Philippe Müller steht seit Tagen unter Beschuss. Weil er sein Znüni auf Kosten der Steuerzahlenden abgerechnet hat. Doch die Geschichte könnte auch ganz anders erzählt werden.
Der Stein des Anstosses, das Corpus Delicti, es war wohl etwa 20 bis 25 Zentimeter lang. Gekostet hat es gerade einmal 20 Rappen. Eine klassische Situation von kleiner Ursache, grosser Wirkung also. Wobei «gross» in Bezug auf die Wirkung unterdessen noch einigermassen untertrieben ist. Nett formuliert.
Ja, dass Philippe Müller eine Banane, ein Bio-Mehrkornbrötli (man achte auf die Bedeutsamkeit des Präfixes) und obendrauf noch ein Laugenbrezel mit Butter als Spesen gutgeschrieben worden sind, war ein Fehler. Das gibt er auf X, vormals Twitter, sogar selber zu. Der Lohn eines Berner Regierungsrats ist fürstlich – nötig hat solche Spielereien bei einem Einkommen von 280 000 Franken jährlich niemand. Punkt. Und kein Aber.
Für die Tamedia ist Müller ein gefundenes Fressen
Andererseits zeigt der Fall exemplarisch auf, wie Medien, unter dem Deckmantel der objektiven, freien Berichterstattung, bisweilen einseitig-tendenziös berichten können. Vielleicht gar berichten wollen. Zwar de facto nichts direkt Falsches erzählen, gleichzeitig wissend, dass die Sache beim Publikum schon so verstanden wird, wie sie beabsichtigen; nämlich falsch. Sich um Ausgewogenheit, die sie sonst so gerne für sich beanspruchen, indes einen Deut scheren.
Nochmals: Philippe Müller hat einen Fehler begangen. Die wüsten Reaktionen darauf hingegen muten doch einigermassen sonderbar an. Mitunter schlicht unverhältnismässig. Von einer «Quittungs-Affäre» spricht der «Blick» und bezeichnet den FDP-Politiker als «Bananen-Müller». Der «Bund» taxiert Müllers Verhalten als «peinlich», nun bestehe «Handlungsbedarf». Nau.ch wiederum nennt den 60-jährigen Regierungspräsidenten fortan nur noch «Spesen-Müller».
Dass «Bund» und «Berner Zeitung» den Sicherheitsdirektor frontal angreifen, ist kaum verwunderlich, denn: Immer wieder schiesst dieser auf den sozialen Medien gegen diese Zeitungen, die beide zum Tamedia-Verlag gehören und macht sie auf Fehler, Widersprüche oder ungerechtfertigte Vorverurteilungen, etwa von Polizisten, aufmerksam. Das «Bananen-Gate» kommt da als Steilvorlage wie gerufen. Für die anderen Online-Portale ist die Geschichte, welcher der «Kassensturz» nachgegangen ist, ebenfalls ein gefundenes Fressen. Hetzjagden, neudeutsch Shitstorms, mit süffigen Titeln bringen Klicks. Und Klicks bringen Geld.
Müller äussert sich nicht öffentlich, aber …
Aber wieso stürzen sich die Journalistinnen und Journalisten gerade auf Müller? Schliesslich «tricksten» auch einige seiner Regierungskollegen, zum Beispiel von der SP. Die Erklärung ist so simpel wie offenkundig: Medienschaffende ticken politisch fast ausnahmslos links – wer anderes behauptet, verkennt die Realitäten. Umso schöner also, wenn ein Bürgerlicher angeprangert werden kann. Irgendjemand, so die vorherrschende Meinung in den nach Weltverbesserungs-Ideologie duftenden Schreibstuben, muss dem Kerl schliesslich mal die Meinung geigen.
Bloss: Vielleicht war ja alles ganz anders. Halb so wild das Ganze, eine 20-Rappen-Quittung an der falschen Stelle verbucht möglicherweise. Diese Option müsste doch bestehen, theoretisch jedenfalls? Stellt denn niemand die gerade kursierenden Vorwürfe infrage? Fairerweise muss gesagt werden, dass sich Philippe Müller dazu nicht öffentlich äussern will. Das tut jedoch keines der beschuldigten Regierungsratsmitglieder. Der Grund: Es war ein gemeinsamer Entscheid, die Geschehnisse nicht zu kommentieren. Ob diese Strategie richtig war, erscheint zwar fragwürdig. Müller kann dafür – er hat sich als Teil der Exekutive ans Kollegialitätsprinzip zu halten – allerdings nicht verantwortlich gemacht werden. Wie also könnte die «Spesen-Affäre» denn nun wirklich abgelaufen sein? Die Geschichte wäre eine ganz andere. Eine weniger dramatische. Sie ginge so.
Erstens: Müller kaufte die Banane, das Bio-Mehrkornbrötli und das Laugenbrezel gar nicht selbst ein. Folglich hätte er an der Ladenkasse nie eine Quittung verlangt, wäre damit nicht in sein Büro gelaufen und hätte diese dann auch nicht einer Mitarbeiterin mit der Bitte, das Ganze doch bitte schön über die Spesen abzurechnen, abgegeben. Möglich wäre, dass Müller das Essen während einer Sitzung schlicht hingelegt wurde. In der Folge hätte ein Mitarbeitender die 20-Rappen-Quittung schlicht falsch verbucht. Ein Irrtum also.
Zweitens: Die Patzer, auf die sich die SRF-Recherche stützt, stammen aus den Jahren 2018 und 2019, sind also fast fünf Jahre her. Seither hat Philippe Müller nie Kleinstspesen verrechnet. Diese Feststellung würde selbst SRF nicht dementieren. Thematisiert wurde dieser Fakt in der Sendung allerdings zu keinem Zeitpunkt. Zudem existiert in der Sicherheitsdirektion möglicherweise ein eigenes Kässeli, das auf Müller lautet und in das er regelmässig einzahlt, um genau solche Mini-Einkäufe wie ein Cola oder ein Joghurt zu bezahlen respektive um diese Einkäufe eben nicht auf die Spesen nehmen zu müssen. Das dürfte in vielen anderen Betrieben ähnlich sein.
Drittens: Das Bild, wonach der Berner FDP-Regierungsrat systematisch Einkaufszettel sammelt, und dazu noch in grosser Zahl, wäre damit aus der Luft gegriffen und somit völlig falsch. Das wüsste auch der «Kassensturz», ohne jedoch darauf hinzuweisen.
Zwingende Fragen ans SRF
Nein, es geht hier nicht darum, irgendjemanden reinzuwaschen. Wer Fehler macht, muss dazu stehen. Bloss handelt es sich hier um ein vergleichsweise kleines Vergehen und weniger um eine Staatsaffäre, wie sie von verschiedenster Seite mit teils markigen Tönen insinuiert wird.
Und so steht Philippe Müller nun mit runtergelassenen Hosen da. Obschon er dem «Kassensturz» zumindest eine kleine Gegenfrage stellen dürfte: ein Butterbrezel, ein Bio-Mehrkornbrötli, eine Banane von vor fünf Jahren. Ist das wirklich der grosse Knall, ist es das, was die SRF-Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten in zwölf (!) Monaten Recherche an Spesenskandalen herausfinden konnten? Zwölf Monate lang haben Sie – wie sie im Beitrag selber verkünden – für ein solches Ergebnis recherchiert? Auf welche Kosten übrigens ist klar: auf jene der Gebührenzahler, die zur Serafe-Abgabe (früher Billag) quasi gezwungen werden. Wenn sich hier nur ja nicht schon der nächste öffentliche Gebührenskandal ankündigt.