Seit Anfang Februar steht Daria Winkelmann-Rösti an der Spitze der SVP-Frauen des Kantons Bern. Ein Gespräch über Feminismus, Führungsmodelle und berühmte Familienmitglieder.
Daria Winkelmann, Sie heissen mit Doppelnamen Rösti. Sind Sie verwandt mit dem SVP-Bundesrat?
Ja, tatsächlich, ich bin seine Nichte. Mein Vater ist sein Bruder.
Dann sind Sie Bundesrats-Insiderin und wissen über geheime Geschäfte Bescheid?
Jesses, nein (schmunzelt). Meine Familie – mein Vater war bereits SVP-Grossrat – hat das immer getrennt. Die «geheimen» Themen wurden nie am Familientisch diskutiert.
Somit ist Ihre SVP-Mitgliedschaft nicht ganz zufällig.
Wir hatten zuhause stets die Freiheit zu wählen und wurden dazu erzogen, selbstständig zu denken. Aber klar: Wenn man wie ich in einer SVP-Umgebung aufwächst, packts einen schon irgendwann mal.
Ihr Ehemann ist ebenfalls SVP-Sympathisant?
Nein, er ist mein neutraler Gegenpol (lacht).
Sie behaupten ernsthaft, er habe komplett unterschiedliche Ansichten?
Die Grundhaltung mag ähnlich sein, gleichzeitig ist er einer meiner grössten Kritiker.
Im nächsten Jahr werden im Kanton Bern Regierungsratswahlen abgehalten – einer der beiden SVP-Amtsträger, Christoph Neuhaus, tritt ab. Soll eine Frau nachrücken?
Es wäre wünschenswert, eine Kandidatin portieren zu können. Ich möchte den Fokus diesbezüglich jedoch nicht rein auf die Genderthematik legen, das ist mir wichtig zu betonen. Manchmal brauchen Dinge Zeit, um sich zu entwickeln. Wenn eine SVP-Frau antreten möchte und sich bereitfühlt, ist das toll. Vielleicht ist es aber halt noch ein wenig zu früh.
Wäre Grossrätin Verena Aebischer eine valable Kandidatin?
Wir müssen mit allen Frauen, die bei den letzten Wahlen ein gutes Resultat erzielten, sprechen. Mit Verena Aebischer wurde in dieser Hinsicht durch uns noch kein Kontakt hergestellt, deshalb möchte ich nicht vorgreifen.
Frauen haben in
der Partei nach wie vor
zuwenig Gewicht.Daria Winkelmann
Wie steht es um Ihre Frauenpartei im Kanton Bern?
Mehr tun kann man immer, logisch. Hervorheben möchte ich allerdings schon, dass mit den zwei Vizepräsidentinnen und der Fraktionspräsidentin bereits fähige Frauen Führungspositionen besetzen, hinzu kommen zwei Berner SVP-Nationalrätinnen. Sie sehen, Frauen haben in der SVP durchaus eine Stimme.
Female Empowerment, die Stärkung der Frauen. Eine Sache, die weiter gefördert werden muss?
Definitiv. Ich habe dieses Empowerment in meinem Arbeitsalltag stets vorgelebt: Dort, wo ich eine Führungsposition innehatte, stand ich hin und übernahm für ein Team und die Zielerreichung Verantwortung.
Bei so viel weiblichem Engagement: Wieso ist gerade bei der SVP der Frauenanteil, verglichen mit allen anderen grossen Parteien, mit Abstand am tiefsten?
Das lässt sich historisch erklären: In der Vergangenheit wurden die Männer Parteimitglied und die Frau gehörte danach ebenfalls dazu. Das wollen wir ändern. Frauen wählen zwar SVP, bekennen sich hingegen selten öffentlich dazu, respektive haben in der Partei nach wie vor zu wenig Gewicht.
Trotzdem: Gerade als Frauenfördererpartei ist die SVP nun wirklich nicht bekannt.
Das kommt noch (lacht).
Ernsthaft: An dieser Aussage ist etwas dran.
Teilweise wird das zu Unrecht behauptet. Es ist gäbig, der SVP so etwas zu unterstellen. Nochmals: Wir können Frauen stärker dazu ermuntern, sich zur Partei zu bekennen. Wobei ich gerade in meinem persönlichen Umfeld einige Frauen um die 30 kenne, die sich intensiv engagieren. Wir müssen uns einfach dafür einsetzen, ihnen auch Gehör zu verschaffen. Übrigens gibt es im Kanton Bern mehrere SVP-Gemeindepräsidentinnen und -Gemeinderätinnen.
Sie werden an SVP-Anlässen als Frau also ernstgenommen und von der Mehrheit der Männer auch gehört?
Absolut. Ich hätte das Präsidium nie übernommen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, auf Augenhöhe mit meinen Parteikollegen arbeiten zu können. Als ich vor zehn Jahren an einem SVP-Parteianlass teilnahm, fiel ich vielleicht als junge Frau ein bisschen auf – heute ist das komplett anders; der Männer- und Frauenanteil halten sich praktisch die Waage. Diese Entwicklung in relativ kurzer Zeit freut mich sehr. Mit mehr Frauen zeigt sich schliesslich eine ganz andere Dynamik. Dass wir in der SVP ignoriert oder schlecht behandelt würden – nein, diesen Eindruck hatte ich nie.
Nun müssen Sie jene Frauen noch in die Parlamente und Exekutiven reinbringen.
Richtig, und das ist eine grosse Herausforderung.
Was halten Sie von Frauenquoten?
(Überlegt kurz) Ich bin in diesem Thema gespalten. Dank meinem Studium weiss ich, dass wir derzeit ohne Frauenquoten theoretisch kaum Fortschritte erzielen. Frauen in Führungspositionen sind längst keine Selbstverständlichkeit und Quoten sind eines von mehreren Mitteln, ein Bewusstsein für Gleichberechtigung zu schaffen. Wenn Quoten hingegen als reines Mittel zum Zweck dienen, bin ich wiederum dagegen. Manche Dinge können Männer besser, manche Frauen – wieso nutzen wir nicht die Stärken beider Geschlechter? Rein intuitiv bin ich gegen eine Quote, als Start- und Anschubhilfe kommen wir aber wohl kaum darum herum.
Ihre Aussagen könnten genauso gut von einer links-grünen Politikerin stammen.
Ich fühle mich in solchen Belangen gegenüber der linken politischen Seite gar nicht so fremd. Spannend finde ich die Herangehensweise: Die eher feministische Seite arbeitet mit Quoten und Regelungen – ich bin hingegen der Meinung, Frauen müssen nicht, koste es, was es wolle, in ein Amt gehievt werden, nur damit ein bestimmtes Bedürfnis erfüllt ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt in Bezug auf die Gleichstellung ist der Lohn. Der sogenannte Gender Pay Gap lag 2023 bei 1500 Franken zuungunsten der Frauen – pro Monat.
Ich bin klar für Lohngleichheit, das muss das Ziel von uns allen sein. Die Differenz von 1500 Franken ist extrem störend; ich werde mich mit Vehemenz dafür einsetzen, das endlich zu ändern. Persönlich musste ich diese Erfahrung glücklicherweise nie machen, meine bisherigen Chefs bezahlten stets nach Leistung. Sowieso sollte die Position das entscheidende Kriterium beim Lohn sein. Wahrscheinlich benötigt es für ein Umdenken einen Generationenwechsel in den oberen Etagen. Früher wurde dieser Frage eindeutig zu wenig Beachtung geschenkt. Die Entstehung des Gender Pay Gaps ist für mich zwar erklärbar, heute stehen wir allerdings gesellschaftlich an einem total anderen Punkt und haben modernere gesellschaftliche Ansichten.
Wie möchten Sie denn Frauen im Berufsleben konkret sichtbarer machen?
Unter anderem bin ich eine Verfechterin von Top-Sharing. Wir möchten die Unternehmen dazu bringen, dieses Modell zuzulassen, dass also Spitzenpositionen aufgeteilt werden. Diverse Firmen sind diesbezüglich noch zurückhaltend – mit Top-Sharing, davon bin ich überzeugt, wäre die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade für Frauen deutlich besser möglich.
Wie sind Sie selbst an diese Herausforderung herangegangen? Sie haben drei Kinder.
Mein Mann engagierte sich von Anfang an sehr stark für die Familie, sein Arbeitgeber ermöglichte ihm zum Glück diese Aufteilung. Nach der Geburt des ersten Kindes erlebte ich allerdings meinen ersten grossen Karriereeinschnitt: Ich hatte eine Führungsposition bei einer Bank inne und wäre gezwungen gewesen, mindestens 80 Prozent dort weiterzuarbeiten, um den Job weiter auszuführen. Bevor ich Mutter wurde, konnte ich nicht beurteilen, wie ich reagieren würde in Bezug auf Arbeit und Familie und entschied mich deshalb gegen diese Stelle. Ich kämpfte mich in der Folge sozusagen mühsam zurück, Schritt für Schritt. Ich war stets beruflich tätig, zunächst tiefprozentig, mittlerweile stehe ich bei 60 bis 70 Prozent. Zusammen mit einer Bekannten bewarb ich mich in der Vergangenheit übrigens schon zweimal für ein Top-Sharing, beide Male wurden wir regelrecht abgekanzelt, weil das Unternehmen nicht bereit dafür war. Obwohl die Firma ebenfalls davon hätte profitieren können, wenn die Last nicht nur auf zwei Schultern liegt. Stichwort: Burnout.
Wir Frauen gehen
gelassener
mit Kritik um.Daria Winkelmann
Wie kommen Ihre progressiven Positionen eigentlich bei Ihrer Partei an?
Sicher gibt es in der SVP Stimmen, die bloss wenig damit anzufangen wissen, wobei jüngere Generationen meist offener dafür sind. Zudem hängt es stark davon ab, inwiefern die öffentliche Hand bei der Gleichstellung involviert sein soll. In der Hinsicht bin ich dann wiederum voll auf Parteilinie und plädiere für eigenverantwortliche Lösungen.
Wird Ihrer Ansicht nach generell zu viel über Themen wie Gleichberechtigung diskutiert? Um es im SVP-Jargon zu formulieren: Sind wir momentan zu woke?
Oftmals schon, ja. Ich nenne als Beispiel nochmals die Regierungsratswahlen: Eine Frau ins Rennen zu schicken, wäre toll – aber es geht nicht allein ums Geschlecht. Da wird häufig eine riesen Geschichte daraus gemacht.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vernahmen, dass Bern Strassennamen gendern will?
Ich war sprachlos (lacht). Im Ernst: Bei mir breitete sich ein leichtes Entsetzen aus, weil ich mich frage, ob der Berner Stadtrat wirklich das Gefühl hat, dass man so vorwärtskomme. Gleichzeitig ist das für mich als SVP-lerin eine absolut unnötige Bemühung der Verwaltung.
Fühlen Sie sich als Seeländerin im rot-grünen Bern überhaupt wohl?
Solange das Ganze nicht dermassen groteske Züge annimmt wie in Biel mit den neuen Einbahnstrassen: durchaus, ja. Ich habe schliesslich auch hier studiert und bin öfters auch beruflich hier. Natürlich, manche Tendenzen bereiten mir Sorgen; so würde ich mit meinen Kindern nachts nie auf die Schützenmatte.
Was können Sie als Frau eigentlich besser als Männer?
Ich glaube, wir Frauen gehen besser mit persönlicher Kritik um. Wir sind gelassener, weil wir darin leider viel geübter sind als Männer.

Fotos: Daniel Zaugg