

Die Reitschul-Betreiber distanzieren sich von den Vorfällen.
Es handelt sich hier um Versuche, von der eigenen Verantwortung abzulenken und wirksame Massnahmen zu verhindern. Natürlich haben die Betreiber im Vorfeld gewusst, was sich auf der Schütz abspielen wird. Sie können sich nicht einfach aus der Verantwortung ziehen und sollten stattdessen endlich kooperieren!

Das ist Ihre Behauptung.
Die Chaoten hatten in der Reitschule regelrechte Steinedepots angelegt. Dazu griffen sie die Polizeikräfte unter anderem vom Dach aus mit Steinen und Lasern an – irgendwie müssen sie ja da raufgekommen sein! Wegen Lasern können Menschen übrigens erblinden. Es sind unbeschreibliche Szenen, die sich abgespielt haben. Genau so unbeschreiblich ist leider die Reaktion der Stadt Bern.

Das heisst?
Klar hat der Gemeinderat die Ausschreitungen verurteilt. Doch das sieht eher aus wie eine Taktik: Man verurteilt, doch konkret passiert dann einmal mehr nichts. Das letzte Mal so geschehen beim Antifa-Umzug von und zur Reitschule mit Sachbeschädigungen bei Bernmobil-Haltestellen letztes Jahr. Würde der Gemeinderat die Verurteilung ernst meinen, würden Taten folgen.

Sie fordern eine temporäre Schliessung der Reitschule. Stadtpräsident Alec von Graffenried wollte dies in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen nicht kommentieren.
Leider. Weil er schlicht nicht weiss, was er sagen soll. Denn ihm ist klar, dass diese Massnahme etwas bringen würde. Es ist das, was in jeder vergleichbaren Situation zu tun wäre. Sehen Sie: Man wird Politiker, damit man handelt – das ist zumindest mein Politikverständnis. Man muss sich für Dinge einsetzen, die man als richtig ansieht, selbst wenn diese Arbeit vielleicht unangenehm ist.

Sie wollen damit sagen, Alec von Graffenried versteckt sich?
Definitiv. Der Stadtpräsident könnte ja auch einfach sagen, wie er zu meinen Forderungen steht. Doch er schweigt. Diese «langfristigen Bemühungen» jedoch, von denen es im Gemeinderats-Communiqué heisst, dass sie weitergeführt werden, haben sich klar als untauglich erwiesen. Hinzu kommt in Bern der rückständige Reitschule-Absolutismus: für oder gegen die Reitschule. Dabei gäbe es einen dritten Weg: für das Kulturzentrum – aber ohne Gewalt.

Konkret?
Gewisse Kreise werden bevorzugt. Namentlich gewalttätige Linksextreme werden geschont. Wäre so etwas wie auf der Schütz einem Töffclub passiert, wäre er mindestens vorübergehend geschlossen und allfällige Gelder gekürzt worden. Die personellen Verflechtungen der Politik reichen leider bis in die Medien hinein.

Sie kritisieren mal wieder die Berner Medien?
Wann haben Sie zum letzten Mal ein Foto von einem steinewerfenden Chaoten gesehen? Oder wo hat ein Journalist die Szenen von vorletztem Samstag klar verurteilt und dann echte Konsequenzen gefordert? Wenn überhaupt, wie kürzlich, verurteilt man die Ereignisse zwar, um sich dann vor allem gegen greifbare Konsequenzen auszusprechen. Also ähnlich wie der Gemeinderat.

Welche Massnahmen fordern Sie nach den Ausschreitungen konkret?
Eine temporäre Schliessung der Reitschule nach Gewaltvorfällen. Und man muss der Reitschule die finanzielle Unterstützung kürzen. Die Betreiber sollen wissen: Wenn so etwas passiert wie am Samstag, hat das Konsequenzen. So haben sie es selber in der Hand. Das ist keine «Kollektivstrafe», sondern eine Sicherheitsmassnahme. Man hat das noch gar nie probiert – aus Angst, es könnte funktionieren. Der Kanton hilft gerne bei wirksamen Massnahmen mit.

Wie ist der Austausch mit den Stadtberner Behörden generell?
Mit Reto Nause, meinem Kollegen auf Gemeindeebene, funktioniert er sehr gut. Der Kanton unterstützt die Gemeinden mit der Kapo. Der Kanton hat die zuständigen Behörden nun zum Gespräch eingeladen.


«Die Situation ist vergleichbar mit dem Hooliganismus»

Alec von Graffenried, Gemeinderat/Stadtpräsident Bern

Alec von Graffenried, wie haben Sie persönlich auf die Vorfälle auf der Schützenmatte am vorletzten Wochenende reagiert?
Gewalt lehne ich in jeder Form ab – den hinterhältigen und extrem gewalttätigen Angriff vom letzten Wochenende erst recht. Persönlich hinterlassen solche Aktionen bei mir ein Gefühl von Wut, Ratlosigkeit, und vor allem Mitgefühl mit den Opfern, in diesem Fall den verletzten Polizisten. Ich reagiere aber auch mit Unverständnis. Denn die Angreifer vom Wochenende greifen eben nicht «nur» die Polizei an, sondern sie zerstören damit das politische Klima der Offenheit und der Solidarität, das die Reitschule ausmacht. Es ist somit auch ein Angriff auf den Kern linker Politik und linken Handelns.

Was tut der Gemeinderat nun konkret, damit sich so etwas nicht wiederholt?
Wir setzen weiterhin an die Kraft der Zusammenarbeit und des Dialogs, wie es in den letzten Jahren immer funktioniert hat. Im Zusammenhang mit diversen Herausforderungen im Perimeter Schützenmatte waren wir mit diesem kooperativen Ansatz erfolgreich. Ich bin überzeugt, dass auch die relevanten Akteure im Umfeld der Schützenmatte, namentlich auch die Reitschule, an diesem Ansatz und dieser Kultur festhalten wollen.

Gewisse politische Kreise unterstellen Ihnen in diesem Zusammenhang Passivität, gar Handlungsunfähigkeit. Liegen sie richtig?
Nein, sie liegen falsch. Das sind meist Leute, die an einfache Lösungen glauben. Aber im Leben gibt es vielfach keine einfachen «Lösungen», auf der Schützenmatte auch nicht. Der Gemeinderat hat in den letzten Jahren vielfältige Massnahmen und Interventionen auf der Schützenmatte ermöglicht, die spürbare Verbesserungen ermöglicht haben. So zum Beispiel der Sicherheitsdienst, das Schutzmobil, bauliche Anpassungen etc. Bei aller Verurteilung des inakzeptablen Angriffs auf Polizeikräfte vom letzten Wochenende muss man auch festhalten, dass es rund um die Reitschule in den letzten Jahren zu keinerlei speziellen Problemen gekommen ist. Die existierenden Probleme – Drogenszene und Kriminalität – haben anderweitige Ursachen.

Jeder andere Club/Verein/Betrieb, bei dem sich solche Vorfälle abspielen, würde umgehend geschlossen. Hier ist die Stadt also inkonsequent. Einverstanden?
Die Situation ist sehr vergleichbar mit dem Hooliganismus. Wir unterhalten sehr enge Beziehungen zu YB, trotzdem verbieten wir keine Spiele, auch wenn es zu Ausschreitungen kommt. Die YB- Clubführung, die Fanarbeit, die Sicherheitsdienste, die Polizei: Alle bemühen sich um eine Lösung des Problems, seit Jahren, und nur teilweise erfolgreich. Den gleichen Willen stellen wir rund um die Reitschule auch fest. Die Ratlosigkeit, wenn es dann zu einem Vorfall kommt, ist sehr vergleichbar. Hingegen sind die ungedeckten (Polizei-)Kosten der Sicherheit von Fussballspielen ungleich höher.

Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine temporäre Schliessung der Reitschule? Was spricht gegen eine Kürzung der Subventionen, die die Reitschule von der Stadt erhält?
Das sind die Vorschläge von Regierungsrat Müller, die wir direkt mit ihm besprechen werden. Das kommentieren wir nicht in den Medien.

Man könnte der Reitschule, ähnlich dem Kaskadenmodell im Fussball, Spielregeln auferlegen. Passiert etwas, müsste sie mit Konsequenzen rechnen. Wäre das eine mögliche Gangart für die Zukunft?
Wie erfolgreich ist die KKJPD (Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, Anm. d. Red.) bei der Bekämpfung der Fangewalt im Fussball? Ich finde, der Erfolg ist überschaubar. Sehen Sie: Der Umgang mit gewalttätigen, extremistischen Jugendlichen fordert unserer Gesellschaft immer wieder grösste Prüfungen ab. Man kann zu sehr autoritären Massnahmen greifen und solche Bewegungen niederknüppeln; das macht Putin, passt aber nicht zu unserer liberalen, demokratischen Gesellschaft und führt zu immensen Schäden. Oder man versucht, diese Bewegungen zu erreichen, heranzuholen und wieder am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Das ist schwieriger, langwieriger und gibt weniger Applaus von der Tribüne. Aber es ist vermutlich doch der bessere Weg. Und es ist vor allem auch mein Weg.


«Es bestehen massive Sicherheitsprobleme»

Reto Nause, Gemeinderat/Sicherheitsdirektor Stadt Bern

Reto Nause, welche Konsequenzen fordern Sie nach den wüsten Ausschreitungen auf der Schützenmatte?
Die gewaltextremistische linke Szene muss mit nachrichtendienstlichen Mitteln besser überwacht werden. Dazu braucht es Gesetzesänderungen auf nationaler Ebene – ich werde versuchen, diese als Nationalrat einzufordern. Wir müssen diese Leute, eine kleine Handvoll Gewalttäter, die genauso gewalttätig sind wie Rechtsextreme, unbedingt dingfest machen. Und dafür sorgen, dass sie keinen Rückzugsort mehr aufsuchen können. Auch das machte den Polizeieinsatz auf der Schützenmatte Anfang Mai so schwierig.

Was ist heute denn gesetzlich möglich und was nicht?
Das Abhören von Telefonaten, die Verwanzung, die Kontrolle des Mailverkehrs – heute dürfen diese Möglichkeiten per Gesetz nur bei Verdacht auf Terror, Atomwaffenproliferation und Attacken gegen kritische Infrastrukturen eingesetzt werden. Das reicht nicht mehr. Gewaltextremismus hat enorm zugenommen, links wie rechts. Bern beschäftigt primär die linke Szene. Vor den Vorfällen auf der Schützenmatte waren wir betreffend Überwachung blind – hätten wir nachrichtendienstliche Mittel zur Verfügung gehabt, hätten wir von den Planungen gewusst. Und dann noch eine zweite Forderung.

Bitte.
Die Security der Reitschule muss klar erkennbar sein. Extremisten haben im Vorfeld Steinedepots angelegt – und niemand will davon etwas mitbekommen haben? Wir müssen in Bern ideologische Barrieren überwinden. Es ist bewiesen, dass die Stadt der Reitschule nichts Böses will, nicht einmal die Sicherheitsdirektion. Aber wir wollen diese Gewaltausbrüche nicht mehr, diese können, wie wir jetzt erlebt haben, lebensgefährlich sein. Hier steht die Trägerschaft der Reitschule in der Verantwortung und kann nicht auf ‹Omertà› machen und sich hinter mafiösen Strukturen verstecken.

Wie ordnen Sie die Lage vor der Reitschule generell ein?
Die Situation auf der Schütz hat sich in den letzten Jahren beruhigt, das ist mitunter auch das Verdienst des Stadtpräsidenten. Letztmals kam es 2019 zu solch inakzeptablen Szenen. Doch um es nochmals klar zu sagen: Es handelt sich um einen untolerierbaren Gewaltausbruch. Die Polizei ist willentlich und vorsätzlich angegriffen worden – unter Inkaufnahme von Schwerverletzten bis Toten.

Fakt ist doch: Die Lage auf der Schütz hat sich in letzter Zeit dramatisch verschlechtert. Die Sozialarbeiter von Pinto trauten sich zeitweise nicht mehr dorthin.
Es bestehen massive Sicherheitsprobleme, ausgehend hauptsächlich von Maghrebinern. Die Vorfälle vom vorletzten Wochenende haben damit allerdings nichts zu tun. Diese waren vorbereitet, die Gewalttäter trugen Schutzbrille und Helm und gehören zur linksextremen Szene.

Manche sagen, die Stadt würde die Gewalt zwar verurteilen, konkret aber passiere nichts.
Ich kann Ihnen versichern: Hinter den Kulissen tut sich derzeit vieles. Wir haben uns als Gesamtgemeinderat ausführlich von der Gesamtsituation in Kenntnis setzen lassen. Der Gemeinderat hat die Gewalt glasklar verurteilt. Das löst nun einen Rattenschwanz von Massnahmen aus.

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