NEUES FDP-FÜHRUNGSDUO RENÉ LENZIN UND FLORENCE PÄRLI

«Wir müssen uns an der eigenen Nase nehmen» 

Die FDP Stadt Bern hat sich neu aufgestellt: René Lenzin ist nun alleiniger Präsident, Florence Pärli dessen Vize. Im Interview erklären die beiden, was im Wahlkampf schiefgelaufen ist, wie es um das Verhältnis zu Chantal Perriard steht und wo die Partei in vier Jahren stehen will. 

René Lenzin, haben Sie die Wahlniederlage von Ende November verdaut?
René Lenzin: Ich würde hier gerne differenzieren: Als Partei haben wir nicht verloren. Es ist die gemeinsame Liste von Mitte-Rechts, die den zweiten Sitz im Gemeinderat verpasste. Die FDP selbst hat ihre Ziele erreicht: Florence Pärli war stimmenmässig die klare Nummer zwei und wäre, hätten wir einen zweiten Sitz geholt, nun Gemeinderätin. Zudem haben wir als Partei im Stadtrat Wähleranteile plus einen zusätzlichen Sitz gewonnen. 

Florence Pärli, Sie verpassten die Wahl in die Stadtregierung ganz knapp. Hadern Sie noch damit?
Florence Pärli: Ich stand ein ganzes Jahr lang unter Adrenalin, und plötzlich fiel das weg. Nach den Wahlen war ich deshalb vor allem erschöpft. Enttäuscht war ich insofern, als dass ich das Resultat nach wie vor nicht verstehe. Wieso unsere Botschaft, diese Stadt politisch farbiger zu gestalten, bei den Menschen zu wenig fruchtete. Im Parlament wird bereits jetzt einseitig diskutiert, nun wurden jene Positionen weiter gefestigt – das erschreckt mich. 

Am Schluss fehlte nur wenig für einen zweiten Sitz.
Lenzin: Das ist in der Tat enorm bitter. Doch wir müssen uns auch an der eigenen Nase nehmen: Wir fühlten uns durch die Umfragen wohl zu sicher und haben am Schluss als Liste nicht mehr die gleichen PS zu Boden gebracht wie Links-Grün. Wir waren gegen Ende zu selten auf der Strasse und haben zu wenig mobilisiert. Die nationalen Vorlagen, namentlich das Referendum gegen den Autobahnausbau, haben der linken Seite einen zusätzlichen Schub verliehen. 

Sie, Frau Pärli, sind als FDP-Spitzenkandidatin in den letzten Wochen quasi abgetaucht. Wo waren Sie?
Pärli: Ich habe mich erholt (schmunzelt).

In den Ferien? 
Pärli: Nein, im Gegenteil, ich habe intensiv gearbeitet – für einmal aber komplett unpolitisch. Ich durfte in meinem Job neue Aufgaben übernehmen. Dann erhielt ich die Anfrage, ob ich städtische FDP-Vizepräsidentin werden möchte. Ich überlegte es mir gut und kam zum Schluss: Ich will weiterhin dazu beitragen, liberalen Sichtweisen in Bern eine Stimme zu geben. Ja, ich wäre sehr gerne Gemeinderätin geworden, doch ich werde mich in meiner neuen Funktion mit genau gleich viel Herzblut für die Politik engagieren. 

Die FDP Stadt Bern hat sich vor zehn Tagen mit Ihnen, Herr Lenzin, als alleinigen Präsidenten sowie Florence Pärli als Vizepräsidentin neu aufgestellt. Wieso gerade diese Konstellation? 

Wir sind ein engagiertes Team, jede und jeder
hat zahlreiche Ideen.

Florence Pärli


Lenzin: Drei Personen traten gleichzeitig aus der Parteileitung zurück. Wir brauchten also frische Kräfte; in der Folge kontaktierte ich Florence relativ schnell. Weil sie eine unserer grossen Nachwuchshoffnungen ist, die wir unbedingt in unseren Reihen halten möchten. Dass sie zusagte, freut mich sehr.

Sie wiederum fühlen sich wohl in Ihrer neuen Rolle? 
Pärli: Ich habe mich über die Anfrage und das Vertrauen, das man in mich setzt, wahnsinnig gefreut. Wir sind ein engagiertes Team, jede und jeder hat zahlreiche Ideen. Es ist ein ausgeprägter Wille vorhanden, politisch mitzugestalten. 

Das Verhältnis zu Ex-Co-Präsidentin Chantal Perriard scheint hingegen zerrüttet. 
Lenzin: Chantal Perriard legt ihren Fokus ab sofort auf ihr neues Mandat als Stadträtin. Sie machte einen tollen Wahlkampf, obwohl sie in der unteren Hälfte der Liste stand. Wir haben diese Situation entspannt gelöst. 

Es bleiben also keine Ressentiments nach dem Eklat bei TeleBärn übrig? 
Lenzin: In der Hitze des Gefechts lief dort zweifellos nicht alles optimal. Mit Blick auf das Wahlergebnis lässt sich jedoch folgern, dass uns dieser Zwischenfall keinen Schaden eingetragen hat. 

Wo liegt der politische Fokus der FDP in den nächsten Monaten?
Pärli: Im Stadtrat werden momentan etliche Scheindebatten geführt, etwa zur Genderthematik. Gleichstellungsfragen an sich sind wichtig – sie sind aber überwiegend ein Thema für die kantonale oder nationale Politik. Unsere Kernanliegen sind diejenigen, welche die Stadtbevölkerung unmittelbar betreffen: Wohnen, Sicherheit und das Gewerbe. Wir wollen genug Wohnraum für alle, dem Gewerbe wollen wir eine gute Grundlage bieten. Ausserdem muss unsere Infrastruktur effizient bleiben: Die Leute sollen rasch durch die Stadt kommen, unabhängig vom Verkehrsmittel. 

Sie haben Ihr Lieblingsthema, die Finanzen, vergessen.
Pärli: Stimmt, das ist mir gar nicht aufgefallen (lacht). Nachhaltige Finanzpolitik ist und bleibt natürlich ein zentraler Punkt.

Unter Bernhard Eicher fuhr die FDP einen stramm rechtsbürgerlichen Kurs, danach wurde eine linksliberale Kehrtwende vollzogen. Und jetzt?
Lenzin: Wir verfügen über eine gesunde Breite an liberalen Ideen. Die Links-Rechts-Diskussion finde ich ehrlich gesagt ein bisschen müssig. Sicher, wir müssen und wollen uns öfter urbanen Fragen widmen als eine FDP, die in einer ländlichen Gegend beheimatet ist. Wohnen wird in Bern anders diskutiert als im Oberaargau. Es ist der städtische Kontext, der die Ausrichtung vorgibt.

Pärli: In Bern sollen sich alle wohl, frei und sicher fühlen – und vor allem kein Leben führen, das von einer zwanghaften Ideologie vorgegeben wird. Diese Geisteshaltung hat meines Erachtens kaum etwas mit Links oder Rechts zu tun. 

Ihre Partei hat derzeit knapp 350 Mitglieder. Eine magere Zahl.
Lenzin: Wir werden probieren, den Schwung aus den Wahlen mitzunehmen und unsere Mitgliederbasis zu vergrössern. Es ist uns schon im Wahlkampf gelungen, unsere Sektionen zu aktiveren. Ich bin zuversichtlich: Ich führte eben erst ein Gespräch mit einer Person aus der Wirtschaft, die uns als Sympathisant unterstützen möchte – mindestens. Je linker der Stadtrat wird, desto mehr Leute werden sich finden, die sagen: Jetzt reichts! Und ja, Mitgliederzuwachs ist super, fast noch wichtiger ist hingegen, jene zu mobilisieren, die uns wählen. Dort schöpft RGM (Rot-Grün-Mitte) ihr Potenzial deutlich besser aus als wir. 

Die Schwimmhalle Neufeld geht auf eine Initiative des heutigen Regierungsrats Philippe Müller zurück. Das ist über zehn Jahre her. Ihre neueste Initiative «Meh Wohnige für Bärn» erlitt hingegen Schiffbruch: Sie holten gerade mal 3500 der 5000 nötigen Unterschriften. Sind Sie zu weit weg von der Bevölkerung?

Das Thema Wohnen
beschäftigt.

René Lenzin


Pärli: Dieser Behauptung würde ich vehement widersprechen. Trotzdem möchten wir in Zukunft wieder mehr auf der Strasse sein, damit die Bevölkerung ein Bild davon erhält, wer wir sind. Wenn ich Leute anspreche, entgegnen manche verdutzt: Was, du bist bei der FDP? Ja, ich bin eine normale junge Frau mit einem normalen Job und einem normalen Lohn. In Bezug darauf, wer aktuell Mitglied beim Freisinn ist, sind wir vom Mix her nahe bei den Menschen; das Bild von uns gegen aussen muss sich allerdings ändern. Zu Ihrer Frage: Es ist extrem schwierig, in einem Wahlkampf Unterschriften zu sammeln. Ausserdem ist das Quorum von 5000 Unterschriften sehr hoch angesetzt. 

Die SVP hat die Unterschriften für ihre Streichelzoo-Initiative locker eingereicht.
Pärli: Eine deutlich einfachere Aufgabe. Wie wichtig unser Anliegen «Meh Wohnige für Bärn» ist, zeigte eine Medienmitteilung der Stadt vom letzten Donnerstag: So wurden 2024 netto bloss 93 neue Wohnungen geschaffen, wovon 98 Prozent Umnutzungen sind. Unsere Initiative zielte exakt darauf ab, Flächen wie den Dachstock eines Gebäudes nutzen zu dürfen.

Lenzin: Das Thema Wohnen beschäftigt. Wer beim Sammeln der Unterschriften einmal mit den Menschen ins Gespräch kam, erhielt in den meisten Fällen auch Zuspruch. Wir haben, das geben wir selbstkritisch zu, allerdings einen taktischen Fehler begangen, indem wir die Initiative kurz vor den Sommerferien lancierten. Damit verloren wir fast sechs Wochen Zeit. Da die Hürde von 5000 Unterschriften tatsächlich eine Herausforderung darstellt, müssen wir uns zudem überlegen, ob es sinnvoller wäre, in solchen Fällen in Zukunft mit anderen Kräften zusammenzuarbeiten. In Zürich kam die Initiative zustande, unter Führung der FDP und unter Mithilfe der Mitte und der GLP. 

Wo steht die FDP im November 2028?
Lenzin: Wir haben eine Gemeinderätin und zehn Sitze im Stadtrat. 

Spannen Sie für die nächsten Wahlen erneut mit EVP, GLP, Mitte und SVP zusammen?
Pärli: Zum heutigen Zeitpunkt würde ich sagen: ja. Für eine verbindliche Erklärung ist es aber noch viel zu früh. Zuerst möchten wir die inhaltliche Kooperation mit diesen Parteien weiter ausbauen.

Treten Sie in knapp vier Jahren denn erneut an?
Pärli: Das weiss ich noch nicht. Ich werde aber so oder so alles dafür tun, dass die FDP in dieser Stadt eine Gemeinderätin oder einen Gemeinderat erhält.

Ist es eigentlich frustrierend oder eher motivierend, in Bern Mitglied einer bürgerlichen Bewegung zu sein? 
Lenzin: Meine ersten Wahlen als Co-Präsident waren die nationalen von 2023, als wir auf einen historischen Tiefstand von 6,3 Prozent fielen. Da fragte ich mich schon, was das noch soll. Zumal wir aufgrund des schlechten Ergebnisses in der Stadt unseren zweiten Nationalratssitz verloren. Seither haben wir uns auf Gemeindeebene massiv gesteigert und liegen bei über acht Prozent. Das ermutigt mich. Wir werden in den nächsten Jahren realistischerweise keine Mehrheitspartei, doch wir haben Luft nach oben.

Pärli: Selbst wenn das Aussenbild häufig anders erscheinen mag: Wir können Einfluss nehmen, unsere Ideen werden gehört. Wir wollen dranbleiben. Das ist mein Wunsch und das motiviert mich.

Foto: Daniel Zaugg

fdp Paerli Lenzin dz 123

PERSÖNLICH

René Lenzin, geboren 1960, war unter anderem Bundeshauskorrespondent des «Tages-Anzeigers». 2023 wurde er zum Co-Präsidenten der FDP Stadt Bern gewählt, seit kurzem hat er das Amt alleine inne. Lenzin ist der persönliche Mitarbeiter von Bundesrätin Karin Keller-Sutter.

Florence Pärli, geboren 1990, ist Juristin beim Steueramt des Kantons Solothurn, zudem ist sie Dozentin für Steuerrecht. Sie war von 2021 bis Ende 2024 FDP-Mitglied des Berner Stadtrats, vor kurzem wurde sie zur neuen Vizepräsidentin der FDP Stadt Bern gewählt. 

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