Etwa 40 Getreide- und 100 Futtermühlen gibt es in der Schweiz. Die Nachfrage nach Müllern ist gross, die Jobaussichten sind gut, die Branche gilt als krisensicher. Ein Augenschein in der Stadtmühle Schenk AG in Ostermundigen.
Der Lärm im Erdgeschoss des Mühle-Gebäudes ist ohrenbetäubend, ein Gespräch ist nicht möglich. Aber hier wird auch nicht gesprochen, sondern kontrolliert, geprüft und getestet. Aus Getreide Mehl herzustellen ist ein einfacher und zugleich ziemlich aufwendiger Prozess. Zuerst muss das Korn gereinigt werden. In der modernen Stadtmühle an der Güterstrasse im Industriequartier von Ostermundigen geschieht das mit Maschinen, die Spreu und andere Verunreinigungen wie Sandkörner, Halme, Bruchkörner und Unkrautsämereien vom Weizen trennen. Ein Magnet holt allfälliges Metall heraus.
Im Raum ist es hell und sauber. Hier stehen die Walzenstühle, die das Mahlgut zwischen rotierenden Walzen aufbrechen und mahlen. Über die ganze Länge des Raumes steht einer neben dem anderen. Die Walzenstühle gleichen grossen Kasten und sind über Produktzuführungsrohre mit der Decke verbunden.
«Wenn ein Getreidekorn in den Walzen gemahlen wird, sind nicht alle Partikel gleich gross: Es gibt helle Kernpartikel und Aussenpartikel mit Schale», erklärt später Roman Hersche, Bereichsleiter Produktion. «Die Schale wollen wir nicht gleichzeitig weiterverarbeiten wie den inneren hellen Kern, sonst gibt es eine Abfärbung, das Mehl wird dunkler.» Ziel sei es, einen möglichst hohen Anteil an hellem Mehl herzustellen, weil dies kundenseitig so gewünscht werde. «Durch Zugabe von Schalenteilchen können wir das Mehl immer wieder dunkler, mineralstoffreicher machen, aber wenn diese Teilchen mal drin sind, gibt es kein Zurück mehr», schildert Roman Hersche den komplexen Vorgang.
Vom Erdgeschoss wird das Getreide per Saugpneumatik-Transport in den vierten Stock geblasen. Von dort fällt es über verschiedene Siebe wieder ins Erdgeschoss. Dabei wird das Mehl abgesiebt und das Schrot ins nächste Mahlwerk geführt.
Fehlender Bekanntheitsgrad
Lukas Bruder, stellvertretender Obermüller, wusste schon früh, dass er dereinst einen Beruf, der mit Lebensmitteln zu tun hat, ergreifen würde. Er schnupperte vorerst im Beruf Lebensmitteltechnologe, was ihm aber «zu industriell» war, wie er zurückblickt. Danach schaute er sich den Müller-Beruf etwas genauer an, und zwar beide Fachrichtungen Lebensmittel und Tiernahrung. Es machte «klick» und er absolvierte die dreijährige Lehre in der Fachrichtung Tiernahrung. In der Stadtmühle Schenk hing er noch die einjährige Zusatzlehre in der Fachrichtung Lebensmittel an; das war 2016.
Auch die Mühle-Branche beklagt den Fachkräftemangel. Geschäftsführer Peter Grossenbacher stellt fest, dass es schwieriger geworden sei, Lernende zu finden. Die Stadtmühle Schenk bildet in der Regel pro Jahr mindestens einen Lernenden aus. «Weil wir selber ausbilden, können wir den Fachkräftemangel etwas abfedern», ergänzt Grossenbacher. In der deutschen Schweiz gibt es jährlich zwischen 12 und 15 Lehrabgänger, Fachrichtung Lebensmittel, und zwischen drei und fünf, Richtung Tiernahrung. In der Romandie sind es gerade mal höchstens drei Müller, welche in der Fachrichtung Lebensmittel ihre Ausbildung abschliessen.
Roman Hersche sieht den Fachkräftemangel im fehlenden Bekanntheitsgrad des Berufes. In der Gesellschaft verankert sei oft noch das Bild des Müllers aus Wilhelm Buschs Erzählung «Max und Moritz», wo der Müller die beiden Bösewichte nach ihrem letzten Streich ins Mahlwerk steckt. «Mit anderen Worten: verstaubt, veraltet», fasst Hersche zusammen. Dabei investiert die Stadtmühle einiges in die Berufswerbung, ist sie doch regelmässig an den Berufsmeisterschaften Swiss Skills präsent. Auch öffnet die Stadtmühle für die jährliche «Berufstour 3072» ihre Türen für die Ostermundiger Klassen des 8. Schuljahres. Roman Hersche engagiert sich zudem seit zwölf Jahren als Chefexperte beim Qualifikationsverfahren.
Frauenanteil steigend
Peter Gossenbacher sieht im Beruf des Müllers/der Müllerin neben dem technischen Prozess das Auge, die Erfahrung und das Wissen als essenzielle Bestandteile. «Es ist eine anspruchsvolle Kombination zwischen technischem Verständnis und Bezug zur Natur und zum Produkt.» Und Lukas Bruder ergänzt aus der täglichen Praxis: «Wenn man den Weizen annimmt, kommt die Sensorik dazu: anschauen, fühlen, riechen, degustieren. Ich schaue den Weizen an und sehe, ob er viel oder weniger Protein hat!»
Roman Hersche konstatiert eine steigende Tendenz bei den jungen Frauen, welche den Beruf abschliessen. 20 bis 40 Prozent absolvierten jährlich die Lehrabschlussprüfung, und zwar meist mit hervorragenden Ergebnissen. Die zunehmende Automatisierung in neueren Betrieben trage sicher auch dazu bei, dass der körperliche Einsatz etwas weniger streng geworden sei, so Hersche weiter.
Wie sehen die beruflichen Perspektiven aus, wenn es immer weniger Bäckereien gibt? Geschäftsführer Peter Grossenbacher relativiert: «Der Mehlbedarf ist seit Jahren konstant. Wir leben in der Schweiz in einem geschützten Markt mit den weltweit höchsten Getreidepreisen. Auch wenn der gewerbliche Teil kleiner wird – Brot wird immer gegessen!» Einerseits werde das Brot heute vermehrt in Industriebäckereien hergestellt und andererseits gebe es immer mehr grosse, filialisierte Bäckereien, welche man als halbindustrielle Betriebe bezeichnen könne. Grossenbacher sieht aber auch bei kleinen Bäckereien echte Chancen, wenn sie innovativ seien und sich auf veränderte Essgewohnheiten der Kundschaft einstellen. Fazit: Müller und Müllerinnen wird es immer brauchen!