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Politanalyst Mark Balsiger analysiert den SP-Angriff auf den Stapi-Sitz

«Politik ist kein Streichelzoo – auch in Bern nicht»

Mark Balsiger: «Es ist möglich, dass die Kampfansage der SP zu einer Kettenreaktion führt.» Fotos: zvg

Stapi Alec von Graffenried fühlt sich von den Plänen der SP überrumpelt. Das erstaunt Politanalyst Mark Balsiger – denn für ihn ist klar: «Es geht immer um Macht und Prestige.»

Sind Sie überrascht vom «Angriff» der SP?
Nein, dieser Angriff ist logisch. Die Berner SP schnitt bei den nationalen Wahlen im letzten Jahr sehr gut ab und brachte zusammen mit den Gewerkschaften die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente durch. Das beflügelt die Parteimitglieder. Als mit Abstand stärkste Partei will die SP das Stadtpräsidium nicht irgendwann zurückerobern, sondern jetzt.

Dennoch scheint Alec von Graffenried von der Attacke überrascht und durch die neue Ausgangslage ziemlich angesäuert zu sein. Verstehen Sie seine Reaktion?
Politik ist kein Streichelzoo – selbst im beschaulichen Bern nicht. Es geht immer um Macht, Sitze und Prestige. Für die SP war es eine böse Niederlage, als im Januar 2017 ihre Kandidatin für das Stadtpräsidium, Ursula Wyss, auf der Strecke blieb. Mit Alec von Graffenried haben die Sozialdemokratinnen eine Rechnung offen. Als amtierender Stapi hätte ich das sportlich
genommen.

Ganz konkret: Muss Alec von Graffenried um den Sitz im Erlacherhof zittern?
Beim letzten BärnerBär-Gespräch im Sommer 2023 sagte ich, von Graffenried müsse sich warm anziehen. Das gilt jetzt erst recht. Marieke Kruit ist eine starke Konkurrentin. Sie hat in den letzten drei Jahren etwas bewegt, ihr Gestaltungswille ist spür- und sichtbar – und sie kommt auch ausserhalb der SP an. Von Graffenried muss sich nach acht Jahren als Stapi quasi einem Referendum stellen. Wir wissen, was er kann und was nicht. Ich halte ihn für einen guten Wahlkämpfer, aber es ertönen von überall immer wieder Stimmen, die mit ihm unzufrieden sind. Auch aus der Verwaltung. Ihm fehlt die klare Linie.

Ist der SP-Angriff schlicht ein cleverer Schachzug von Rot-Grün-Mitte RGM? SP und GFL «bekämpfen» sich zwar tatsächlich, ziehen aber gleichzeitig alle Aufmerksamkeit auf sich und mobilisieren dadurch etliche Wählerinnen und Wähler, weil diese nun alles für ihren Kandidaten, ihre Kandidatin geben?
Das RGM-Bündnis ist mächtig und hat seit 1993 einiges erreicht, was von der Mehrheit der Bevölkerung geschätzt und bei Wahlen jeweils honoriert wird. Der Glanz der besten Jahre ist allerdings weg, was auch an der Zusammensetzung des Gemeinderats liegt. Alex Tschäppät – das war «üse Stapi»! – schlug zwar immer mal wieder über die Stränge, aber wenn es darauf ankam, konnte er das politische Spiel lesen wie kaum ein anderer; und dann lieferte er. Doch zurück zum Schachzug, wie Sie ihn vermuten: Es knirscht ja immer mal wieder bei RGM, 2016 wurde dieses Bündnis sogar einmal vorübergehend gesprengt, als Ursula Wyss (SP), Franziska Teuscher (GB) und Alec von Graffenried (GFL) nach dem Stadtpräsidium strebten. Obwohl der Wahlkampf damals tiefe Wunden schlug, holte RGM das bis dahin beste Resultat und einen vierten Sitz. Der Knatsch mobilisierte also das rot-grüne Lager zusätzlich.

Was unsere These bestätigt. Muss Bürgerlich-Grün-Mitte nun auch jemanden ins Rennen schicken oder kann man sich zurücklehnen und sagen: Lasst uns den anderen ruhig beim Zerfleischen zuschauen?
Aufgrund der strukturellen Mehrheit, die Rot-Grün mit 60 bis 65 Prozentpunkten erreicht, ist für mich klar, dass nur jemand aus dem RGM-Block ins Stadtpräsidium gewählt wird, konkret: Kruit oder von Graffenried. Es ist aber möglich, dass die Kampfansage der SP nun zu einer Kettenreaktion führt. Schon 2016 kandidierten sieben arrivierte Figuren für das Stadtpräsidium. Die zentrale Frage der nächsten Wochen ist: Bringt ein solches Jekami anderen möglichen Kandidatinnen etwas? Ich zweifle daran.

Zum Schluss: Holt sich BGM einen zweiten Sitz?
Das unsägliche Stadtberner Wahlsystem begünstigt grosse Bündnisse. Davon profitierte seit 1992 RGM bislang immer. In diesem Jahr haben es alle anderen politischen Kräfte geschafft, sich zu einem Zweckbündnis zusammenzuschliessen. Wenn die Parteien in etwa gleich abschneiden wie vor vier Jahren, holt BGM tatsächlich einen zweiten Sitz. Dieses Szenario ist realistisch, aus diesem Grund trommelt RGM halt auch laut dagegen. Es will mit allen Mitteln verhindern, dass sein vierter Sitz verloren geht.

PERSÖNLICH

Mark Balsiger führt seit 20 Jahren eine Firma, die Schwerpunkte bei Krisenkommunikation, Medientraining und Politikanalyse setzt. Er schrieb bislang drei Bücher über politische Kommunikation. Er ist parteilos und im Berner Wahljahr an keiner Kampagne beteiligt.

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