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Reto Nause kontert die Kritik an seiner Klimaschutzpolitik

«Diese Leute haben Tomaten auf den Augen»

Gemeinderat Reto Nause: «Bern hat viel Geld, aber eben auch viele Schulden.» Foto: Daniel Zaugg

Im Herbst muss Reto Nause als Berner Gemeinderat ab­treten. Im Interview spricht er über die linke Dominanz in der Stadtregierung, grüne Umweltkritik und seine mögliche Autobiografie.

Reto Nause, wie ist das Leben als Nationalrat?
Völlig anders als in einer Regierung. Die Präsenzzeiten sind relativ hoch; ich habe meine Mails noch nie so effizient erledigt wie während der Session.

Haben Sie im Nationalrat ausserhalb Ihrer Fraktion schon ein Lieblingsgspändli gefunden?
Vor mir sitzt Aline Trede. Ich habe vergeblich versucht, Sie von einer Gemeinderatskandidatur zu überzeugen. (lacht)

Gleichzeitig läuft Ihre Zeit im Gemeinderat ab. Kommt bereits ein wenig Wehmut auf?
16 Jahre sind eine lange Zeit. Aufgrund des permanenten Krisenmodus seit Anfang 2020 ist es für mich völlig in Ordnung, Verantwortung abgeben zu können.

Kann man als einziger Bürgerlicher in einem links-grünen Gemeinderat überhaupt wehmütig sein?
Ich brachte meine Sachgeschäfte grossmehrheitlich durch. Regieren macht Spass, ist aber auch ein harter Job.

Die Stimmung im Gemeinderat ist trotz sämtlicher politischer Differenzen gut?
Die Zusammenarbeit funktioniert. Ich habe in all den 16 Jahren vielleicht ein einziges Mal erlebt, dass eine interne Information nach aussen gedrungen ist. Das ist bemerkenswert.

Was war Ihr bewegendster Moment als Gemeinderat?
Einer der emotionalsten Momente in der jüngeren Vergangenheit war sicher der Handshake mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski Mitte Januar auf dem Belpmoos. Aber auch die persönliche Begegnung mit dem Dalai Lama war sehr beeindruckend.

Nun hat Ihre Partei zusammen mit weiteren bürgerlichen Parteien inklusive GLP und SVP den Schulterschluss vollzogen, um die 4:1-Dominanz von Rot-Grün im Gemeinderat zu brechen. Würde eine 3:2-Situation überhaupt etwas ändern?
Massiv sogar! Erstens würde sich demokratiepolitisch einiges bewegen, weil deutlich öfter um Mehrheiten gekämpft werden muss, anstatt einfach das Parteiprogramm durchexerzieren zu können. Mit zwei bürgerlich geführten Direktionen kämen die Geschäfte zudem ganz anders gestaltet in Stadt- und Gemeinderat. Nicht zuletzt steht die Stadt Bern finanziell deshalb mit einem Bein am Abgrund, weil die Ausgabenseite munter gewachsen ist. Bei einem 3:2 hätte die Sache wohl vernünftigere Züge angenommen.

Alec von Graffenried sagte dieser Zeitung Anfang Jahr, Bern weise eine «gewisse Verschuldung» auf, verfüge aber gleichzeitig über ein «sehr grosses Vermögen». Sprich: Sie übertreiben!
Natürlich hat Bern viel Geld – aber eben auch viele Schulden. Zudem ist die Bereitschaft, unser Tafelsilber zu verscherbeln, wohl eher gering (lacht). Das Vermögen der Stadt scheint also eher theoretischer Natur.

Bewilligungen für Protestaktionen wurden im vergangenen Spätherbst sehr zurückhaltend erteilt. Wir nannten es gar ein «Demo-Verbot». Kam es in jenem Zusammenhang zu Konflikten zwischen Ihnen und dem Stadtpräsidenten?
Nachdem gewisse Stadtratsfraktionen das Thema «verpolitisiert» hatten, entstanden einige Reibereien, ja. Unter dem Strich hingegen funktionierte diese Taktik hervorragend, in der Innenstadt herrschte Ruhe. Wir haben alles richtig gemacht.

Sie sind jemand, der sich gerne pointiert äussert. Und ausgerechnet Sie verbieten dann den Menschen den Mund?
Es haben durchaus Kundgebungen stattgefunden. Auf der Schütz oder dem Rosalia-Wenger-Platz beispielsweise. Nochmals: Die Innenstadt verbrachte einen ruhigen Advent, und das war das Ziel, nachdem wir Anfang November äusserst emotional aufgeladene Kundgebungen, an denen schon mal eine Talibanfahne zu sehen war, erlebten.

Links-Grün behauptet oft, im Bereich Umwelt laufe in der Stadt Bern zu wenig. Das ist ein direkter Vorwurf an Sie.
Diese Leute haben Tomaten auf den Augen und verkennen schlicht die Tatsachen. Im Gebäudebereich beispielsweise, namentlich beim Heizen, haben wir die jährlichen CO2-Emmissionen seit 2011 um 40 Prozent gesenkt Und das trotz eines Bevölkerungswachstums von rund 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern im gleichen Zeitraum! Dank der Rahmenbedingungen, die die Stadt Bern geschaffen hat, konnte EWB investieren und die Wirtschaft und Private hatten die Möglichkeit, entsprechende Projekte umzusetzen. Zusammen mit EWB treiben wir den Ausbau des Fernwärmenetzes kräftig voran; weite Teile von Berns Westen werden bald von Öl und Gas auf Fernwärme umstellen können. Zudem wurden wir als Energiestadt Gold mit der höchsten Punktzahl ausgezeichnet. Wären unsere Stadträte aus Zürich, würden sie sagen: «Mir sind gäili Sieche!» Deswegen ist mir dieser typisch bernische Defaitismus völlig unverständlich.

Sie sind bekennender Fan von Pop-up-Bars. Nun möchten Sie eines auf der Bundesterrasse eröffnen. Wieso?
Die Sicherheitslage auf der Bundesterrasse ist suboptimal. Es entstehen immer wieder Ansammlungen von Menschen. Sie stellen Getränke auf die Brüstung, die dann runterfallen. Manche werfen sogar absichtlich Flaschen runter. Die Situation von jenen, die unterhalb der Terrasse wohnen, ist belastet. Von anderen Perimetern wissen wir, dass durch Belebung und Durchmischung mehr Sicherheit entsteht, so wie zum Beispiel auf der Grossen Schanze oder im Aareufer-Bereich. Ich brachte die Idee bereits vor Jahren ein, doch das Bundesamt für Bauten und Logistik bremst. Ich habe darüber übrigens einmal mit den zwei ehemaligen Bundespräsidenten Maurer und Berset gesprochen – beide fanden das Konzept bestechend. Daraufhin versandete es allerdings in den Niederungen der Bundesverwaltung (lacht).

Welche Ziele haben Sie sich im Gemeinderat noch gesetzt?
Die Gesamtplanung Tierpark steht an, sie wird bald im Stadtrat beraten. In der Kommission wurde sie ohne Gegenstimme angenommen. Man will und soll den Zoo auf seinen Bildungsauftrag ausrichten: auf die Kinder, auf Biodiversität, Artenschutz; dazu ist ein Eingang geplant, der auch tatsächlich gefunden wird. Die Garderobensituation ist veraltet, die Platzverhältnisse eng. Zudem steht die Planung der Frauenfussball-EM 2025 an.

Im BärnerBär äusserte sich Ex-Direktor Bernd Schildger zur Situation im Tierpark. Ihr Kommentar?
Dazu sage ich nichts.

Wie ist denn die Stimmung aktuell im Tierpark?
Kader und Mitarbeitende sprechen sich aktiv für Direktorin Friederike von Houwald aus. Die Situation hat sich beruhigt, gerade medial.

Was liegt Ihnen sonst noch am Herzen?
Die innere Sicherheit. Gewaltextremismus hat stark zugenommen. Wir beobachten das Phänomen von regimetreuen Eritreer, die sich radikalisieren und aufeinander losgehen. Ausserdem gibt es in der Stadt Bern eine zunehmende Unterwanderung regulärer Wirtschaftsstrukturen durch Schwarzarbeit bis hin zu Menschenhandel. Bei Kontrollen zeigt sich, dass manche Betriebe Leute ohne Aufenthaltsbewilligung beschäftigen. Die Wohnsituation jener Menschen besteht häufig aus einer Zweizimmerwohnung mit zehn Personen, die auf Kajütenbetten schlafen. Das wollen wir unterbinden, denn es handelt sich um mafiöse Strukturen.

Eines Ihrer Herzensprojekte ist die bereits von Ihnen erwähnte Frauenfussball-EM 2025.
Die Europameisterschaft im kommenden Jahr wird ein ähnliches Volksfest werden wie die Euro08, und diese war dank der Holländer wahrscheinlich die grösste Party, die je in Bern stattgefunden hat. Erinnerungen, die niemand mehr vergisst. Zudem dürfte die EM dem Frauenfussball einen grossen Schub bescheren. Ich schaue den Frauen auf dem grünen Rasen gerne zu, auch weil sie deutlich weniger schnell am Boden liegen als ihre männlichen Kollegen (schmunzelt). Die Zuschauerzahlen zeigen steil nach oben – für Bern eine riesige Gelegenheit, sich in diesem Schaufenster zu präsentieren.

Zum Schluss unsere persönliche Vermutung: Sie veröffentlichen nach Ihrem Abgang aus dem Gemeinderat eine Autobiografie mit dem Titel: «Was ich über meine Gemeinderatskollegen schon immer sagen wollte. Reto Nause – eine Abrechnung.»
(Lacht laut) So selbstverliebt bin ich erstens nicht. Zweitens lautet mein Motto: servir et disparaître. Ich werde mich nach meiner Amtszeit nie zu Interna aus der Vergangenheit äussern und mich davor hüten, meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger zu kritisieren.

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