Rund 8800 Kilometer Luftlinie trennen das bernische Wohlen und das chinesische Wuhan. Zwei Welten, zwei sehr verschiedene Kulturen und doch ein Herz und eine Seele: Christian Schütz und seine Ehefrau Hongwei Gu. Der Weg dahin war aber nicht nur lang, sondern erforderte auch viel Durchhaltewillen und gegenseitiges Verständnis. Seine Erfahrungen hat der ehemalige Lehrer nun in einem Buch festgehalten.
Fast wären wir daran vorbeigefahren – nur ein kleiner Weg führt hinauf zum idyllisch gelegenen Haus am Rande von Wohlen. Das Ehepaar Gu/Schütz empfängt uns in einer sehr schweizerisch anmutenden, gemütlichen Stube, aber mit feinem chinesischen Jasmintee. «Wenn ich etwas gelernt habe in den letzten Jahren, dann das, dass nicht die Kultur das Entscheidende ist, sondern das, was der einzelne Mensch aus seiner Kultur macht», fasst Christian Schütz seine Erfahrungen zusammen. Und diese waren nicht immer nur angenehm.
List und Täuschung
Nachdem er durch eigene gesundheitliche Probleme auf die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) aufmerksam geworden war, gründete er 2009 zusammen mit einem chinesischen Arzt eine eigene Firma, welche TCM anbietet. Doch die Zusammenarbeit mit seinem Geschäftspartner warschwierig. «List und Täuschung sind in China nicht negativ, sondern Instrumente der Zielerreichung. Nicht auszusprechen, was man denkt, ist Teil des strategischen Handelns», erklärt Schütz. «Das war effektiv sehr schwierig für mich. Vielleicht war ich auch einfach ein bisschen naiv und hatte mich diesbezüglich zu wenig schlau gemacht».
Deshalb war es für ihn eine wunderbare Fügung des Schicksals, als sich Hongwei Gu, die in Deutschland als Dozentin für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) arbeitete, bei ihm bewarb. Die immer ausführlicheren Gespräche mit ihr öffneten ihm die Augen für eine Kultur, in der nicht selten alles anders ist, als wir uns im Westen das gewohnt sind. «In China arbeitet der Angestellte. Der Chef ist da, um zu befehlen, nicht jedoch, um selbst zu arbeiten. So steht auch das erarbeitete Geld in erster Linie dem Chef zu und nicht denjenigen, die die Arbeit getan haben», umschreibt Schütz einen weiteren grossen Unterschied zum Arbeitsverständnis hier bei uns. «Der Einzelne fällt nicht eine eigenständige Entscheidung, sondern orientiert sich an der Gemeinschaft. Nicht der Wille des Individuums, sondern die Interessen der Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt. Dies ist die tiefe Kluft zwischen unseren westlichen und den östlichen Werten».
Viele, intensive Gespräche
Dank Hongwei Gu konnte Schütz immer besser nachvollziehen, warum sein Geschäftspartner oder seine Angestellten so oder anders reagierten. Gleichzeitig fügte sich Hongwei, insbesondere nach ihrer Hochzeit mit Christian, immer mehr auch in die westliche Kultur ein: «Ich wurde sehr viel direkter. Heute sage ich, was ich denke. Das kommt bei meiner Familie in China allerdings nicht immer gut an!» sagt sie lachend. Inzwischen sind die beiden überzeugt, dass sich die beiden Kulturen gegenseitig enorm bereichern können. Denn: «Für die Gesellschaft braucht es beide Seiten, die Kraft der Gemeinschaft und die individuellen Kräfte».
Der Weg zu einer erfüllenden Beziehung habe indes sehr viele Gespräche und noch mehr Verständnis, aber auch Verhandlungen in eigener Sache gefordert, beschreibt Christian Schütz den gemeinsamen Weg des Paares: «Wenn wir Menschen auf Augenhöhe begegnen, dürfen wir zu unserem Standpunkt stehen. Weder erheben noch unterwerfen wir uns. Durch Toleranz gehen wir dem Problem aus dem Weg». Und seine Frau ergänzt: «Das chinesische Wort für Konflikt besteht aus zwei Zeichen – das erste hat die Bedeutung GEFAHR, das zweite CHANCE. Ein Konflikt ist in der chinesischen Kultur also Gefahr und Chance zugleich». Sie beide sind der beste Beweis dafür, wie sehr es sich lohnt, sich einer Gefahr zu stellen und wie viel mehr Chancen als Gefahren die Kombination von zwei Kulturen beinhalten kann.