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4 Jahre nach Covid-19: Ex-«Mr. Corona» Daniel Koch im Interview

«Viren müssen zirkulieren»

Für Daniel Koch kam die Schweiz bei der Corona-Pandemie gut über die Runden. Foto: Daniel Zaugg

Wie gefährlich sind die neuen Corona-Varianten? Ist Ueli Maurer ein rechter Verschwörer? Daniel Koch über die Covid-Pandemie und was sie mit der aktuellen geopoli­tischen Weltlage zu tun hat.

Daniel Koch, wenn Sie heute auf die Corona-Epidemie zurückblicken: Wie surreal kommt Ihnen die Szenerie vor?
Sehr. Wobei ich diese Phase wohl anders wahrgenommen habe als die meisten: Die Bevölkerung blieb zuhause und langweilte sich möglicherweise, weil alles zu war – wir hingegen waren mehr als vollbeschäftigt.

Arbeiteten Sie damals rund um die Uhr?
Ich schaffte es schon, meine Arbeitszeiten so einzuteilen, dass ich genügend Schlaf erhielt. Bloss die Intensität war enorm hoch.

Denken Sie häufig an diese Zeit zurück?
Nur, wenn die Journalisten wieder um ein Interview anfragen (lacht). Im Ernst: Ich spreche an Podiumsdiskussionen darüber, sonst ist das Thema eher in den Hintergrund gerückt. Zum Glück.

Soll aus Ihrer Sicht eigentlich immer noch zuhause bleiben, wer sich jetzt mit Corona ansteckt?
(Bestimmt) Nein, sicher nicht! Man soll sich so verhalten wie bei anderen Erkältungskrankheiten, sprich: darauf achten, möglichst keine Risikogruppen anzustecken. Wer Krankheitssymptome zeigt, arbeitet besser von daheim aus.

Ist es der positive Nachhall der Pandemie, dass die Sensibilität für ansteckende Krankheiten geschärft wurde?
Die Leute passen womöglich mehr auf, ja. Andererseits möchte ich festhalten: Viren müssen zirkulieren, gerade damit Kinder eine Immunität vor ihnen aufbauen können.

Insgesamt hat sich allerdings nie so viel verändert, wie manche während des Lockdowns dramatisch prognostizierten. Händeschütteln zum Beispiel ist wieder gang und gäbe.
Man gibt sich vielleicht zur Begrüssung etwas seltener drei Küsschen, so ist jedenfalls meine Beobachtung. Grundsätzlich stimme ich Ihnen aber zu. Es braucht einiges, damit sich soziales Verhalten grundlegend verändert. Jene, die sich mit der Faust verabschieden, folgen wahrscheinlich eher einer Modeströmung, als dass sie sich vor einer Krankheit schützen wollen.

Nach wie vor tragen Menschen Masken. Um zu zeigen: Ich möchte niemanden anstecken – oder aber um zu signalisieren, dass der- oder diejenige besonders gefährdet ist.
Das macht durchaus Sinn. Der grössere Effekt der Maske als die Maske selbst ist jedoch das Zeichen, das sie aussendet. Einer Person, die zum Selbstschutz eine Maske trägt, ist froh, wenn andere von ihr Abstand halten.

Die Kritik an den Corona-Massnahmen war teilweise riesig.
Im Nachhinein ist man meistens schlauer. Es ist generell ziemlich schwierig, Länder miteinander zu vergleichen, um herauszufinden, wer am besten reagierte. Meiner Ansicht nach hat es ein Land besser im Griff gehabt als die Schweiz, nämlich Dänemark: Es wurde frühzeitig getestet, anstatt die Leute in Quarantäne zu schicken. Ansonsten kam die Schweiz gut über die Runden.
In den letzten Wochen ist immer wieder von neuen Virusvarianten zu lesen. Medien warnen davor – doch so richtig durchgesetzt scheint sich keine davon zu haben.
Nein, weil Corona sich so verhält wie praktisch jede Virusvariante, die neu auf die Menschheit trifft. Zu Beginn verhielt sie sich sehr aggressiv, verbreitete sich rasch, dann entwickelte ein Grossteil eine Teilimmunität dagegen – heute ist es eine gewöhnliche Erkältungskrankheit, die für die meisten ungefährlich ist.

Für Schlagzeilen sorgt auch Alt Bundesrat Ueli Maurer, der Corona in einem Interview als «Massenhypnose» bezeichnet. Zudem tritt er im April in Bern an einem Forum von Massnahmenskeptikern auf.
Ich trat mit Ueli Maurer vor einigen Wochen an einem Podium auf. Wir diskutierten intensiv über das Thema. Man muss aufpassen, ihn nicht in eine Ecke zu stellen, in die er nicht hingehört. Ja, er ist wohl jener, der, vom damaligen Gremium, am kritischsten gegenüber Covid eingestellt war. Teilweise kann ich das nachvollziehen, weil der Lockdown für einen Finanzminister sicher keine lustige Phase war. Einig bin ich mit ihm, dass Corona die Gesellschaft gespalten hat und das nun irgendwie wieder rückgängig gemacht werden muss. Und dass die Aufarbeitung der Krise fortgesetzt werden sollte.

Hat Corona die bereits vorhandene Spaltung der Gesellschaft, wie sie gerade in Deutschland eklatant zu beobachten ist, weiter vorangetrieben?
Die Schwierigkeiten, demokratische Werte zu verteidigen, begannen schon vorher. Corona war aber zweifellos ein Brandbeschleuniger. Es wurden gesundheitspolizeiliche Massnamen ergriffen, die zuvor unvorstellbar waren und die oft im Widerspruch zu den Grundrechten standen. Dazu vielleicht ein kurzer Bezug zur Vergangenheit: Als die HIV-Krise Anfang der 80er-Jahre akut wurde, wurde teilweise gefordert, die Leute, die infiziert waren, zu tätowieren, um sie so zu kennzeichnen. Glücklicherweise haben sich damals Mediziner und Wissenschaftler dagegen gewehrt.

Covid hat die extremen politischen Lager gestärkt, einverstanden? In Berlin demonstrierten monatelang Reichsbürger zusammen mit Alt-Hippies.
Absolut. Es kursierten Verschwörungstheorien, auf beiden Seiten. Das halte ich für beunruhigend. Wir sollten stattdessen unsere Grundwerte verteidigen, denn die zwei angesprochenen Pole sind kaum jene, die im Zweifelsfall für demokratische Werte einstehen – obwohl sie nun paradoxerweise den anderen vorwerfen, sie würden den Rechtsstaat aushöhlen.

Auf die Covid-Pandemie folgte im Februar 2022 mit dem Angriffskrieg Russlands gleich die nächste Krise. Ihre Ehefrau stammt aus der Ukraine.
Dieser Krieg hätte ohne Corona kaum stattgefunden, weil sie autoritäre Regimes gestärkt hat. China zeigte den Machthabern, wie sich eine Bevölkerung relativ problemlos einsperren lässt. Demokratie ist nicht mehr das Mass aller Dinge; Donald Trump weigert sich bis heute, die Wahlresultate von 2020 zu akzeptieren.

Wohnt Ihre Partnerin in einem ungefährlichen Gebiet?
Ich bin sicher nicht lebensmüde und begebe mich in Gefahr. Sehen Sie: Ich habe jahrelang für das IKRK gearbeitet. Krieg löst vor allem im Kopf etwas aus, er macht die Menschen kaputt. Der eigentliche Effekt ist die ständige Angst.

Springen Sie bald mal wieder in den Dnjepr?
In Kiew am Fluss hat es tolle Strände, es lässt sich gut baden dort.

Der Krieg in der Ukraine dürfte noch lange weitergehen. Sie selbst sind bereits pensioniert.
Viele meinen, ich sei für die gesamten Coronamassnahmen verantwortlich, dabei war ich nur in der ersten Welle im Amt. Schon bei Beginn der Impfungen sass ich längst zuhause (lacht).

Zum Schluss: Kommt Corona nie mehr in der gefährlichen Form zurück?
Das wäre äusserst unwahrscheinlich. Dass ein anderes Coronavirus auftaucht und dasselbe auslöst – das glaube ich ebenfalls nicht. Zu den gefährlichsten Viren gehören die Grippeviren. Ob sich hier eine Pandemie anbahnt … wir wissen es schlicht nicht.

CORONA

Ein kurzer zeitlicher Abriss
28.2.2020: Verbot von Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen
13.3.2020: Verbot von Grossveranstaltungen über 100 Personen inkl. Bergbahnen; Einreisebeschränkungen.
16.3.2020: Lockdown; der Bundesrat ruft die ausserordentliche Lage aus. Schliessung von Restaurants und
Freizeiteinrichtungen. Verbot nicht dringender Eingriffe in Spitälern.
6.7.2020: Einführung der Maskenpflicht im ÖV
16.2.2022: Aufhebung sämtlicher Massnahmen ausser Maskenpflicht im ÖV

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