Gibt es an Silvester bald wieder ein Feuerwerk? Wieso verzichtet Alec von Graffenried im Januar auf Alkohol? Und warum macht ihm das tiefrote Budget keine Sorgen? Der Berner Stadtpräsident
im grossen Interview.
Alec von Graffenried, wie haben Sie Silvester gefeiert?
Sehr ruhig, ich konnte komplett runterfahren. Ich war mit meiner Frau und Freunden in den Bergen, zuerst an der Lenk und an Silvester dann auf dem Jaunpass.
Gewisse bedauern, dass in Bern im Gegensatz zu Zürich kein Feuerwerk zu bewundern ist.
Ein offizielles Feuerwerk gab es an Silvester in Bern noch nie, am 1. August hingegen schon. Dieses musste in der Vergangenheit einige Male wegen Trockenheit verschoben werden, letztes Jahr fand gar keines mehr statt. Wir sind bereits daran, uns etwas Neues zu überlegen.
In London haben Drohnen den Neujahrshimmel hell erleuchtet.
Eine Drohnenshow? Daran denken wir auch. Das hätte Potenzial. Damit würden auch die Möglichkeiten steigen, Neues zu kreieren und bei der Bevölkerung einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Haben Sie sich Vorsätze fürs 2024 genommen?
Normalerweise sehe ich davon ab, diesmal mache ich eine Ausnahme. Ich verzichte im Januar auf Alkohol.
Ein Dry January für den Stapi.
Ja, nur habe ich ihn für mich selbst auf Berndeutsch formuliert (lacht). In der Politik wird einem quasi nonstop Alkohol angeboten. Ein bewusster Umgang damit ist unerlässlich.
Was war 2023 Ihr persönliches Highlight, was hat Sie am meisten gewurmt?
Prägend war 2023 nach wie vor der Ukraine-Krieg, er hat alles überschattet. Auf lokaler Ebene ging die Fusionsabstimmung mit Ostermundigen natürlich nicht so über die Bühne, wie ich mir sie vorgestellt hatte. Positiv waren in der Stadt die zahlreichen Projekte, die Eröffnung der Baumgartenschule oder der neuen Schwimmhalle. Schliesslich verkaufte ich schon als junger Bub Ansteckbuttons mit dem Aufdruck «Schwimmbad Neufeld». Mit der Meinen-Überbauung im Mattenhof wurde begonnen, ebenso mit dem Bau der Neuen Festhalle. Eindrücklich war ausserdem unsere Gemeinderats-Reise nach Sarajevo.
Nervt es Sie mittlerweile, wenn Sie immer wieder auf die gescheiterte Fusion mit Ostermundigen angesprochen werden?
Nein, das Projekt war für die Region schliesslich äusserst wichtig. Ich habe mich allerdings schon gefragt, wieso die Vorteile einer Fusion bei den Menschen in Ostermundigen nicht besser vermittelt werden konnten.
Im Interview mit der «Berner Zeitung» erklärten Sie letzte Woche, Sie seien am Abend nach dem Nein zur Fusion trotz allem erleichtert gewesen, weil Bern somit das strukturelle Defizit Ostermundigens nicht übernehmen müsse. Das kann doch nach so einem Tag nicht Ihr primärer Gedanke gewesen sein?
Nicht der primäre Gedanke, nein. Ein Ja wäre eine einmalige Chance für die Region gewesen – umgekehrt bedeutet das Nein eine Entlastung für die städtischen Finanzen. Das strukturelle Defizit Ostermundigens hätte uns jährlich zirka 3,5 Millionen Franken gekostet, dazu kamen die einmaligen Kosten von rund 15 Millionen.
Haben Sie sich wegen der gescheiterten Fusion Vorwürfe gemacht?
(Überlegt kurz) Nein. Ich habe mir allerdings überlegt, was wir anders, besser hätten machen können. Als der Ostermundiger Gemeinderat beschloss, auf eine Abstimmungsempfehlung zu verzichten, wussten wir, dass das ein Game Changer sein dürfte. Eigentlich hätten wir damals das Projekt gleich abbrechen sollen. Das wäre indes kaum zu erklären gewesen, da wir ja vom Grossen Gemeinderat Ostermundigen und vom Stadtrat einen Auftrag bekommen hatten – bei einem Abbruch hätte es zudem geheissen, die Stadt verhalte sich arrogant. Trotzdem: Ab dem Moment, als Ostermundigens Gemeinderat sich nicht klar positionieren wollte, wussten wir, dass das Ganze zur Mission Impossible geworden ist.
Sie haben die städtischen Finanzen angesprochen. In besagtem BZ-Interview erklärten Sie, Bern sei «sehr, sehr vermögend». Das mag sein, täuscht jedoch kaum über das strukturelle Defizit hinweg. Wenn die Stadt Jahr für Jahr ein Minus im zweistelligen Millionenbereich budgetiert – wieso öffnen sie nicht einfach die Schatzkammer?
Diese Möglichkeit besteht, zumindest theoretisch. Langenthal zum Beispiel hat das 2006 mit dem Verkauf des Energieunternehmens Onyx so gemacht und liegt seither rund 1,5 Steuerzehntel unter Bern. Wir wollen jedoch unser Vermögen nicht verscherbeln. Die finanziellen Vorräte zu reduzieren wäre, im Hinblick auf künftige Generationen, alles andere als nachhaltig. Und genau darum geht es: Die Stadt Bern hat zwar eine gewisse Verschuldung, aber eben auch ein sehr grosses Vermögen; mit ihren Immobilien, mit ihren Unternehmen. Daher wird der Stadt Bern das Geld nie ausgehen.
Nochmals: Das Budget ist tiefrot.
Die Steueranlage Berns gehört innerhalb des Kantons zu den günstigsten zwanzig Prozent sämtlicher Gemeinden. Die Steuerkraft ist zudem gut, die Stadt gehört hier im Kanton zu den Top Ten. Hätten wir so hohe Steuern wie Biel oder Thun, würden wir quasi im Geld schwimmen. Wir segeln finanziell hart am Wind, weil wir nicht den Weg des geringsten Widerstands nehmen und einfach die Steuern erhöhen. Zumal die Stimmberechtigten einer Steuererhöhung nicht zustimmen würden.
Reden wir noch über einige aktuelle Themen: Die Kantonsregierung unterstützt das geplante Bettelverbot der SVP. Was bedeutet das für die Stadt Bern?
Komplett verbieten kann und darf man Betteln nicht. Ich finde, Berns Gewerbe- und Fremdenpolizei hat mit dem Projekt Agora eine erfolgreiche Strategie angewendet und kann damit die Bettelei in Grenzen halten. Andere Städte wie Basel kopieren dieses Modell, weil es so erfolgreich ist. Deshalb halte ich ein Bettelverbot für unnötig.
Im Herbst beschloss der Gemeinderat ein Demo-Verbot …
(Unterbricht) Das ist so nicht korrekt. Wir sagten nur, dass die Gewerbepolizei beim Erteilen von bewilligten Umzügen und Grossdemos zurückhaltend vorgehen soll.
Ist Ihnen Sicherheitsdirektor Reto Nause in diesem Punkt auf der Nase rumgetanzt?
Nein, wir haben das als Gemeinderat einvernehmlich entschieden. Übers Ganze gesehen finden hier in Bern viele politische Kundgebungen statt, das soll in einer Hauptstadt auch so sein. Doch sie müssen in einem geregelten Rahmen ablaufen, um nicht andere Menschen in deren Grundrechten einzuschränken. Deshalb wollten wir in der Weihnachtszeit, wenn die Innenstadt sowieso schon ziemlich dicht bevölkert ist, diesen Weg einschlagen. Generell sind die Gewerbepolizei mit den Bewilligungen und die Kantonspolizei während der Durchführung sehr erfolgreich im Management von Demonstrationen: deeskalierend und darum bemüht, die Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Ob uns Reto Nause reingelegt hat? Sicher nicht. Wir wollten Demos weiterhin zulassen, nur einfach so, dass alle aneinander vorbeikommen.
Lange wehte auf dem Erlacherhof die Flagge der Ukraine – jene von Israel nie.
Wir haben nach den Anschlägen vom 7. Oktober den Zytglogge in den israelischen Farben beleuchtet, als Zeichen der Solidarität. Ansonsten betreiben wir keine Aussenpolitik.
Wie blicken Sie den städtischen Wahlen vom Herbst entgegen? Entspannt?
Vor Wahlen bin ich eher verspannt als entspannt (schmunzelt). Im Ernst: Ich betreibe gerne Wahlkampf, freue mich auf die Begegnungen mit den Leuten. Auf die Wahlen selbst freue ich mich weniger, aber sie gehören halt dazu. In Bern stehen 2024 mehrere grosse Projekte an, ich hoffe nicht, dass sie von den Wahlen zu fest in den Hintergrund verdrängt werden.
Sie selbst rechnen mit einer Wiederwahl als Stapi?
Ich arbeite intensiv dafür und würde gerne Stadtpräsident bleiben, selbstverständlich.