«Es braucht dringend frische Köpfe!»

Christian Kauter: «Die FDP hat ihre Themen im Wahlkampf zu wenig durchsetzen können.» Foto: Fabian Hofmann

Zehn Jahre lang war Christian Kauter Generalsekretär der FDP Schweiz. Im Interview sagt der 76-Jährige, was beim Berner Freisinn schiefläuft, wer jetzt das Zepter übernehmen soll und was ihn trotz allem zuversichtlich stimmt.

Christian Kauter, wie haben Sie die Wahlen am vorletzten Sonntag mitverfolgt?
Als politischer Mensch haben mich die Ereignisse enorm interessiert. Als sich, je länger der Tag dauerte, abzeichnete, dass meine FDP Einbussen wird in Kauf nehmen müssen, war ich ziemlich demoralisiert.

Der Tiefpunkt dieses Sonntags?
Durchaus, ja. Schliesslich erzielte die FDP bis vor rund einem Jahr in den Kantonen ziemlich gute Ergebnisse – doch dann stagnierten die Umfragewerte, sie begannen gar zu sinken. Klar, das CS-Debakel hat dem Freisinn extrem geschadet. Das war eine Art Genickschlag.

Wie haben Sie auf den Sitzverlust der Berner FDP im Nationalrat reagiert?
Ich war schockiert. Klar, die Ergebnisse waren schon in den Vorjahren schlecht. Aber jetzt diese 7,2 Prozent. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein! Andererseits habe ich den Wahlkampf der FDP kaum wahrgenommen: Er war eine maue Sache, man exponierte sich zu selten. Die Kandidierenden waren zwar sichtbar, die Partei selbst hingegen trat kaum in Erscheinung.

Ein knackiger, markiger Wahlkampf war noch nie die Stärke der FDP.
(Überlegt kurz) Sehen Sie: Es ist nicht immer einfach, liberale Positionen zu kommunizieren – gerade in Zeiten der Polarisierung, wo ein Schwarz-weiss-Denken vorherrscht und der Freisinn eher für Grautöne steht. Nichtsdestotrotz darf man durchaus auch mal eine pointierte Meinung vertreten und in den Angriff gehen. Man kann ein Thema setzen, anstatt es sich von anderen aufoktroyieren zu lassen.

Nach der Panne beim Errechnen der Parteienstärken ist nun zwar klar, dass die FDP weiterhin drittstärkste Kraft im Land ist. Trotzdem lässt sich objektiv feststellen: Die Partei hat versagt.
Sagen wir es so: Sie hat ihre Ziele klar verfehlt. Wir verfügen auf nationaler Ebene mit Thierry Burkart zwar über einen starken Präsidenten, der glaubwürdig auftritt, doch die FDP hat ihre Themen zu wenig durchsetzen können. Überdies wurden heisse Eisen wie Migration und Krankenkassenprämien zu spät aufgegriffen. Die SP zum Beispiel sagt: «Wir wollen eine soziale Schweiz!» Logisch, das wollen wir alle. Doch eine soziale Schweiz gibt es nur mit gesunden Finanzen. Nachhaltigkeit wiederum ist kein Thema, das bei der Umwelt aufhört. Sie gilt ebenso für die Finanzen oder den Sozialbereich. Bildlich gesprochen: Im Wald sollte nur so viel Holz gefällt werden, wie nachwachsen kann. Doch wieso war dann die AHV der FDP keine Zeile wert? Zudem ist es uns nie gelungen, das wichtige Thema Eigenverantwortung – heutzutage rennen alle beim kleinsten Problem zum Staat, der helfen soll – zu den Leuten zu bringen.

Auch auf städtischer Ebene gerieten die nationalen Wahlen für die FDP zum Desaster. Der Wähleranteil sank auf bereits sehr tiefem Niveau nochmals um über ein Prozent.
Es ist existenzbedrohend, was dort abläuft. Analysiere ich die Zahlen, komme ich zum Schluss, dass die kantonale Listenverbindung mit der SVP mehr liberale Geister vergrault als angelockt hat. Diese Taktik muss definitiv überdacht werden.

Mit wem also sollte die FDP Ihrer Meinung nach eine Listenverbindung eingehen?
Bis vor kurzem hätte ich gesagt: mit der BDP. Doch sie fusionierte ja zur Mitte. Bei der GLP ist der Zug wohl nach links abgefahren. Die FDP ist eine bürgerlich-liberale Partei – es gibt genug Profilierungspunkte, die allerdings massiv besser herauskristallisiert werden müssten.

Es lief im Vorfeld einiges schief bei der FDP, nicht nur wegen eines Newsletters, in dem der Co-Fraktionschef andere Parteien zur Wahl empfahl.
Eine so kleine Fraktion wie jene in der Stadt Bern sollte geschlossen auftreten können. Rumort es dort, wird die Partei nicht mehr ernstgenommen.

Die städtische FDP fuhr lange einen rechtsbürgerlichen Kurs, seit zwei Jahren wird der linksliberale Weg propagiert. Beides scheint kaum zu fruchten.
Es geht darum, wieder klare, eigenständige Positionen zu vertreten – losgelöst vom Links-rechts-Schema – um zum Beispiel aufzuzeigen, was die Folgen der Schuldenmisere sind; nämlich eine Steuererhöhung.

Hat die Berner FDP ein Image-, ja ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Ich würde zunächst einmal auf kantonaler Ebene ansetzen. Da benötigt es eine strukturelle Erneuerung. Wer eine solche Schlappe einfährt, kann nicht einfach so weitermachen. Bei der Parteispitze wirken verdienstvolle Leute, die ich auch persönlich kenne; doch es braucht dringend frische Köpfe. Ich sage das jetzt zum ersten Mal: Sandra Hess muss neue kantonale FDP-Präsidentin werden.

Wieso gerade sie?
Sie ist eine Frau, die einen tollen Wahlkampf geführt hat und Stimmen weit über die FDP hinaus geholt hat. Sandra Hess ist glaubwürdig, kompetent, hat Führungserfahrung und verkörpert die freisinnige DNA perfekt. Ich meine: Bei Christa Markwalder wurde vermutet, dass sie 2023 vielleicht nicht wieder antritt. Dann muss sie aber spätestens ein Jahr vor den Wahlen abtreten. Sandra Hess wäre nachgerückt – und hätte nun eine ganz andere Ausgangslage gehabt. Hier hätte Druck aufgesetzt werden müssen, das wäre eindeutig eine Führungsaufgabe der Parteiführung gewesen.

Mit welchen Themen sollte die Stadtberner FDP auf sich aufmerksam machen? In rund einem Jahr sind schliesslich Wahlen – und es droht das erneute Debakel.
Keine einfache Frage. Das Gewerbe darf nicht vergessen gehen, damit es seine Aufgaben und Funktionen wahrnehmen kann. Die Rahmenbedingungen für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Bern gilt es zu verbessern. Dazu sind die Finanzen ein riesiges Problem, das schleckt keine Geiss weg. Wieso sagen wir nicht provokativ: Wir führen eine Ausgabenbremse ein! Die Bevölkerung muss wissen, dass, wenn es so weitergeht, wir bald mal unter Zwangsverwaltung des Kantons gestellt werden. Hinzu kommen immer mehr Vorschriften. Die Parkplatzthematik finde ich weniger dringend.

Sie würden also das Parteiprogramm der FDP rundum erneuern?
Ich finde, wir sollten davon wegkommen, das Machbare machen zu wollen, und uns viel stärker auf das Sinnvolle konzentrieren.

Was stimmt Sie hinsichtlich Ihrer Partei optimistisch?
Meine Roadmap würde so aussehen: Kandidierende frühzeitig aufstellen. Da hat es gerade im Jungfreisinn hervorragende Leute, sie sind quasi die Leuchttürme. Zweitens: Aktuell hat die liberale Position nicht eben Hochkonjunktur, dafür geht es uns zu gut. Für die Zukunft erwarte ich allerdings eher eine konjunkturelle Abschwächung. Hoffentlich tritt hier eine Partei wie die FDP auf den Plan, die den Menschen die Bedeutung der Eigenverantwortung erklärt. Wenn zudem die personelle Erneuerung, auf städtischer wie auf kantonaler Ebene, gelingt, und wir bereit sind, vermehrt auf die Strasse, zu den Menschen zu gehen – dann bin ich zuversichtlich.

PERSÖNLICH

Christian Kauter, geboren am 6. Mai 1947 in Bern, war zehn Jahre lang Generalsekretär der FDP Schweiz (1988 –1997). Zudem gewann er als Degenfechter mehrere Olympia- und Weltmeisterschaftsmedaillen und war in verschiedenen diplomatischen Funktionen tätig. Kauter ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

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