Die 48-jährige Mitte-Stadträtin Béatrice Wertli ist als Power-Frau bekannt, die anzupacken weiss und nicht vor heiklen Aufgaben zurückschreckt. Ihre Führungserfahrung und Schaffenskraft möchte sie als Gemeinderätin umsetzen.
Béatrice Wertli, im August haben Sie die Diagnose Brustkrebs publik gemacht. Wie geht es Ihnen heute?
Den Umständen entsprechend sehr gut. Die Prognosen sind optimistisch, ich vertrage die Therapien gut. Der Alltag wird nicht von der Krankheit bestimmt, ich bin also sehr zuversichtlich. So wie es heute aussieht, kann ich alle Wahlkampftermine wahrnehmen. Ich erachte es als riesigen Vorteil, dass sich mein Radius auf die Steuer- und Wohngemeinde Bern beschränkt, lange Reisezeiten fallen also weg. Ich kann mich sofort nach einem Termin zuhause wieder erholen. Wahlkampf, Politik, Arbeit, Familie, Sport und Spital – alles in der gleichen Gemeinde!
Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Ihr Herz für Ihre Lieblingsstadt brenne: Bern. Warum Bern?
Es ist die Stadt, die ich mir selber ausgesucht habe, im Gegensatz zur Geburtsstadt Aarau. Bern befindet sich im Herzen der Schweiz. Auch fand die Liebe in Bern ihren Ursprung: Hier lernte ich meinen Mann kennen, in Bern gründeten wir die Familie. Bern ist mein Lebensmittelpunkt und zudem eine sichere Stadt.
Wo in Bern halten Sie sich am liebsten auf?
Einer meiner Lieblingsorte ist der Schönausteg an der Aare und zwar sowohl im Sommer als auch im Winter. Die Aare ist eigentlich der demokratischste Ort in Bern – alle Menschen sind gleich, wenn sie sich in der Aare treiben lassen! Als Läuferin absolviere ich an der Aare etwa die Hälfte meiner Trainings. Was mich in dieser Stadt auch immer wieder begeistert: Beim Bundeshaus gehen Parlamentarier:innen und Bundesräte ein und aus. Die Stadt ermöglicht, dass wir hier unbehelligt eine Politik der Nähe betreiben können.
Sie gelten als Macherin, sowohl beruflich als auch privat. Sie schreiben auf Ihrer Website: «Eine Familie – vier Agenden». Sind Sie ruhelos?
Ich habe das Glück, dass ich mich in verschiedenen Betätigungsfeldern «austoben» kann. Ich betrachte es als Schwäche von mir, dass ich mich kaum hinlegen kann ohne etwas zu tun.
Zwei Wochen Strandferien wären also nicht Ihr Ding?
(Lacht) Höchstens nach einem Training!
Was bedeutet für Sie Musse?
Wenn ich beispielsweise durch die Elfenau jogge und die Ruhe der Natur auf mich einwirken lasse, in meinem Tempo, ungestört und ohne abgelenkt zu werden, empfinde ich das als Musse. Musse hat für mich viel mit meditativer Bewegung zu tun.
Sie entstammen einer Aargauer Politikerfamilie. Wurden Sie durch das Elternhaus politisiert?
Meine Eltern politisierten für die CVP im Grossen Rat des Kantons Aargau, mein Onkel und Götti war Regierungsrat. Das habe ich natürlich als Kind hautnah mitbekommen. Aber den «Kick» erhielt ich anderswo: Als ich 18-jährig von einem Austauschjahr aus Australien in die Schweiz zurückkehrte, rief mich der Jungpolitiker Reto Nause an und wollte mich als Kandidatin für die junge CVP gewinnen. In diesem Alter hatte ich jedoch keine Lust, dasselbe zu tun wie meine Eltern und schnupperte in anderen Parteien. Schliesslich besuchte ich trotzdem einen Anlass der jungen CVP und Nause schwärmte von Kampagnen und Events, was mir imponierte. So blieb ich «hängen» und fand durch die Jungpartei den Weg in die Politik. Thematisch beschäftigte mich damals das Nein zum EWR-Beitritt 1992 am stärksten.
Warum kandidieren Sie nun für den Berner Gemeinderat?
Ich habe Lust und Freude, Verantwortung zu übernehmen, meine Erfahrung und mein Wissen einzubringen. Es ist eine sinnstiftende Aufgabe, man beschäftigt sich mit den Themen, die unser Leben bestimmen. Als Gemeinderätin kann ich, zusammen mit den Mitarbeitenden der Direktion, den Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat und der Bevölkerung, etwas entwickeln und gestalten. Ein Exekutivamt verlangt zudem auch Kreativität, neue Ideen. Ich denke beispielsweise an die Pop-Up-Kultur, die es vor zwölf Jahren noch nicht gab.
Was missfällt Ihnen an der gegenwärtigen Politik in der Stadt Bern?
Erstens: Die Dominanz von Rot-Grün sowohl im Parlament als auch in der Regierung führt dazu, dass gewisse Vorlagen nicht mehr sorgfältig vorbereitet werden, dazu gehört beispielsweise die Fusion mit Ostermundigen. Zweitens: Die heutige Situation repräsentiert die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr. Und drittens: Ich stelle fest, dass wir heute im Stadtrat oft über Themen diskutieren, um die sich die Stadt eigentlich nicht kümmern muss.
Zum Beispiel?
Ich denke an die Seenotrettung im Mittelmeer, zwar ein wichtiges Thema, das aber nicht in die Kompetenz der Stadt Bern gehört. Oder das Werbeverbot auf städtischer Ebene… Wir müssten uns auch grundsätzlich einmal über unser Wahlsystem unterhalten: Wählt man primär Persönlichkeiten in eine Regierung oder eine Allianz, wie dies heute mit dem Proporz-Wahlsystem der Fall ist?
Im Falle einer Wahl: Welches wäre Ihre Wunschdirektion?
Ich kandidiere primär als Mitglied der Exekutive und ich bin bereit, jede Direktion zu übernehmen. Aber man darf feststellen, dass die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie (SUE) vom Mitte-Politiker Reto Nause seit 2009 sehr gut geführt wurde. Mit meiner Kandidatur verteidige ich den Mitte-Sitz und bisher kam mir noch nicht zu Ohren, dass sich jemand explizit für die SUE interessiert…
Im Stadtrat wurde eine dringliche Motion zur Erhöhung der Zahl der Gemeinderatsmitglieder von fünf auf sieben eingereicht. Was halten Sie davon?
Man sollte darüber nachdenken! Ich würde abwarten, wie sich der Gemeinderat dazu äussert, denn er kann am besten beurteilen, ob sich der Status quo bewährt hat oder eine Notwendigkeit für eine Vergrösserung besteht.