Gesamtschweizerisch gerade mal eine Lehrabgängerin in diesem Jahr und eine Lernende, die ihre Lehre im August antreten wird. Stirbt der Beruf des Glasmalers aus? Der Berner Daniel Stettler ist mit Leib und Seele Kunstglaser, Glasmaler und Berufsschullehrer.
Wir besuchen Daniel Stettler an einem Samstagvormittag. Sein Atelier befindet sich im Gewerbepark Felsenau, wo bis Mitte der 1970er-Jahre die Räder der Spinnerei Felsenau ratterten. Das Eingangstor zum grossen Areal ist geschlossen, kaum jemand der im Gewerbepark untergebrachten Betriebe ist an der Arbeit. Nach einem kurzen Anruf öffnet Daniel Stettler das Tor. Wir betreten ein grosses, lichtdurchflutetes Atelier.
Zurzeit befindet sich sein Arbeitsplatz mehrheitlich auf Baustellen in Zürich und Genf. «In der Kirche Sankt Peter in Zürich wurde in den Kittfugen Asbest gefunden. Nun bauen wir alle Fenster aus, entfernen den Kitt und bauen sie wieder ein», schildert Daniel Stettler. In Genf wird das historische Uhrenglas des Glockenturms einer Schule saniert und rekonstruiert. Aber auch die Berner Münster-Stiftung benötigt und schätzt die Arbeit des Glaskünstlers Daniel Stettler. «Dort bin ich ‹häppchenweise› tätig, momentan wird das Hochschiff restauriert», ergänzt er.
Ein künstlerischer Beruf
Weil Daniel Stettler schon als Jugendlicher gerne und viel zeichnete, besuchte er an der Kunstgewerbeschule Bern (heute Schule für Gestaltung) den Vorkurs. «Alle strebten den Beruf des Grafikers an», erinnert er sich, «aber es hatte nicht für alle Interessenten genügend Lehrstellen.» Auch der Beruf des Glasmalers wurde am Vorkurs präsentiert. Für ihn stand fest: Ein künstlerischer Beruf musste es sein. Stettler war knapp 16-jährig und benötigte eine Lehrstelle, die er bei Reich + Co. (heute kunstreich) an der Gerechtigkeitsgasse fand.
Der Beruf des Glasmalers und Kunstglasers beschränke sich in der Praxis nicht nur auf das Zeichnen und Gestalten, sagt der erfahrene Berufsmann. Es käme eine Vielzahl von handwerklichen Nebentätigkeiten hinzu. «Einerseits stelle ich Schutzverglasungen her, andererseits arbeite ich an farbigem, historischem Glas oder bin auf den Baustellen mit Stechbeutel und Hammer tätig», illustriert er die Aktivitäten seines vielseitigen Berufs. Als Selbstständigerwerbender kann Daniel Stettler jedoch viel Einfluss auf die Gestaltung eines neuen Werkes nehmen und nennt gleich ein Beispiel: «In Genf wird in den neuen Räumlichkeiten einer Bank im Sinne von ‹Kunst am Bau› zeitgenössische Glasgestaltung gewünscht. Da kann ich mich voll einbringen.» Während zur Zeit seiner Lehre in den 1980er-Jahren fast ausschliesslich Wappenscheiben produziert wurden, sei dieser Geschäftszweig stark zurückgegangen. «Heute stelle ich in meinem Atelier jährlich noch etwa 200 Stück her. Meist sind es Serienanfertigungen, zum Beispiel für Schützenfeste. Während meiner Lehrzeit waren es etwa zehn Scheiben pro Tag», so Daniel Stettler.
Mangelware Lehrstellen
Neben seiner Funktion als Berufsschullehrer ist Daniel Stettler Mitglied des Schweizerischen Fachverbandes für Glasmalerei und der Kommission für Berufsentwicklung und Qualität. Er verheimlicht nicht, dass es in der Schweiz zu wenig geeignete Lehrstellen für lernende Glasmaler gibt. In diesem Sommer hat gerade mal eine einzige Glasmalerin ihre Grundbildung abgeschlossen und im August wird auch wieder bloss eine Lernende ihre Lehrzeit beginnen. Worauf führt er den Mangel an Lehrstellen zurück? «Die wenigen Glasmalateliers, die es in der Schweiz gibt, sind meist Einzelbetriebe. Diese Kleinststrukturen verhindern die Ausbildung Lernender oder die Beschäftigung von Angestellten.» Einzig in Zürich existierten Ateliers mit mehreren Angestellten, was die Ausbildung von Lernenden einfacher mache. Daniel Stettler sähe vom Gesamtarbeitsvolumen her etwa drei Lehrstellen jährlich. Die Nachfrage nach diesem schönen und vielseitigen Beruf wäre durchaus vorhanden. «In den Zürcher Ateliers melden sich auf die Lehrstellen-Ausschreibungen jeweils 20 bis 30 Interessenten. Das wird dazu führen, dass sich diese Betriebe noch vergrössern werden», so Stettler weiter.
Daniel Stettler ist sich bewusst, dass es so nicht weitergehen kann: «Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI verlangt zu Recht ein regelmässiges Angebot an Lehrbetrieben. Sonst könnte die Aufhebung der eidgenössischen Anerkennung des Berufs drohen und das will niemand!» Im Fachverband versuche man zurzeit, einen Lehrstellenverbund zu schaffen, um jedes Jahr regelmässig mindestens eine Lernende ausbilden zu können. In diesem Verbund würden sich mehrere Ateliers zusammenschliessen, voraussichtlich zentral im Raum Zürich, prognostiziert Daniel Stettler.