Marieke Kruit findet: «Bern kann mehr.» Was die SP-Gemeinderätin damit genau meint, welches Projekt ihr misslungen ist und wie sie das lokale Gewerbe in Zukunft besser miteinbeziehen will.
Marieke Kruit, Sie sind nun seit fast vier Jahren Berner Gemeinderätin. Was ziehen Sie für eine Bilanz?
Eine durchaus positive. Meine Direktion und ich konnten vieles anreissen und gleichzeitig Vorhaben zu Ende führen.
Was heisst das konkret?
In der zu Ende gehenden Legislatur hat die Bevölkerung über zahlreiche Vorlagen abgestimmt. Was meine Direktion anbetrifft, waren es unter anderen die Abstimmungen über hindernisfreie Haltestellen, sanierungsbedürftige Brücken, ein neues Quartier in Ausserholligen oder Hochwasserschutz, die allesamt angenommen wurden. Hinzu kommen diverse Klimaanpassungsmassnahmen. Das Volk hat für Zukunftsinvestitionen in der Höhe von rund 800 Millionen Franken grünes Licht erteilt. Massnahmen, die auf den ersten Blick wenig spektakulär tönen, allerdings unheimlich wichtig sind. Damit eine WC-Spülung funktioniert, braucht es eine intakte Kanalisation. Die Akzeptanz auch für solche Projekte ist in der Bevölkerung erfreulicherweise sehr hoch.
Die Einführung des Farbsacktrennsystems ist hingegen gescheitert.
Wir wollten zu viel auf einmal, hier müssen wir über die Bücher.
Was für Alec von Graffenried Ostermundigen ist, sind bei Ihnen die Abfallsäcke?
(lacht) So würde ich das nicht vergleichen. Die Containerpflicht bei der Entsorgung liegt mir enorm am Herzen und darum müssen wir da eine angepasste Lösung finden. Unsere Beladerinnen und Belader «lüpfen» schliesslich jeden Tag unzählige Säcke und Papierbündel. Es wäre für sie eine enorme Verbesserung, wenn zumindest eine partielle Containerpflicht bestünde.
Im Februar benotete sich Ihr Amtskollege, Finanzdirektor Michael Aebersold, mit einer 5,5. Welche Note geben Sie sich?
Davon lasse ich die Finger, das dürfen gerne andere machen (lacht).
Ihr Wahlkampfmotto lautet: «Bern kann mehr». Was kann die Stadt denn noch mehr?
Wir dürften insgesamt selbstbewusster auftreten. Wir sind die Hauptstadt, eine Metropole mit sehr hoher Lebensqualität, starker Wirtschaft und einem reichhaltigen Kulturangebot. Bern ist grün, sozial und lebendig. Das dürfen wir ruhig stärker gegen aussen zeigen. Bei den Wohnbau- und Arealentwicklungsprojekten müssen wir in der nächsten Legislatur vorwärtsmachen. Es wurden zwar so viele Wohnungen gebaut wie seit den 70er-Jahren nicht mehr. Aber trotzdem ist das zu wenig, weil immer mehr Menschen in Bern wohnen möchten. Wir sind attraktiv.
Ist der Gemeinderat bei der Bewerbung für den Eurovision Song Contest Ihrer Meinung nach selbstbewusst genug aufgetreten?
Wir stellten in kurzer Zeit ein sehr gutes Dossier beisammen. Darauf dürfen wir stolz sein. Was übrigens auch zeigt, wie viele gute, leistungsbereite Leute in unserer Verwaltung arbeiten.
Klingt alles schön und gut. Wirtschaft kann Bern dennoch nicht. «Der Berner Wirtschaftsmotor brummt – doch das ist kaum das Verdienst der Stadt», so titelte vergangene Woche der «Bund».
Das sehe ich anders. Wir investieren in gute Rahmenbedingungen, dadurch haben wir einen Anteil daran, dass der Motor brummt. Ich habe etwa mit der Wirtschaft ein Pilotprojekt vereinbart, damit der Wirtschaftsverkehr besser durchkommt oder für die Untere Altstadt einen Kompromiss ausgehandelt. Aber ja, wir sollten wirtschaftlichen Themen noch mehr Bedeutung beimessen und den Dialog mit der Wirtschaft verstärken. Die Wirtschaftsstrategie ist ein längst fälliges Anliegen und muss unbedingt mit den entsprechenden Partnern auf Augenhöhe entwickelt werden.
Sie schlagen eine Art «Nacht der Wirtschaft», analog zur Museumsnacht, vor. Béatrice Wertli, Florence Pärli und Janosch Weyermann haben diese Idee aufgenommen und im Stadtrat einen Vorstoss eingereicht.
In der Stadt Bern sind zahlreiche Geschäfte und Gewerbebetriebe tätig, vergessen wir auch den Medizinalstandort oder die Service-public-Unternehmen nicht. Ich fände es toll, wenn wir allen eine Plattform bieten. Ich bin davon überzeugt, dass so ein Anlass auf breites Interesse stossen würde, gerade wenn die Besucherinnen und Besucher selber mitanpacken dürfen – und etwa in der Backstube Gipfeli und Brot backen.
Dann müssten Sie als Vorbild aber vorne hinstehen.
Gerne! ich stamme aus einem Familienbetrieb und kenne die Herausforderungen des Gewerbes.
Sie möchten den Waisenhaus- und den Bärenplatz aufwerten. Zwei veritable Betonwüsten, denen Rot-Grün in der Vergangenheit kaum Beachtung geschenkt hat.
Es ging wirklich extrem lange. Zeitweise standen andere Projekte im Vordergrund, dann waren fehlende Finanzen das Problem. Mittlerweile ist der Bären- Waisenhausplatz ein Flickwerk. Es ist unklar, wo Fussgängerinnen und Fussgänger, Velofahrende und Wirtschaftsverkehr durch sollen. Wird der Platz gepflastert, entsteht eine ganz andere Atmosphäre, was auch den Restaurants und den Märitständen zugutekommen wird.
Wie sollen denn die Plätze konkret aussehen?
Auf dem Bären- ist deutlich mehr möglich als auf dem Waisenhausplatz, denn darunter befindet sich das Metroparking. Die Aufenthaltsqualität für die Leute wird massiv besser: Auf dem Bärenplatz und dem oberen Waisenhausplatz sind 33 zusätzliche Bäume geplant plus Elemente zum Speichern von Regenwasser, die zu einer Schwammstadt gehören. Das reduziert im Sommer die Hitze. Auf dem unteren und mittleren Teil des Waisenhausplatzes ist eine Beschattung durch Sonnenschirme vorgesehen. Dass dies in einem Unesco-geschützten Perimeter möglich ist, freut mich extrem.
Wann sind die neuen Plätze, sofern die Bevölkerung Ja sagt, fertig?
Wenn alles rund läuft, im Jahr 2030.
Im Idealfall dürfen Sie, aus Ihrer Sicht, diese Plätze als Stapi einweihen. Der amtierende Stadtpräsident Alec von Graffenried sagte uns vor zwei Wochen im Interview, er sehe keinen Grund, wieso Sie gegen ihn antreten.
Meine Partei und ich sind der Meinung, dass es der Stadt guttut, der Stimmbevölkerung eine Auswahl zu bieten. Ich wurde in den letzten Wochen häufig und bestärkend auf meine Kandidatur angesprochen – der Entscheid, anzutreten, hat in meinen Augen also eine echte Dynamik in diesen Wahlkampf gebracht. Und das ist gut so.
Um Ihnen dieselbe Frage zu stellen wie Herrn von Graffenried: Wie verstehen Sie sich auf persönlicher Ebene mit ihm?
Mir ist eine professionelle Zusammenarbeit im Gemeinderat wichtig; wir sind dazu gewählt worden, diese Stadt vorwärtszubringen.
Das war keine Antwort auf meine Frage.
In dieser stressvollen Zeit ist es wichtig, respektvollen Umgang miteinander zu pflegen. Das tun wir.
Wie schätzen Sie Ihre Wahlchancen ein?
Prognosen abzugeben, überlasse ich gerne den Politologinnen und Politologen.
Ende August wurde Ihr geliebtes E-Bike gestohlen. Ist es wieder aufgetaucht?
Ja, in der Nähe des Inselspitals.
In welchem Zustand?
Es wies einige Spuren auf, weil die Diebe versucht hatten, den Akku zu entwenden, was glücklicherweise misslang. Es hat zwar einige Kratzer, aber es fährt gleich gut wie vorher (lacht).