Ende Jahr tritt Michael Aebersold ab. Welche Note er sich als Berner Finanzdirektor gibt, wieso die Stadt kein neues Sparpaket braucht und was er nach seiner Pensionierung vorhat.
Michael Aebersold, welche Note würden Sie sich nach bald acht Jahren im Gemeinderat als Berner Finanzdirektor geben?
Trotz der grossen Herausforderung, genügend Schulraum zur Verfügung zu stellen und die Eis- und Wasseranlagen in Schuss zu halten, geht es der Stadt finanziell wesentlich besser als oft geschrieben wird. Sie ist wirtschaftskräftig und generierte 2021 und 2022 Überschüsse. Ich rechne damit, dass wir 2023 erneut deutlich besser abschliessen als budgetiert. Als linker Politiker konnte ich ein Sparpaket von 40 Millionen Franken durchbringen. Mir eine 6 zu geben, wäre anmassend … aber auch mit Verweis auf die Wohnpolitik würde ich sagen: eine 5 – 6. Ich bin zufrieden.
Manche meinen, die Finanzdirektion wäre in bürgerlichen Händen besser aufgehoben.
Dafür müsste nicht zuletzt das Wahlresultat entsprechend ausfallen. Ob indes eine linke Person oder jemand von der bürgerlichen Seite die Finanzdirektion übernimmt – am Ende des Tages ergibt eins und eins zwei. Zentral ist es, das Parlament und die Stimmbevölkerung davon zu überzeugen, dass das, was man macht, richtig ist. Doch eine bürgerliche Politikerin hätte es in dieser Position angesichts der klaren politischen Mehrheitsverhältnisse in der Stadt Bern tendenziell wohl schwieriger als ich.
Was Berns Finanzen anbetrifft, erklärte Alec von Graffenried im Interview mit dem BärnerBär: «Wir segeln hart am Wind.» Sehen Sie das ebenfalls so?
Im Wesentlichen stemmen wir heute Investitionen, die man rund 30 Jahre lang vor sich hergeschoben hat – und die in den nächsten 30 Jahren kaum in diesem Ausmass wieder getätigt werden müssen. Deshalb kommen wir derzeit nicht umhin, uns weiter zu verschulden. Wir müssen hart am Wind segeln. Aber ich möchte betonen: Wir sind wirtschaftsstark, die Steuereinnahmen nehmen jedes Jahr zu.
Ihr privates Budget würden Sie, Herr Aebersold, allerdings nie so hochdefizitär kalkulieren.
Nun, die Stadt ist keine Privatperson. Sehen Sie: Im städtischen Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik befinden sich Immobilien im Wert von 1,7 Milliarden Franken. Hier reden wir nicht von Schulhäusern oder Eisanlagen, die sich nur schwer veräussern lassen, sondern namentlich von Land und Gebäuden, die im Besitz der Stadt sind, Einnahmen generieren und – was ich natürlich nicht will – am Markt verkauft werden könnten. Ja, wir müssen momentan mehr investieren als wir selber finanzieren können. Dass wir uns dafür über einen begrenzten Zeitraum weiter verschulden müssen, halte ich für vertretbar.
Streiten Sie auch mit Ihren Gemeinderats-Gspändli über die Finanzen?
Ja, und zwar hart. Es sind viele Projekte und damit verschiedenste Interessen vorhanden – ich stelle die Finanzen in den Vordergrund.
Sind Sie bei einer Sitzung eigentlich mal hässig geworden?
Dazu braucht es bei mir sehr viel. Wenn eine Person mit hochrotem Kopf den Raum betritt, ist es kontraproduktiv, selbst zu eskalieren.
Sie müssen im November nicht mehr antreten. Also könnten Sie doch jetzt, losgelöst von jeglichem Wahldruck, für ein Sparprogramm kämpfen.
Nochmals: Im Wahljahr 2020 habe ich mit dem Gemeinderat ein Sparpaket geschnürt. Wenn jetzt wieder eines nötig wäre, würde ich das sofort aufgleisen. Bloss: Es ist aktuell nicht nötig; wir haben einen Bilanzüberschuss Hinzu kommen Sonderfinanzierungen für die Schul- und Sportanlagen. Zudem: Ein Sparpaket zu schnüren ist herausfordernd und würde die heute bereits stark ausgelastete Verwaltung unnötig beanspruchen.
Ihre Partei spielt mit dem Gedanken, den Sitz von Alec von Graffenried anzugreifen. Würden Sie das begrüssen?
Ich agiere ganz nach dem Bonmot «Servir et disparaître» …
So formulierte es Reto Nause bei uns ebenfalls schon!
Im Ernst: Ich halte mich aus diesen Diskussionen raus, alles andere wäre schlechter Stil.
Sie haben es nie bereut, Finanzdirektor zu sein?
Keine Sekunde! Bei meinem Amtsantritt riss sich niemand um diese Direktion, unterdessen wird bereits vor den Wahlen darüber spekuliert, wer sie denn übernehmen könnte. Das freut mich (lacht). Ich bin ein Zahlenmensch, Naturwissenschaftler – die Thematik liegt mir nahe. Als ich dann nach rund einem Jahr im Gemeinderat erfuhr, dass zur Direktion auch noch ein Weingut gehört, war das das Tüpfelchen auf dem i.
Was haben Sie für Pläne nach Ihrem Abgang?
Im Januar 2025 werde ich 63 Jahre alt und damit ordentlich pensioniert. Ich suche also vorderhand nichts Neues.
Worauf freuen Sie sich nach Ihrem Rücktritt am meisten?
Auf mehr Freiraum. Wieder häufiger aufs Rennvelo zu steigen, mehr Zeit mit meiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern zu verbringen.
Sie wirken nach wie vor hochmotiviert und quicklebendig. Wollen Sie überhaupt schon abtreten?
Ich habe mir sehr lange überlegt, ob ich weitermachen soll. Nach einer weiteren Legislatur wäre ich aber 67. Acht Jahre sind eine gute Zeit, ich werde hocherhobenen Hauptes abtreten. Nun kann jemand Jüngeres ran.