Franziska Teuscher deutlich wie nie

«Wir alle müssen Niederlagen einstecken!»

Franziska Teuscher: «Bis Ende Jahr habe ich noch einiges vor.» Foto: Daniel Zaugg

Der Gemeinderat sei ein Wohlfühlgremium, Rot-Grün in der Stadtregierung übervertreten, sie selbst sei nicht kritikfähig. Gegen diese Vorwürfe wehrt sich Franziska Teuscher vehement.

Franziska Teuscher, hören Sie langsam die Uhr ticken?
Ich habe bis Ende Jahr noch einiges vor, das ich zu Ende bringen oder aufgleisen will. Deshalb sage ich also noch nicht gleich Adieu.

Ihre Nachfolgerin steht schon quasi fest: Es handelt sich um Ihre Parteikollegin Ursina Anderegg.
Mit Ursina Anderegg hat das Grüne Bündnis eine tolle Kandidatin, die die Stadtpolitik extrem gut kennt und dossierfest ist. Daher kann ich sie mir als Gemeinderätin in allen Direktionen vorstellen, wobei jene von Alec von Graffenried und Marieke Kruit kaum zur Diskussion stehen, da die beiden ja weitermachen.

Sie wurden für Probleme bei der Schulzahnklinik, der Einführung von Citysoftnet oder dem Projekt Base4kids heftig angegangen. Ohne auf die Themen näher einzugehen: Fühlten Sie sich manchmal ungerecht behandelt?
Als Politikerin muss man mit Kritik leben können. Es gehört zum politischen Spiel, einzelne Themen und Personen zu kritisieren, um – in meinem Fall – die dahinterstehende grün-soziale Politik anzugreifen. Ich nutze die Gelegenheiten, um meine Positionen gegenüber der Politik zu erklären und mich mit der Bevölkerung auszutauschen. Ich persönlich scheue keine Diskussion, solange sie fair geführt wird.
2022 sagte die damalige FDP-Stadträtin Claudine Esseiva an Ihre Adresse: «Bei Franziska Teuscher sind immer die anderen schuld.»

Solch pauschale Vorwürfe finde ich schwierig, auch Kritik muss präzise formuliert werden. Ich stand bei Gegenwind stets hin musste mir manches anhören und habe als Gemeinderätin die Verantwortung übernommen. Übrigens: Wer mich privat, beruflich und politisch kennt, der weiss, dass ich ein sehr selbstkritischer Mensch bin.

Beim Projekt Baumgarten wurden Büroräumlichkeiten für Schulklassen umgenutzt. Bringen Sie Schülerinnen und Schüler bald in alten Industriebrachen unter?
Von diesen gibt es in Bern gar nicht so viele (lacht). Die Umnutzung von Büroräumlichkeiten wie beim angesprochenen Projekt Baumgarten hat Vor- und Nachteile – in diesem Fall war beispielsweise der Aussenraum knapp. Trotzdem ist es insgesamt ein stimmiges Projekt, weil wir Lernateliers für neue pädagogische Unterrichtsformen schaffen konnten. Bern muss nach innen verdichten, Mehrfachnutzungen ins Auge fassen. Gleichzeitig wollen wir unsere Schulen als Quartierorte etablieren, sprich: Insbesondere der Aussenraum soll der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden.

Einige dieser Dinge sind Projekte der Zukunft. Tut es Ihnen nicht ein bisschen weh, all dies nur noch anzureissen, aber nicht mehr beenden zu können?
Jedes Projekt zu einem Ende zu bringen, gelingt in der Politik nie. Mein Wunsch ist, die Dinge so weit aufgegleist zu haben, dass meine Nachfolge sie weiterentwickeln kann. Ein Jahrzehnteprojekt konnte ich in meiner Amtszeit übrigens zu Ende bringen.

Nämlich?
Die Schwimmhalle Neufeld. Der Bedarf eines neuen Hallenbads war seit fast 20 Jahren unbestritten. Noch vor meinem Amtsantritt beschloss der Gemeinderat 2012, die Schwimmhalle auf dem Gaswerkareal zu bauen. Bei näherem Betrachten fand ich den Standort wegen der schlechten ÖV- Erschliessung suboptimal. Ich war glücklich, konnte ich dem Neufeld als Alternativstandort zum Erfolg verhelfen. Dass ich letztes Jahr die Schwimmhalle dem Betrieb übergeben durfte, war fantastisch.

Was bleibt Ihnen sonst nach fast zwölf Jahren in der Stadtregierung?
Die Möglichkeit, eine grosse Vielfalt von Projekten und Aufgaben mitzuentscheiden, mitzugestalten und weiterzuentwickeln, zusammen mit meinen Mitarbeitenden, in- und externen Fachpersonen, Kolleginnen und Kollegen aus der Politik und immer im Austausch mit der Bevölkerung.

Das trifft wohl ebenfalls auf die Kontakte innerhalb des Gemeinderats zu. Man hört oft, Sie seien ein Wohlfühlgremium.
«Man» hört. Wer sagt das?

Ihre Kolleginnen und Kollegen.
Wir sind ein starkes Team, arbeiten vertrauensvoll zusammen und haben eine faire Diskussionskultur – alles wichtige Voraussetzungen für eine gute Stadtregierung. «Wohlfühlen im Team» schliesst nicht aus, dass wir Geschäfte kontrovers diskutieren, manchmal streiten und alle von uns auch Niederlagen einstecken müssen. Der Gemeinderat darf sich aber zu Recht auf die Fahne schreiben, gemeinsam für die Bevölkerung sehr viel erreicht zu haben.

Die SP attackiert möglicherweise den Stapi-Sitz von Alec von Graffenried. Eine gute Idee?
Das oberste Ziel von Rot-Grün-Mitte ist es, die grün-soziale Politik fortzusetzen, eine hohe Lebensqualität für alle Menschen in der Stadt Bern zu sichern und dafür die vier Gemeinderatssitze zu halten. Wir sind ein solides Bündnis, das von der Bevölkerung in sämtlichen Volksabstimmungen immer wieder bestätigt wurde. Das bürgerliche Bündnis hat bis jetzt nur einen Taschenrechner, aber keinen gemeinsamen politischen Inhalt, kein Wahlprogramm. Wie soll ein inhaltsleeres, planloses Bündnis eine Alternative für die Stadt Bern sein? Rot-Grün-Mitte soll von bürgerlicher Seite herausgefordert werden, aber dann bitte mit Inhalt. Zu Ihrer Frage: Die Überlegungen der SP als grösste Stadtpartei betreffend Stadtpräsidium sind nachvollziehbar. Man muss sich einfach im Klaren über die Konsequenzen für das Bündnis sein. Bei allen parteipolitischen Überlegungen darf niemand das gemeinsame Ziel aus den Augen verlieren, die vier Rot-Grün-Mitte-Sitze in der Stadtregierung zu halten.

Mit vier rot-grünen Gemeinderäten sind Sie im Verhältnis eigentlich übervertreten …
(Unterbricht) Nein, diese Aussage muss ich korrigieren.

Gemäss Wähleranteil hätten Sie nur drei RGM-Gemeinderäte zugute. Der Anteil für Rot-Grün liegt bei rund 63 Prozent. Das 4:1-Verhältnis ist dem Wahlsystem geschuldet.
Erstens wählt die Bevölkerung alle vier Jahre – und sie hat sich für vier Rot-Grün-Mitte-Sitze und einen bürgerlichen Sitz entschieden. Da kann man nicht behaupten, die Bürgerlichen hätten keine Chance. Und zweitens hat genau diese Stadtregierung all ihre Geschäfte erfolgreich durch die Volksabstimmung gebracht, die Stimmbevölkerung bestätigt also regelmässig die Rot-Grün-Mitte- Politik.

Wenn Sie Ende Jahr abtreten, sind Sie pensioniert. Was tun Sie dann?
Ich mache mir kaum Sorgen, dass es mir langweilig wird (lacht).

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