Wie tickt Ursina Anderegg politisch? Die grüne Gemeinderatskandidatin kritisiert die Pop-up-Bewilligungspraxis scharf. Beim Klimaschutz müsse die Stadt Bern zudem endlich Fahrt aufnehmen.
Ursina Anderegg, wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Ich bin eine offene, neugierige Person und mag gerne Menschen – das ist mit ein Grund, wieso ich Politik mache. Man sagt zudem, ich sei sehr humorvoll. Mich interessieren viele Dinge und ich bin gut darin, mich rasch in neue Zusammenhänge einzudenken.
Ihr Dialekt verrät: Sie sind ursprünglich keine Bernerin.
Richtig. Ich wuchs in einem Dorf bei Baden im Aargau auf und zog dann fürs Studium nach Bern, das mich schon immer faszinierte. Für mich war ziemlich schnell klar, dass ich von hier nicht mehr wegwollte. Das ist jetzt 22 Jahre her.
Sie sagen, Sie haben gerne Menschen. Auch Bürgerliche?
Ich mag grundsätzlich alle Menschen, selbst wenn mich manche ab und zu aufregen. Ich diskutiere gerne mit Leuten, die andere Meinungen vertreten. So schärfe ich unter anderem meine Argumentationen. Mit Rechtsextremen muss ich allerdings kein Bier trinken.
Wenn Sie gewählt würden, was würden Sie als Erstes anpacken?
Die Wohnsituation beschäftigt zahlreiche Menschen: Viele sind konfrontiert mit steigenden Mieten oder haben Angst vor Sanierungen, weil sie befürchten, danach ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können. Deshalb würde ich meine Priorität auf mehr kostengünstigen Wohnraum setzen und Mietzinskontrollen einführen.
Sie schreiben auf ihrer Webseite dass die «Bevorzugung von Pop-up-Betrieben» beendet werden müsse. Das ist eine Breitseite gegen Noch-Gemeinderat Reto Nause.
Die Bewilligungspraxis hat Züge angenommen, die meines Erachtens ungesund sind. Die eigentliche Idee von Pop-ups war, unattraktive Orte zu beleben und Begegnungsorte zu schaffen. Mittlerweile finden sich Pop-ups jedoch oft in direkter Konkurrenz zu fixen Gastronomiebetrieben. Überzeitbewilligungen von Pop-ups wurden liberalisiert und haben damit Standortvorteile gegenüber bestehenden Clubs. Unterdessen machen in der Pop-up-Szene zwei, drei grosse Player in kurzer Zeit viel Geld, oft zu schlechteren Arbeitsbedingungen. Das halte ich für eine problematische Entwicklung. Die Gastronomie hat es schon schwer genug.
Im Bereich Wirtschaft und Finanzen haben Sie zig Forderungen. Sparen zählt hingegen nicht dazu.
Gespart werden muss dann, wenn es nötig ist. Das ist momentan nicht der Fall. In dieser Legislatur schnürten wir grosse Sparpakete. Diverse Stellen und Leistungen wurden abgebaut, in der Kultur, bei Angeboten für Kinder, beim Klimaschutz …
Das Budget der Stadt Bern ist tiefrot.
Nein, bei einem Gesamtbudget von 1,4 Milliarden Franken liegt ein für nächstes Jahr budgetiertes Defizit von 28 Millionen im gesunden Bereich. Und die Rechnungen in den letzten Jahren haben immer viel besser als budgetiert abgeschlossen.
Sie wissen, dass die Stadt 118,5 neue Stellen vorsieht.
Natürlich. Ein beträchtlicher Teil davon wird indes drittfinanziert durch den Kanton. Andere Stellen entsprechen dem politischen Willen, um Veränderungen voranzutreiben. Dazu benötigt es Personal, das finde ich wichtig und richtig.
Trotzdem: Um Berns Finanzen steht es enorm schlecht.
Wir haben gerade Rekordsteuereinnahmen erzielt, die Reserven liegen bei etwas über 100 Millionen Franken. Gleichzeitig tätigen wir Rekordinvestitionen für Infrastruktur, Schulraum, Sanierungen und Werterhaltungen. Die Stadt Bern ist finanziell gut aufgestellt. Trotzdem müssen wir selbstverständlich sorgfältig mit Geld umgehen, was der Gemeinderat ja auch tut.
Welche Note würden Sie der rot-grün dominierten Stadtregierung erteilen?
Ebenfalls eine 5,5. In 30 Jahren RGM hat sich in Bern enorm viel verändert: Zig Leute möchten hierhin ziehen, die Lebensqualität ist hoch –
eine Konsequenz der RGM-Politik. Zudem funktioniert der Gemeinderat als Gremium; RGM verlor in der ablaufenden Legislatur keine einzige Abstimmung.
Dennoch wäre etwas mehr Eigenkritik wünschenswert. Die Bilanzmedienkonferenz des Gemeinderats Ende Juni war Selbstbeweihräucherung in Reinkultur. Die gescheiterte Fusion mit Ostermundigen kam nur zur Sprache, weil ein Journalist explizit darauf hinwies.
In ambitionierten Projekten kann immer etwas schiefgehen. Darüber können und sollten wir reden.
Die Sache mit Ostermundigen war nicht irgendein Versuchsballon, sondern ein Vorzeigeprojekt. Beim Informatikprojekt base4kids passierten ebenfalls Fehler.
Völlig einverstanden. Ich bedauere, dass die Fusion in Ostermundigen abgelehnt wurde, da ist nicht alles optimal gelaufen.
Der Waisenhausplatz ist keine Schönheit, da hat RGM kaum etwas unternommen. Das müsste Sie als Grüne doch stören.
Ja, ich würde es begrüssen, wenn es hier vorwärtsgeht.
Was ist in Bern top, was flop?
Die Stadt ist extrem lebendig im Bereich Kultur, Gastroszene und in den Quartieren. Flop finde ich die Klimapolitik. Es bräuchte auf jedem geeigneten Dach Solaranlagen; wir müssen schnell raus aus den fossilen Heizungen. Da hätte ich vom aktuellen Gemeinderat mehr erwartet.
Wie schätzen Sie Ihre Wahlchancen ein?
Die Ausgangslage ist herausfordernd. Auf eine Prognose lasse ich mich nicht ein, aber ich bin, zusammen mit meinen RGM-Kolleginnen und -Kollegen, topmotiviert, die vier Sitze halten zu können.