Seit Anfang Jahr ist Alec von Graffenried nicht mehr Berner Stadtpräsident. Im Gespräch mit dem BärnerBär erklärt er, wie er die Abwahl verdaut hat und warum er sich öffentlich über die Direktionszuteilung aufregte.
Kurz vor dem Jahreswechsel sorgte Alec von Graffenried für einigen Wirbel: In einem Interview mit der «Hauptstadt» kritisierte er die neue Direktionsverteilung im Gemeinderat. Seinem Wunsch, die Finanzdirektion leiten zu können, sei ohne Begründung nicht entsprochen worden. Nun müsse er eben die Sicherheit übernehmen. Diese Aussagen dürften im frisch zusammengesetzten Gremium kaum positiv aufgenommen worden sein.
Irritiert zeigten sich auch «Der Bund» und die «Berner Zeitung»: In einem Kommentar war von Vertrauensverlust und Verletzung des Kollegialitätsprinzips die Rede. Wörtlich heisst es: Alec von Graffenried habe «an vorderster Front dazu beigetragen, dass die neue Stadtregierung einen veritablen Fehlstart hinlegt». Der BärnerBär gibt dem 62-Jährigen nun die Möglichkeit zur Stellungnahme.
Alec von Graffenried, wie haben Sie sich ins neue Amt als städtischer Sicherheitsdirektor eingelebt?
Gut. Meine Bilder hängen zwar noch nicht an der Wand, sonst ist alles prima (lacht). Das Büro ist frisch – und ich konnte den Tisch von Werner Bircher aus dem Erlacherhof mitnehmen. Was ich an dieser Stelle betonen möchte: Die Mitarbeitenden hier sind unglaublich motiviert, parat und hilfsbereit – es war eine wahre Freude, hier anzufangen. Wir verfügen über eine hervorragende Stadtverwaltung; alles klappt wie am Schnürchen.
Was brennt Ihnen in der neuen Direktion am meisten unter den Nägeln?
Einiges. Gewisse Geschäfte kommen ohnehin, zum Beispiel die Klimagerechtigkeitsinitiative. Ausserdem rechnen wird damit, dass die sogenannte «Streichelzoo-Initiative» zur Abstimmung kommt; da werden wir diskutieren können, wie sich der Tierpark entwickeln soll. Beide Initiativen stellen in kommunikativer Hinsicht gleichzeitig eine Chance dar.
Soziale Medien haben sich zu asozialen Medien entwickelt.Alec von Graffenried
Insgesamt hat Ihnen Reto Nause eine gute Direktion überlassen?
Ja. Es gibt aber schon einige Dinge, die aufgearbeitet werden müssen; denken Sie an die Pannen bei Citysoftnet. Die Talsohle ist durchschritten, es geht glücklicherweise aufwärts.
Vor etwas mehr als einem Jahr stand der Tierpark unter Beschuss, es war von einer miserablen Stimmung unter den Mitarbeitenden die Rede. Die Vorwürfe richteten sich vor allem gegen Direktorin Friederike von Houwald.
Ich nahm erst letzte Woche an meiner ersten Tierpark-Kommissionssitzung teil.
Haben sich die Wogen geglättet?
Ja. Eine Chance sind viele anstehende Neuerungen, die Seehundeanlage wird momentan gerade erneuert. Daneben existieren weitere Umbaupläne; so soll etwa der Zugang zu den Anlagen verbessert werden. Dazu benötigt es allerdings einen neuen Zonenplan. Dabei hat die Bevölkerung das letzte Wort.
Nach Ihrer Abwahl als Stapi sagten Sie zunächst, die Sicherheits-, Umwelt und Energiedirektion SUE sei Ihre Wunschdirektion. Im Gespräch mit der «Hauptstadt» hingegen liessen Sie eigentlich das genaue Gegenteil durchblicken.
Es handelt sich hier um zwei verschiedene Paar Schuhe, die man trennen muss. Bei der Frage der Direktionsverteilung gab es tatsächlich einen gewissen Konflikt. Das ändert nichts daran, dass ich jetzt gerne hier bin. Gleichzeitig ist meine Agenda längst nicht mehr so dicht befüllt wie vorher, die Anzahl Mails und Anfragen hat deutlich abgenommen. Stadtpräsident zu sein ist cool, absolut, aber ich freue mich auch, jetzt einen Gang zurückschalten zu können. Ich war nun in diesem Jahr bereits vier Mal im Theater und habe zwei Konzerte besucht (lacht).
Diese Zeit hätten Sie sich als Stadtpräsident nicht nehmen können?
Jedenfalls nicht in diesem Ausmass. Und das fägt.
Sie haben Ihre Degradierung also verdaut?
Es waren eher die Stimmen von aussen, die mir fast aufoktroyierten, ich hätte nun todtraurig zu sein. Das entspricht mir jedoch nicht. Ich blicke jeweils schnell wieder nach vorne. Ich kann das Ganze sehr gut einordnen und relativieren. Mir persönlich schien und scheint es nicht angemessen, deswegen Zetermordio zu schreien. Stattdessen sollten wir froh sein, in einer Stadt wie dieser leben zu dürfen. Und dann möchte ich in diesem Zusammenhang gerne noch etwas erwähnen.
Bitte.
Reto Nause hat hier hervorragende Arbeit geleistet. Trotzdem ist es wichtig, dass Links-Grün für die Kernthemen Umwelt und Energie ebenfalls einmal Verantwortung übernimmt. In der Sicherheitsfrage besteht ein gewisser Kommunikations-Gap. Die Polizei steht unter Dauerkritik; die wertvolle Arbeit, die sie täglich leistet, wird dagegen kaum gewürdigt. Daran will ich arbeiten.
Zurück zum Interview. Sie sagten dort unter anderem: «Jemand muss die Sicherheit machen, der Alec soll das tun.» Das klingt verbittert und ist eine Breitseite gegen Ihre neuen Gspändli. Hatten diese Zitate im Gemeinderat ein Nachspiel?
Nein. Ich liess bei der «Hauptstadt» noch einmal Dampf ab; ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen konnten das einordnen. Aktiv angesprochen darauf wurde ich nie. Mittlerweile hatte ich bereits zwei Gemeinderatssitzungen und ein paar weitere Sitzungen mit Marieke Kruit hinter mir. Wir sind in den Arbeitsmodus übergegangen.
Sie verstehen aber, dass der Eindruck entsteht: Hier spricht ein zutiefst frustrierter Ex-Stapi.
Nun ja … (überlegt) das ist jedenfalls, was Tamedia daraus gebastelt hat.
Sie sprechen den Kommentar in «Bund» und «Berner Zeitung» an? Es hiess, der Berner Gemeinderat habe einen veritablen Fehlstart hinter sich.
Ich meine: Meine Aussagen waren grundehrlich, und einen gewissen Frust darf man, so denke ich, zeigen. Nun ist das Thema erledigt, der Dampfkochtopf steht nicht mehr unter Hochdruck.
Fühlen Sie sich von Medien generell ungerecht behandelt?
Die Medienlandschaft, das ist keine Neuigkeit, befindet sich in einem starken Umbruch. Es stehen riesige Herausforderungen an. Über die Monopolsituation von Tamedia in Bern sollte nachgedacht werden. Ich finde die Entwicklung schlecht für die Stadt. Soziale Medien haben sich zudem zu asozialen Medien entwickelt, nicht erst seit Elon Musk. Darüber wird viel zu selten diskutiert; den Folgen dieser Entwicklung sind wir schutzlos ausgeliefert.
Mit der Polizei sind Sie auch für die Reitschule zuständig.
Das Dossier betrifft den gesamten Gemeinderat. Die Reitschule ist eine städtische Immobilie und darum in dem Bereich bei der Finanzdirektion angegliedert. Die Präsidialdirektion verfügt über einen Kulturleistungsvertrag mit der grossen Halle; die Tiefbaudirektion ist für die Schützenmatte zuständig. Die Bildungsdirektion schaut zum Sozialraum, und wir sind eben für die Sicherheit zuständig. Damit es kein Durcheinander gibt, liegt die Koordination bei der Stadtpräsidentin.
Die Reitschule wurde nun kurzfristig zwei Wochen lang geschlossen. Die Gewaltvorfälle in diesem Perimeter nehmen zu.
Diese haben aber nichts mit der Reitschule selbst zu tun. Verantwortlich sind mehrheitlich Asylbewerber aus Nordafrika, die zu einem grossen Teil in Bern stranden, eigentlich aus Zentren in der Westschweiz stammen, wo sie aber ungenügend betreut werden. Es handelt sich allerdings um kein schweizweites Phänomen: Ich habe mit den Zuständigen anderer Städte gesprochen, dort ist es aktuell ruhig.
Nennen wir das Kind beim Namen: Es geht um Drogen, Gewalt und unter anderem um sexuelle Belästigungen.
Diese Personen suchen hier ein Auskommen und flüchten sich in die Kriminalität – für die Stadt eine sehr unangenehme Situation. Ich finde es richtig, dass die Reitschule sich diese Pause genommen hat, dadurch kann sich der Platz erholen. Die Situation wird entschärft.
Sie sind also bereit, wenn es auf der Schütz ernst gilt?
Der Dialog mit den Beteiligten funktioniert, sämtliche Betriebe in der Nähe wollen zurück zu einem Normalbetrieb. Das unterstützen wir selbstverständlich.
Es gibt Gerüchte, wonach Sie vor Ablauf Ihrer offiziellen Amtszeit abtreten möchten.
Nein. Michael Aebersold ist nun zurückgetreten und freut sich über seine Pension. Ich könnte das nicht. Ende 2028 bin ich 66, das ist doch kein Problem.
Sie dürften danach sogar eine vierte Amtszeit anhängen.
Ja, aber was in dreieinhalb Jahren ist, weiss ich noch nicht. Solange ich mich hingegen gesund und fit fühle, erfülle ich diese Amtszeit definitiv.
Die Infektionskrankheit Morbus Whipple, über die Sie öffentlich sprachen, ist überstanden?
Ich hätte das ja für mich behalten können. Mir ging es darum, darüber zu reden, was im Leben wirklich zählt. Die Krankheit war, ich muss es so sagen, eine Plage. Ich hatte ständig Schmerzen, bei der Arbeit, am Morgen beim Aufstehen. Nun kann ich wieder ohne Einschränkungen joggen. Ich fühle mich wie neugeboren. Das soll anderen Hoffnung machen. Die Medizin hat schon ein paar coole Tricks auf Lager.
Fotos: Keystone, Dan Zaugg