Jährlich schliessen drei bis vier Lernende die vierjährige Grundbildung als Klavierbauer EFZ ab. Musikalität und Feinmotorik sind unabdingbare Voraussetzungen für den anspruchsvollen Beruf. Alexander Russius, Inhaber des Ateliers «piano e forte» in Bern, gewährt Einblicke in seine Arbeit.
Bei unserem Besuch im Atelier von Alexander Russius am Balmweg 24 ist der gelernte Klavierbauer gerade an einem Fender Rhodes beschäftigt. Es ist sein eigenes Instrument, dessen Gehäuse er mit neuem schwarzem Kunstleder überziehen will. Bis am Abend will er damit fertig sein. Ein Fender Rhodes ist ein elektromechanisches transportables Piano, das von Harold Rhodes entwickelt wurde. «Es kommt speziell bei Jazz, Funk und Soulmusik zum Einsatz», klärt uns Alexander Russius auf. Jazz und Funk sind auch die musikalischen Vorlieben des 56-Jährigen, der schon als Jugendlicher Gitarre spielte. So besucht er denn auch oft das Kultur- und Seminarlokal «5ème Etage» im Matte-Quartier. «Es ist ein Hotspot für Jazz. Jeden Dienstag gibts dort öffentliche Jazz-Jamsessions», erzählt er begeistert. Aber auch der klassischen Musik ist der vielseitige Musikhandwerker nicht abgeneigt, «aber bloss als Konsument», räumt er ein. So sei er auch hie und da im Casino Bern an Symphoniekonzerten anzutreffen.
Musik musste dabei sein
Alexander Russius brachte sich das Gitarrenspiel autodidaktisch bei, merkte aber bald, dass es für eine Profikarriere nicht reichte. Aber ebenso klar wusste er, dass er sich beruflich in einem musikalischen Umfeld bewegen wollte. So schaute er sich im Instrumentenbau um; Geigenbau war eine denkbare Option, erschien ihm aber zu «kompliziert», wie er lachend gesteht. Für den Gitarrenbau gabs keine anerkannte Grundbildung. So entschied er sich dann für ein Tasteninstrument und absolvierte die vierjährige Lehre als Klavierbauer in Bern. Im Rahmen seiner Ausbildung erlernte er das Klavierspiel, das er aber nur im Freundeskreis ausübt.
Das Stimmen von Klavieren und Flügeln gehört zu den Kerntätigkeiten. «Deshalb ist die Berufsbezeichnung ‹Klavierbauer› eigentlich nicht ganz zutreffend, wir bauen ja keine ganzen Instrumente, sondern stimmen und reparieren sie», sagt Alexander Russius. Quietschende Klavier-Pedale «beruhigt» der erfahrene Berufsmann beispielsweise meist beim Kunden. «Wenn es sich um mechanische Schäden handelt, baue ich die Teile – zum Beispiel die Tastatur – aus und nehme sie zu mir in die Werkstatt.» Muss er jedoch das ganze Instrument ins Atelier verschieben, arbeitet er mit einem
spezialisierten Transportunternehmen
zusammen.
Schwankende Auftragslage
Zu den Kunden von Alexander Russius gehören – vor allem aus der Region Bern – Profi- und Hobby-Musiker sowie Familien mit Kindern. Die gegenwärtige Auftragslage bezeichnet er als gut, er könne leben davon. Allerdings gestalte sich die Branche als sehr volatil. So sei der Einmarsch von Russland in die Ukraine im Februar 2022 sofort spürbar gewesen, ebenso die Katastrophe 9/11 im Jahr 2001 oder die Finanzkrise 2008. «Die Leute sparen dann sofort dort, wo es am wenigsten schmerzt», so seine Beobachtungen. Gut habe sich die Pandemiezeit ausgewirkt: «Die Menschen fanden zu sich selbst, waren mehr zu Hause, hatten Zeit und musizierten wieder selber!»
Wie hat sich der Beruf im Laufe der Jahre verändert? Die Antwort von Alexander Russius überrascht: «Der Beruf ist ein wenig langweiliger geworden. Ich spanne bei Privatkunden nur noch selten neue Saiten auf, was bei Streichinstrumenten permanent der Fall ist. Beim Klavier wird das höchstens nach fünf Jahren nötig.» Russius sieht den Grund des Rückgangs bei den Kosten. Der Ersatz von Hammerköpfen schlage beispielsweise bald einmal mit 3000 Franken zu Buche.
Grosses Interesse am Beruf
Alexander Russius bildet keine Lernenden aus. Als Einmannbetrieb sei er zu oft abwesend, um die für die Ausbildung benötigte Zeit garantieren zu können. Hingegen erhalte er jedes Jahr mehrere Anfragen zum Schnuppern. «Schnupper-Lernende sind bei mir immer willkommen!», lädt er die Jugendlichen ein. Was ihm aber Sorgen bereitet, ist der Vormarsch der Digital-Pianos. «Die grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler an Musikschulen will nur noch auf Digital-Pianos spielen. Diese sind der Tod für uns Klavierbauer!», so seine Prognose. Der Klang auf diesen Instrumenten wird rein elektronisch erzeugt, indem man die Klänge hochwertiger Klaviere und Flügel aufnimmt, umgangssprachlich «sampling» genannt. Es werden nicht Saiten angeschlagen wie beim akustischen Klavier, sondern elektronische Klänge abgespielt. Ein Digital-Piano muss nicht gestimmt werden, auch ist es günstiger im Ankauf.
Ein weniger düsteres Bild zur Zukunft des Klavierbauers zeichnet Yvonne Dubois, Geschäftsführerin des Schweizer Verbands der Klavierbauer und -stimmer (SVKS). Auf Anfrage teilt sie schriftlich mit, dass Klavierbauer:innen sehr gesucht seien und der Markt nach wie vor qualifizierte Berufsleute brauche. Im Durchschnitt würden jährlich drei bis vier Lernende ausgebildet und es gebe mittlerweile fast gleich viele Frauen wie Männer, die diesen Beruf wählten. Zum Vergleich: 1996, als Alexander Russius seine Lehre abschloss, gab es noch 10 bis 12 Lehrabgänger:innen. Gibt es einen Wunsch, den sich Alexander Russius in den verbleibenden Berufsjahren noch erfüllen möchte? «Mehr eine Vision», schmunzelt er. So schwebt ihm ein «Haus des Musikhandwerks» vor, ein Kompetenzzentrum, worin verschiedene Instrumentenbauer sich betätigen, austauschen und gegenseitig helfen könnten.