SVP-Nationalrat Lars Guggisberg wirkt stets gut gelaunt. Diese Heiterkeit habe wohl mit seiner «Schwester» zu tun, sagt der Berner Politiker. Diese habe am Down-Syndrom gelitten und oft gelacht – sei aber viel zu früh verstorben.
Lars Guggisberg, Ihre Partei hat seit kurzem einen neuen Präsidenten. Sind Sie zufrieden mit seiner Wahl?
Ich bin überzeugt, dass Marcel Dettling seinen Job mit Bravour ausführen wird. Er ist nahe beim Volk, bodenständig, zudem ein guter Motivator und Kommunikator. Er ist Politiker mit Leidenschaft und steht mit beiden Beinen im Leben. Für mich eine Idealbesetzung.
Marcel Dettling tritt pointiert, immer mal wieder auch provokativ auf. Sprich: der klassische SVP-Chef.
Ein Präsident muss klare und einfach verständliche Aussagen machen können. Weil er den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken soll.
Was meinen Sie damit?
Wir müssen den Menschen in diesem Land aufzeigen, dass wir den Fokus wieder mehr auf die Schweiz legen sollten. Schon nur aufgrund der zahlreichen globalen Konfliktherde. Wenn es einen positiven Aspekt zur Annahme der 13. AHV-Rente gibt, dann diesen: Die Menschen wollen wieder mehr Schweiz.
Das heisst konkret?
Wir brauchen eine starke Landesverteidigung. Wir müssen ausserdem in der Lage sein, uns selbst zu versorgen: mit Lebensmitteln, mit Medikamenten, mit Strom – letztendlich auch mit Fachkräften.
Sie sprechen die Nachhaltigkeitsinitiative Ihrer Partei an.
Ja. In den letzten zwanzig Jahren wuchs unsere Bevölkerung um zirka 1,5 Millionen Menschen. Dadurch sind die Strassen verstopft, der ÖV überlastet, es gibt zu wenig Pflegepersonal, zu wenige Lehrkräfte, die Mieten werden immer teurer. Alles eine Folge der masslosen Zuwanderung. Deshalb ist unsere soeben eingereichte Initiative die richtige Massnahme, um die Geschwindigkeit zu drosseln. Das Mass ist überschritten.
Sie sperren sich aber nicht gegen eine qualifizierte Zuwanderung?
Wir sind teilweise auf ausländische Fachkräfte angewiesen, dagegen ist nichts einzuwenden. Bloss: Bei Abschluss der bilateralen Verträge wurde eine Nettozuwanderung von rund 8000 Personen pro Jahr prognostiziert – tatsächlich sind es seit Jahren im Schnitt 80’000 – das heisst pro Jahr die Stadt St. Gallen. Im Jahr 2023 waren es gar über 260’000! Das sind unhaltbare Zustände. In der Asylpolitik sind wir ebenfalls inkonsequent.
Inwiefern?
Es werden eindeutig zu wenige Menschen zurückgeschickt, die gar keinen Flüchtlingsstatus haben – also nicht an Leib und Leben gefährdet sind. Wobei diese Personen erst gar nie in die Schweiz einreisen dürften, würde Schengen/Dublin konsequent umgesetzt. Und noch ein dritter Punkt.
Bitte.
Übermässige Zuwanderung führt zu immer höherem Bedarf an Fachkräften. Dabei wären wir in der Lage, dieses Problem weitgehend selbst zu lösen, wenn wir unsere Bildungspolitik besser auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausrichten würden. In den Köpfen von Jugendlichen, Eltern und Lehrkräften sollte sich endlich die Überzeugung etablieren, dass eine Berufslehre ein erstklassiger Einstieg ins Berufsleben garantiert. Es muss nicht immer der Gymer sein.
Was bewegt Sie aktuell sonst noch?
Der geplante Rahmenvertrag mit der EU. Es ist kaum übertrieben zu sagen: Das ist ein Unterwerfungsvertrag, der für unser Land extrem negative Konsequenzen haben würde. Wir liefern uns hier EU-Richtern aus …
Das ist klassisches SVP-Wording.
Es ist aber so! Und wir würden uns verpflichten, horrende Summen zu zahlen. Vor allem: Wir setzen unsere Unabhängigkeit aufs Spiel! Pfeift ein deutscher Schiedsrichter das Fussballspiel Schweiz-Deutschland, ist ja auch bereits im Vornherein klar, wie der Match endet. Deshalb müssen wir unglaublich wachsam sein.
Sie sprechen bei der SVP gerne vom «Volk». Bei der Abstimmung im März haben Sie allerdings an genau ebendiesem vorbeipolitisiert. Die Mehrheit der SVP-Wählenden nahm die Initiative zur 13. AHV-Rente an.
Da haben Sie Recht, hier müssen wir uns an der eigenen Nase nehmen. Wir konnten unserer Basis zu wenig klar vor Augen führen, wie schlecht es um die Bundesfinanzen steht und was eine 13. AHV-Rente für Folgen haben wird. Die Ausgaben für die soziale Wohlfahrt haben sich in den letzten 30 Jahren schliesslich verfünffacht. Zudem haben wir es zu wenig geschafft, die Jungen zu mobilisieren. Die AHV ist die wichtigste soziale Errungenschaft der Schweiz der letzten hundert Jahre. Wir sollten sie nicht gegen die Wand fahren.
Wer sich mit Ihnen, Herr Guggisberg unterhält, sitzt einem fröhlichen und freundlichen Zeitgenossen gegenüber. Eigentlich sind Sie viel zu nett für die SVP.
Ich lege viel Wert auf Anstand, Respekt und Bescheidenheit. Diese Werte probiere ich auch unseren Kindern mit auf den Weg zu geben. Gleichzeitig kenne ich meine politischen Prinzipien: Ich orientiere mich stets an den Grundsätzen Freiheit, Unabhängigkeit und Eigenverantwortung. Dass ich grundsätzlich eine fröhliche Person bin, hat möglicherweise mit etwas anderem zu tun. Die Fröhlichkeit habe ich wohl in jungen Jahren meiner Tante abgeschaut, die ab meinem vierten Lebensjahr zu unserer Familie gehörte und unter dem gleichen Dach lebte – quasi wie meine dritte Schwester. Sie hatte das Down-Syndrom und lachte ebenfalls viel. Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Leider verstarb sie vor rund zehn Jahren.
Ein familiärer Schicksalsschlag, mein Beileid. Und trotzdem: In der Sache sind Sie knallhart.
Eher «hart, aber fair». Ich bin jemand, der mit allen spricht, unabhängig von der politischen Ausrichtung. Dafür sind wir Politiker unter anderem gewählt. Dass links-grüne Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf mich zukommen, um mit mir über Vorstösse zu diskutieren, werte ich als positives Zeichen. Obschon ich ihnen natürlich öfters eine Absage erteile, weil ich anderer Meinung bin. Doch es existieren sehr wohl Themen, in denen ich Überschneidungen mit anderen politischen Parteien habe.
Nämlich?
Bei der Wasserkraft beispielsweise. Ich bin offen bei sportlichen Anliegen oder punkto ÖV. Trotzdem bin ich mit Leib und Seele SVPler.
Die FDP war nie ein Thema bei Ihnen?
Ich trat als 23-Jähriger der SVP bei. Zuvor machte ich mir durchaus Gedanken darüber, wo ich politisch hingehöre. Wer eine Justizlaufbahn einlegen will, sollte sich irgendwann für eine Partei entscheiden. Ich hatte einst durchaus Beziehungen zum Jungfreisinn. Und doch bin ich landwirtschaftlich geprägt, mein Vater war SVP-Grossrat, meine Grosseltern haben «buret» … am Ende haben sich diese Werte durchgesetzt.
Wie intensiv verfolgen Sie die Politik der Stadt Bern? Die SP attackiert den Sitz von Stapi Alec von Graffenried.
Ich bin sehr gerne in Bern. Trotzdem verbindet mich mit der Stadt eine Art Hassliebe – namentlich die Verkehrspolitik ist für mich ein riesiges Ärgernis. Oder wenn im Stadtrat über die Überwindung des Kapitalismus debattiert wird … da fasse ich mir ungläubig an den Kopf. Zu Ihrer Stapi-Frage: Ich finde die Ausgangslage spannend. Eine Auswahl an Kandidierenden fürs Stadtpräsidium ist toll, wir leben schliesslich in einer Demokratie. Ich hoffe natürlich, dass die bürgerliche Seite ebenfalls jemanden ins Rennen schickt.
Ist Alec von Graffenried ein guter Stapi?
Die Rahmenbedingungen gerade für KMU könnten klar besser sein. Aber es ist nicht alles schlecht, was er umsetzt.
Sie wurden im Herbst mit einem Glanzresultat wiedergewählt und stehen nun in Ihrer zweiten Legislatur. Welche Ambitionen haben Sie noch? Möchten Sie irgendwann in die Fussstapfen von Marcel Dettling treten?
Erstmal ist es für mich ein riesiges Privileg, Nationalrat sein zu dürfen. An diese Aufgabe trete ich mit grosser Demut heran. Meines Erachtens lässt sich eine politische Karriere nicht planen. Sollte sich irgendwann einmal eine Türe auftun, werde ich mir zu diesem Zeitpunkt die Frage stellen, ob ich versuchen will, hindurchzugehen. Das Parteipräsidium wäre eine reizvolle Aufgabe, aufgrund der familiären und beruflichen Situation habe ich mich allerdings gegen eine Kandidatur entschieden.
Wurden Sie denn angefragt?
Verschiedentlich, ja.
Wer Bundesrat sein will, muss konziliant agieren. Von daher wären Sie für dieses Amt um einiges geeigneter als etwa Ihr Rechtsaussen-Parteikollege Andreas Glarner.
(lacht) Wenn Sie das sagen …