Seit Montag ist klar: Claudio Righetti verlässt den Berner Stadtrat bereits nach vier Jahren wieder. Freiwillig. Links-Grün führe immer öfter «haarsträubende Debatten», sagt der Unternehmer.
Claudio Righetti, was hat Sie dazu bewogen, aus dem Berner Stadtrat zurückzutreten?
Ich trete nicht zurück, sondern nur nicht wieder zur Wahl an. Das steht seit gestern fest. Damit beende ich meine erste Legislaturperiode per Ende Jahr und auch mein politisches Engagement in Bern.
Lassen Sie mich raten: Sie als Bürgerlicher im linken Bern sind nach knapp vier Jahren Politik enttäuscht und genervt – deshalb Ihr Abgang.
Mir war von Anfang an bewusst, welche Kräfteverhältnisse mich im Stadtrat erwarten würden. Was ich mir allerdings nicht hätte erträumen lassen, ist das Ausmass und wie einseitig die «bernroten» Ideologien von den entsprechenden Personen durchgedrückt werden. Dabei geht es nicht darum, Bern als zukunftsweisende Hauptstadt für alle nach vorne zu bringen, sondern vielmehr darum, Bern als Vorzeigestadt dieser einen links-grünen Weltanschauung zu zementieren. Und das geschieht nicht einfach so im Blindflug, sondern gnadenlos. So ist jedenfalls mein Empfinden. Mit der Zeit fühlte ich mich immer mehr wie Harry Potter bei den Todessern. Mit aller Liebe zu Bern: Das will ich mir nicht länger antun!
Was hat Sie an den Stadtratssitzungen am meisten irritiert?
Im Stadtrat werden wichtige Dossiers behandelt. Doch in letzter Zeit immer mehr auch haarsträubende Debatten geführt, so zum Beispiel über die «Umfunktionierung» von Parkhäusern in der Innenstadt, zum Beispiel in Freizeitanlagen. Damit gemeint ist allerdings schlicht deren Abschaffung. Wie kann man allen Ernstes über so etwas Absurdes auch nur nachdenken?
Was hat Sie sonst geärgert?
Das völlig überdrehte Werbeverbot, das zwar knapp, aber eben doch durchgesetzt wurde. Ein Fünftklässler, der sich nur ein wenig für Zahlen interessiert, begreift, wie katastrophal schädlich sich so ein Vorhaben auf Wirtschaft und Arbeit auswirken kann und damit auf unsere Freiheit und Selbstbestimmung. Ich frage mich manchmal, ob die Wählerinnen und Wähler da draussen verstehen, was im Stadtrat vor sich geht … Jede und jeder von uns wäre gut beraten, genauer hinzuschauen; denn hier wird entschieden, was Ihr Leben in Bern langfristig mitbestimmt!
Um Sie richtig zu verstehen: Ihre Enttäuschung richtet sich vor allem an den politischen Gegner?
Vielleicht hört sich das jetzt seltsam an, aber nicht die Linke frustriert mich. Was mich deutlich mehr enttäuscht, ist diese für mich unverständlich passive Haltung all jener, die sich zwar immer wieder über die Massnahmen der Linken aufregen. Bloss: Wenn es darauf ankommt, Farbe zu bekennen, selbst hinzustehen und klar Kante zu zeigen, sucht man diese Leute dann vergebens. Damit macht man es der Linken natürlich sehr einfach, Bern ihren Lifestyle aufzudrücken.
Wie viele Ihrer Wahl-Visionen konnten Sie in die Politik einbringen?
Leider viel zu wenige! Ich müsste mich ein Stück weit also selbst in obige Kritik einschliessen (lacht). Ich habe als Unternehmer für vier Jahre meine Komfortzone für die Politik verlassen, um etwas zu verändern. Wenn allerdings der «Nährboden» nicht passt und das Interesse an Veränderung nur so zaghaft vorangeht wie jetzt, kommt der Tag, an dem man sich irgendwann nicht mehr selbst neu zu motivieren weiss. Was ich in der Berner Politik am stärksten vermisse, ist der Blick nach aussen, also nicht nur auf sich selbst fokussiert zu bleiben. Lokalpolitik bedeutet nicht, dass die grösseren Zusammenhänge hier keine Rolle spielen und einfach «ausgeblendet» werden können. Aber genau das geschieht leider eindeutig zu oft. Ich musste erkennen: Unter diesen Voraussetzungen werden sich meine Ideen für Bern nie entfalten.
Was war Ihre grösste Enttäuschung?
Ignoriert zu werden! Ein kleines Beispiel: Wie oft hatte ich in meinem Wahlkampf die Chancen einer Universitätshauptstadt Bern mit Begeisterung proklamiert – was glauben Sie: Hat jemand von der Uni Bern Stadtrat Righetti einmal angerufen oder zu einem spontanen Ideenaustausch eingeladen? Fehlanzeige! Es ist offensichtlich, dass kein Interesse daran besteht, eine andere Perspektive kennenzulernen – das schmerzt schon ein wenig …
Was war Ihr glücklichster Moment?
Es ist nicht der Moment, sondern zahlreiche kleine Errungenschaften, die das gute Gefühl geben, mit unserer kleinen Mitte-Fraktion doch einiges in eine bessere Richtung angestossen zu haben. Die breite bürgerliche Liste für die kommenden Gemeinderatswahlen im Oktober ist ebenfalls ein erfreulicher und wichtiger Schritt in diese Richtung, hin zu einer faireren Verteilung der politischen Kräfte in Bern. Dafür möchte ich insbesondere unserer städtischen Mitte-Präsidentin Laura Curau ein Kränzchen winden, die sich dafür mit Geschick und viel Hartnäckigkeit eingesetzt hat.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Stadtpräsident Alec von Graffenried?
Ich hatte Alec 2020 mit meiner eigenen Stapi-Kandidatur herausgefordert. Dieses Jahr könnte es für ihn wegen Marieke Kruit etwas schwieriger werden (lacht). Spass beiseite: Wir pflegen ein kollegiales Verhältnis – dennoch könnten unsere Ansichten über Bern unterschiedlicher nicht sein. Ich war übrigens auch dezidiert gegen eine Fusion von Bern und Ostermundigen und bin sehr froh über den weisen Entscheid der Ostermundiger Bevölkerung, eine solche abzulehnen.
Wie sehen Sie die politische Zukunft Berns?
Ich bin kein Prophet, aber was auffällt, ist, dass sich die Politik auch in Bern in einer «Bubble» dreht. Ich wette mit Ihnen, dass nicht die Hälfte der Bevölkerung in Bern weiss, was ein Stadtrat ist oder was dort passiert. Damit nehmen in erster Linie Nicht-Politikinteressierte in Kauf, dass in Zukunft jene «wenigen», die mitmachen, über das Leben und Schicksal vieler bestimmen. Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen, denn sie birgt in sich die Gefahr, dass sich die Demokratie mit der Zeit schleichend zu einem Zweckinstrument der Macht verdrehen könnte.
Wenn Sie über Politik sprechen, spürt man immer noch ein «Feuer», das brennt – lassen Sie in Zukunft wirklich die Hände davon?
Bestimmt! Mein «Feu Sacré» dafür ist erloschen – der Wind, welcher die wenige Glut noch neu entfachen könnte, müsste sich schon in einen Sturm verwandeln (lacht). Nichtsdestotrotz: Mein Herz schlägt auch in Zukunft für Bern und ich werde meine kulturellen Aktivtäten, so zum Beispiel die Chalet Muri Talks, die wir inzwischen erfolgreich nach Basel und Zürich gebracht haben, hier in Bern halten und weiterentwickeln.