Enttäuschende Wahlen, das Wutinterview von Alec von Graffenried, ein angespanntes Verhältnis zur SP und die grosse Frage nach der Zukunft: Zu diskutieren gibt es bei der GFL derzeit vieles.
Der BärnerBär hat sich mit den beiden Co-Präsidenten Tanja Miljanović und Matthias
Humbel getroffen.
Matthias Humbel, wie lautet Ihr Fazit der Wahlen vom November?
Wir hatten uns sicher mehr erhofft. Inhaltlich wie visuell war die Kampagne wirklich gut. Das Resultat entspricht in etwa jenem Verlust, wie ihn die Grünen auf nationaler Ebene hinnehmen mussten. Zu allem Unglück reichte es dann aus arithmetischen Gründen nicht, unsere Sitze im Stadtrat zu halten. Im Wissen darum, vieles gut gemacht zu haben, gemeinsam mit einem jungen, engagierten Team im Hintergrund, ist das in der Tat frustrierend.
Im Anschluss an die Wahlen fielen Ihrerseits harsche Töne, Sie unterstellten der SP unter anderem «Machtgebaren». Hat sich die Aufregung unterdessen gelegt?
Tanja Miljanović: Die Emotionen haben sich beruhigt, ja. Die Fragen, die damals gestellt wurden – der Vorwurf des «Machtgebaren» bezog sich auf den Ablauf der Direktionsverteilung im Gemeinderat –, sind jedoch nach wie vor aktuell. Ich rede vom respektvollen Miteinander: Alec von Graffenried wurde vom eigenen Bündnis als Stadtpräsident angegriffen, obschon keine Gesamterneuerungswahlen anstanden.
Wie würden Sie das derzeitige Verhältnis zur SP beschreiben?
Matthias Humbel: Professionell. Die Debattenkultur funktioniert, selbst wenn die angesprochene Thematik Spuren hinterlassen hat, speziell in der Exekutive. Aus unserer Sicht sind unschöne Dinge passiert, die sich in einer solchen Konstellation eigentlich nicht zutragen dürften, obwohl das Vorgehen der SP selbstverständlich nicht verboten ist. Nun gilt es anzuschauen, wie wir zusammen weiterarbeiten. Es ist nicht das erste Mal, dass es innerhalb Rot-Grün-Mitte Spannungen gibt.
Alec von Graffenrieds «Wutinterview» in der «Hauptstadt» ist schon fast legendär. Führte der Rundumschlag parteiintern zu Diskussionen?
Miljanović: Wir haben die Vorfälle gesamtheitlich analysiert – da sind die Äusserungen von Alec von Graffenried ein Puzzleteil. Für uns war die Frage, was passiert sein muss, damit jemand wie er überhaupt solche Dinge sagt, fast relevanter, dass also der bisherige Stapi sich an die Medien wendet und Missstände aufdeckt. War das im Interesse der Öffentlichkeit nicht auch notwendig? Hätte er die Vorgänge der Direktionsverteilung unter Verschluss gehalten, wäre der Eindruck entstanden, Alec von Graffenried hätte von Anfang an die ihm zugewiesene Direktion, in der er sich heute nichtsdestotrotz wohlfühlt, angestrebt. Mittlerweile ist klar: Unsere Bündnispartnerin, die SP, hat den amtsältesten Gemeinderat übergangen.
In der Verkehrs-
oder Klimapolitik
bestehen Differenzen.Tanja Miljanović
Matthias Humbel, Sie bezeichneten das Verhalten der SP im «Bund» als «Diktatur der Mehrheit».
Humbel: Wenn der erste grüne Stadtpräsident aus den eigenen Reihen abgewählt wird, geht das nicht spurlos an einem vorbei. Gleichzeitig ist der von Ihnen erwähnte Vorfall, wie von Tanja Miljanović erwähnt, ein Puzzleteil – inhaltlich verfolgen wir als Bündnis ähnliche Ziele. Zudem wussten wir im Vornherein vom Angriff auf den Stadtpräsidenten und traten im Wahlkampf dennoch geeint auf.
Miljanović: Personell klappt die Zusammenarbeit sehr gut. In der Verkehrs- oder Klimapolitik bestehen Differenzen, da wir dort deutlich progressiver eingestellt sind als die SP. Übergeordnet lässt sich festhalten, dass es zum Selbstverständnis der GFL gehört, lösungs- und konsensorientiert zu denken. Im Umkehrschluss heisst das, gegenüber jeder Machtkonzentration, egal ob auf linker oder rechter Seite, skeptisch eingestellt zu sein. Sobald eine Partei bestimmte Anliegen einfach so durchboxt, führt das bei uns zu Unmut. Nicht zwingend deswegen, weil wir inhaltlich völlig anderer Meinung wären, sondern weil wichtige Entscheidungen aus unserer Sicht auf breiter demokratischer Basis abgestützt sein sollten. Unser Politikverständnis ist hier nicht dasselbe.
Humbel: Mit «Diktatur der Mehrheit» meinte ich, willens zu sein, Rücksicht auf Minderheiten zu nehmen. Werden Themen gar nicht mehr ausdiskutiert, keine Kompromisse mehr gefunden, bloss, weil man es halt kann?
Sie denken laut darüber nach, RGM zu verlassen und möglicherweise einen eigenen, grünen Block zu bilden. Wie geht es denn nun weiter?
Humbel: Wir beide haben diesbezüglich durchaus eine Idee, nehmen uns allerdings selbst zurück. Momentan erarbeitet eine Arbeitsgruppe Stärken und Schwächen der verschiedenen Konstellationen – wir wollen bewusst nicht von oben herab bestimmen und eine Richtung definieren, gerade wegen der jungen Menschen in unserer Partei, die den Karren in den nächsten Jahren reissen.
Ein Status quo wäre trotz allem eine gangbare Option?
Miljanović: Ja, wobei das Thema des gegenseitigen Respekts nochmals aufgearbeitet werden müsste. Was ich aber auch betonen möchte ist, dass wir RGM-intern inhaltlich praktisch immer ernstgenommen wurden: Als über das Budget debattiert wurde, setzten wir uns bei der Obergrenze der Ausgaben durch. Gleiches gilt für das Wahlprogramm in Bezug auf die Steuern. Ja, es läuft gut, wir könnten uns jedoch ebenso vorstellen, RGM zu verlassen und in einem grünen Block unser Profil vielleicht gar noch zu schärfen.
Ist es nicht auch schwierig, sich als GFL innerhalb der Grünen überhaupt ein Profil zu verschaffen?
Humbel: Platz für ein Profil hat es genug, im politischen Bern ist das Spektrum links der Mitte sehr diversifiziert. Die Schwierigkeit ist eher die Erkennbarkeit, insbesondere für Personen, welche die Stadtpolitik nicht im engeren Sinne mitverfolgen. Bei uns ist wohl auf Anhieb weniger gut erkennbar, wofür wir stehen. Somit gehen wir zum Beispiel bei Erstwählenden manchmal vergessen, da diese sich eher an jenen Parteien orientieren, die sie von nationaler Ebene her kennen.
Miljanović: Würden sämtliche Parteien Berns von der SP bis zur GLP in einen Topf geworfen, käme dabei die GFL raus. Wir sind der Querschnitt. Wir streben deshalb stets einen Ausgleich an. Da wir in der Finanzpolitik eine restriktivere Haltung an den Tag legen als das GB oder die SP, ist das auch notwendig.
Ich deute Ihre Worte so, dass Sie RGM tendenziell eher den Rücken zukehren möchten.
Humbel: Nein, das kann man so nicht sagen.
Miljanović: Beide Optionen sind valabel. Wir, die GFL, besetzen als kleine Querschnittspartei Positionen, für die es immer Partnerinnen braucht. Wir werden unseren Weg finden – sei es innerhalb oder ausserhalb von Rot-Grün-Mitte.
Ich frage daher, weil die Gefahr droht, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen, wenn Alec von Graffenried in rund dreieinhalb Jahren abtritt.
Miljanović: Eine Personalplanung dauert jahrelang und beschäftigt uns nicht erst seit gestern. Dieser Situation sind wir uns bewusst.
Zieht Alec von Graffenried die vier Jahre als Polizeidirektor durch oder macht er vorher für jemand anderen Platz, damit ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufgebaut werden kann?
Miljanović: Inhaltlich gibt es zahlreiche Gründe, vier Jahre zu bleiben. Wir werden sehen.
Sie, Frau Miljanović, treten im April als GFL-Co-Präsidentin ab. Es war zu lesen, dass ein parteiinternes Modell ohne klare Führung diskutiert wird.
Miljanović: Matthias Humbel bleibt bis auf Weiteres im Amt, wir stehen als Partei also nicht plötzlich führungslos da. Beide Varianten sind möglich. Aktuell interessieren sich zwei absolut fähige Personen für das Co-Präsidium. Gleichzeitig wäre unser junger, kompetenter Vorstand genauso gut in der Lage, die bevorstehenden Aufgaben in einem neuen Modell zu managen.
Wäre ein alleiniges Präsidium mit Ihnen denkbar, Herr Humbel?
Humbel: Ich werde mich in meiner Funktion ebenfalls zurückziehen, nur der Zeitpunkt ist noch offen. Sehen Sie: Wir reden hier von einem Milizamt, für das viel private Zeit aufgewendet wird. Da ist es schwierig, sofort Lösungen beziehungsweise eine Nachfolge zu finden.
Die GFL braucht es aber in Bern?
(beide) Ja, selbstverständlich.

Fotos: Daniel Zaugg