Vegi-Paragraf spaltet die Gemüter

«Jetzt werden wir Toleranten diskriminiert!»

Soll Fleisch auf den Teller oder nicht? Die Meinungen von Katharina Gallizzi und Thomas Glauser gehen da ziemlich auseinander. Fotos: Daniel Zaugg

Bei Anlässen, die die Stadt Bern organisiert, gibt es nur noch vegetarisches Essen. Ideologische Zwängerei oder ein echter Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit? Der BärnerBär hat Katharina Gallizzi (GB) und Thomas Glauser (SVP) zu Tisch gebeten. 

Katharina Gallizzi, essen Sie eigentlich Fleisch?
Nein, ich bin seit rund 20 Jahren Vegetarierin.

Wie oft konsumieren Sie Fleisch, Thomas Glauser?
Zwei- bis dreimal pro Woche, dazwischen geht es problemlos auch ohne. 

Was bedeutet für Sie gesunde Ernährung generell?
Glauser: Gesund heisst ausgewogen – und da gehört für mich Fleisch dazu. Es enthält Proteine, Kalzium und wichtige Vitamine. Der Mensch hat seit jeher Fleisch gegessen.

Frau Gallizzi, Sie waren einst ebenfalls mal Fleischliebhaberin. Was hat Sie dazu bewogen, davon abzukommen?
Gallizzi: Vor allem ökologische Überlegungen. In der Schweiz sind rund 28 Prozent des CO2-Ausstosses auf die Ernährung zurückzuführen, davon stammen wiederum 40 Prozent von tierischen Produkten. Wird der Hebel dort angesetzt, lässt sich relativ einfach eine Menge fürs Klima tun. Hinzu kommt der Flächenverbrauch: Laut Studien benötigt es für 100 Gramm Protein aus Rindfleisch 160 Quadratmeter Fläche. Bei Tofu sind es hingegen nur zwei Quadratmeter. Ich habe früher übrigens mindestens so gerne nicht Fleisch gegessen wie Fleisch; daher bedeutete die Umstellung keinen riesigen Verzicht.

28 Prozent sind eine stattliche Zahl. Für Sie kein Grund, Fleisch von der Speisekarte zu streichen, Herr Glauser?
Glauser: Ich bin als Bauernsohn aufgewachsen und eidgenössisch diplomierter Landwirt. Die schweizerische Landwirtschaft bringt den Gemüseanbau und die Tierhaltung in gegenseitigen Einklang, sprich: Um Tomaten oder Kartoffeln zu produzieren, braucht es Nährstoffe. Diese beziehen wir aus der Tierhaltung; das erzeugt eine Art Kreislauf, der nicht unterbrochen werden sollte. Wir setzen also auf natürliche Gülle oder Mist statt teuren chemischen Kunstdünger, um damit später biologisches oder IP-Suisse-gerechtes Gemüse zu ernten.
Gallizzi: Was Thomas Glauser beschreibt, ist durchaus zutreffend. Bloss: Schweizerinnen und Schweizer konsumieren pro Jahr und Kopf zirka 50 Kilo Fleisch – das sind unglaubliche Zahlen, vor allem wenn man bedenkt, dass in Brasilien für Soja, das als Futtermittel dient, gigantische Flächen an Regenwald gerodet werden müssen. Lebten in der Schweiz nur so viele Nutztiere, wie es verträgt, um den angesprochenen Kreislauf aufrechtzuerhalten, wäre das ja noch in Ordnung. Aber davon sind wir weit entfernt.

Sie sprechen die Umwelt an, Frau Gallizzi: Ein Stadtberner Alleingang bringt dem Klima allerdings nichts.
Gallizzi: Das finde ich ein schwieriges Argument. Irgendjemand muss schliesslich mal damit anfangen. In unserem Vorstoss ging es einzig darum, aufzuzeigen, dass vegetarische Lebensmittel ebenso gut schmecken und Spass machen. Die Stadt Bern soll mit gutem Beispiel vorangehen – wir verbieten niemandem, was er oder sie zuhause isst. 
Glauser: Mir geht es ums Prinzip. Wir als Fleischesser haben die Vegetarier jahrelang akzeptiert und ihnen gar eine Plattform geboten. Keinem von uns wäre es in den Sinn gekommen, vegetarische Ernährung zu verbieten. Und jetzt werden wir Toleranten diskriminiert, indem man uns zwingt, an sämtlichen städtischen Anlässen fleischlos zu essen. Das ist ein markanter Eingriff in unsere Selbstbestimmung. Und wer weiss, ob das nur der Anfang ist? Eventuell wird bald das Tragen von Lederschuhen verboten? Es könnte ausarten und eine rot-grüne Diktatur befiehlt uns irgendwann einmal, wie wir zu leben haben.


Ich will schlicht nicht,
dass eine politische Mehrheit uns
die vegetarische Zwangsjacke überstülpt. 

Thomas Glauser

Gallizzi: Das ist schon starkes Geschütz, das nun aufgefahren wird! Thomas Glauser spricht hier von Orten, an denen er gratis Essen erhält. Wenn du, Thomas, bei einem Freund zuhause zum Znacht eingeladen bist, und er kocht Kartoffeln, dann sagst du wohl kaum, du würdest als Pastaliebhaber diskriminiert? Der Diktaturvorwurf ist Unsinn. Es wird etwas angeboten – ­
man nimmt es oder lässt es bleiben. 

Sie könnten Ihr Salami-Sandwich einfach auf eigene Faust zu den Sitzungen mitnehmen. 
Glauser: Ich will schlicht nicht, dass eine politische Mehrheit einem die vegetarische Zwangsjacke überstülpt. Das hat quasi religiöse Züge. Ich respektiere alle Vegetarier, doch ich möchte mich bei privaten Angelegenheiten nicht fremdbestimmen lassen, zum Beispiel wie ich mich anziehe oder ob ich Alkohol trinke. Sicher, als Parlamentarier besteht ein Anrecht darauf, nach einer mehrstündigen Kommissionssitzung etwas zu essen zu bekommen. Und nun wird nur noch fleischlos aufgetischt. Besser wäre, den Stadtratsmitgliedern 15 Franken in die Hand zu drücken, damit jeder selber entscheiden kann, was er konsumieren will. Es gibt jetzt oft Reste, weil nicht alle dieses Essen mögen und einige Körner und Rohkost ohnehin nicht vertragen. Mitarbeiter verzichten wegen ausschliesslich vegetarischer Ernährung auf Jahresschlussessen. Dies ist schade.

Wenn Sie nach wie vor die ganze Palette an Speisen anbieten würden, müsste niemand verzichten. Das wäre eine echte Auswahl. 
Gallizzi: Man darf nicht vergessen, dass wir ein Klimareglement verabschiedet haben, das anstrebt, bis 2035 nicht mehr CO2 auszustossen als wir selbst wieder binden können. Ausserdem tragen wir eine globale Verantwortung. Es ist daher richtig, wenn wir als Stadt, die ein solches Reglement beschlossen hat, zeigen, wie wir das umsetzen können und persönlich mit gutem Beispiel vorangehen. Salami­freie Stadtratssitzungen sind doch kein Weltuntergang! 

Reden wir über das Tierwohl, Herr Glauser: Wie sehr liegt Ihnen dieses am Herzen?
Glauser: Die Schweiz hat das strengste Tierschutzgesetz der Welt, auf den Betrieben gelten daher strikte Auflagen. Ein Tier ist ein Lebewesen, sein Wohl hat für mich oberste Priorität. Fast alle Tierhalter verfügen über einen Freilaufstall und die Tiere können erst noch auf die Weide raus. 

Manche Stimmen verlangen, dass nur jene Menschen Tiere essen dürften, die sie selbst töten.
Glauser: Ich besass früher Kaninchen, denn in der Landwirtschaft sicherte die Tierhaltung die Grundexistenz. Zu dieser Zeit habe ich Kaninchen eigens verkauft und geschlachtet – das war damals noch erlaubt. Sowieso können sich nicht alle vegane Ernährung leisten, sie kann zudem zu Mangelerscheinungen führen.

Vegane Produkte sind auch nicht zwingend nachhaltig. Tofu aus Zentralamerika ist weder saisonal noch regional.
Gallizzi: Erstens gibt es auch Tofu aus der Schweiz. Zweitens benötige ich trotz allem viel weniger Ressourcen, wenn ich Tofu, obschon es aus Brasilien stammen mag, selber esse anstatt es zuerst den Tieren zu verfüttern. Aber selbstverständlich spielt es eine Rolle, wie die Lebensmittel hergestellt werden, deshalb erwähnen wir in unserem Vorstoss explizit Regionalität und soziale Standards. Und noch etwas …

Bitte.
Gallizzi: Thomas Glauser sagt, für manche sei veganes Essen zu teuer. Fleisch ist nach wie vor deutlich kostspieliger als pflanzliche Produkte. Verzichte ich zudem auf Fleisch, kann ich es mir eher leisten, Bio-Gemüse zu kaufen, was wiederum einen ökologischen Mehrwert hat.

Der ökologische Mehrwert ist Ihnen als SVP-Politiker wohl ziemlich egal.
Glauser: Moment! Die SVP ist ursprünglich eine Landwirtschaftspartei – wir verwalten die Natur der Schweiz. In unseren Leitbildern steht klar: Im Sinne einer Selbstversorgung wollen wir gesunde ökologische Lebensmittel produzieren, also keine Orangen aus Spanien oder Avocados aus Costa Rica. Bloss liegt der Selbstversorgungsgrad in der Schweiz bei gerade mal 55 Prozent. Nicht so ökologisch, oder? 

Zum Schluss: Wenn Sie Thomas Glauser zu sich nach Hause zum Essen einladen würden, was würden Sie servieren?
Gallizzi: Eines meiner Lieblingsgerichte ist Lasagne mit Gemüsesauce.
Glauser: Da wäre ich sofort dabei (lacht).

Und Sie, Herr Glauser?
Glauser: Ein feines Härdöpfelgratin mit Salat aus dem eigenen Garten.
Gallizzi: Würde ich sehr gerne probieren (lacht).

politik dz 1
Katharina Gallizzi: «Wird der Hebel beim Fleisch angesetzt, lässt sich relativ einfach eine Menge fürs Klima tun.» 
politik dz 5
Thomas Glauser: «Keinem Fleischesser wäre es in den Sinn gekommen, vegetarische Ernährung zu verbieten.»

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