Rund 250 000 Personen reiten regelmässig. So wunderts nicht, dass viele das Hobby zum Beruf machen. Jährlich schliessen rund 100 bis 110 Pferdefachpersonen die dreijährige Lehre ab. Ein Augenschein im Nationalen Pferdezentrum Bern (NPZ).
Betritt der Besucher das grosse Areal des Nationalen Pferdezentrums an der Mingerstrasse, befindet er sich in einer anderen Welt. Die Hauptakteur:innen haben nicht zwei, sondern vier Beine. Es ist der Arbeits- und Wohnort von durchschnittlich 140 Pferden.
Bettina Lehmann, lernende Pferdefachfrau EFZ im 3. Lehrjahr, führt gerade die fünfjährige Stute Klea aus ihrem Stall. Sie nennt sie liebevoll «Müüsli», weil sie so lernwillig, diszipliniert, aber auch schmeichlerisch sei. Bettina reitet schon seit dem frühen Primarschulalter und hat die Faszination zu Pferden nie verloren. Trotzdem absolvierte sie zuerst die dreijährige Lehre als Köchin. «Aber schon im Verlauf der Kochlehre liess mich der Gedanke an eine Tätigkeit mit Pferden nie los», erinnert sie sich. So schnupperte sie im Nationalen Pferdezentrum in Bern und begann gleich nach der Kochlehre die dreijährige Grundbildung zur Pferdefachfrau EFZ mit Schwerpunkt «Klassisches Reiten».
Mehrere Lieblingspferde
Als bevorzugte Beschäftigung nennt Bettina klar das Reiten der vielen Pferde. Pro Tag sind es bis zu sechs Pferde. So hat sie denn auch nicht bloss ein Lieblingspferd, sondern gleich mehrere. «Je öfter ich ein Pferde reite, desto lieber gewinne ich es», lacht sie. Besonders mag sie die Arbeit mit jungen Tieren, weil diese sehr lernfähig seien und man ihre rasche Entwicklung mitverfolgen könne. An der BEA 2024 durfte sie im grossen Vorführzelt unter anderem die Quadrille reiten.
In wenigen Wochen wird Bettina Lehmann ihre Lehre beenden. Berufliche Pläne hat sie noch keine. «In erster Linie will ich das Qualifikationsverfahren erfolgreich bestehen, danach verbringe ich den Sommer auf einer Alp und beschäftige mich wieder mit Tieren», verrät sie ihre unmittelbar bevorstehenden Aktivitäten. Danach könnte sie sich auch eine Kombination ihrer zwei erlernten Berufe durchaus vorstellen.
Mehrheitlich Frauen
Auch Manuela Hofer, Pferdefachfrau und Berufsbildnerin im NPZ, wurden Pferde buchstäblich in die Wiege gelegt, wuchs sie doch auf einem Bauernhof inmitten dieser edlen Tiere auf. So war für sie bald klar, dass sie Bereiterin – wie der Beruf damals noch hiess – werden wollte. Der Berufswunsch stiess bei ihren Eltern vorerst nicht auf allzugrosse Begeisterung. Aber sie setzte sich durch, schnupperte beim NPZ und erhielt die Lehrstelle. «Meine Eltern zeigten sich versöhnlich», schmunzelt sie heute. Sie liess sich zusätzlich zur Berufsbildnerin ausbilden und ist heute für die Grundbildung der lernenden Pferdefachpersonen im NPZ zuständig; zurzeit sind es sieben Lernende. Tendenziell sind es mehrheitlich junge Frauen, die sich für diesen Beruf entscheiden. Worauf führt Manuela Hofer diesen Trend zurück? «Ganz genau weiss ich es auch nicht, aber ich denke, dass Mädchen eher einen emotionalen Zugang zu Tieren finden, für ‹Giele› steht in diesem Alter der Fussball im Vordergrund.» Während der dreijährigen Lehrzeit sieht sie jedoch kaum Unterschiede im Verhalten von männlichen und weiblichen Lernenden. «Auch die Pferde sind es sich gewöhnt, immer von anderen Reiter:innen betreut zu werden. Im NPZ haben wir vor allem die Militärpferde», erzählt die erfahrene Berufsbildnerin.
Im Rahmen eines Leistungsauftrages erbringt das NPZ Dienstleistungen für das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Das NPZ selektioniert und kauft jedes Jahr Reitpferde für die Schweizer Armee und bildet sie für den Einsatz als Militärpferd aus: Dressur, Springen, Geländetraining und Fahren. Im NPZ werden den Lernenden wahlweise die beiden Schwerpunkte «Betreuung und Dienstleistung» oder «Klassisches Reiten» vermittelt. «Die anderen Schwerpunkte können wir aufgrund unserer Tätigkeiten nicht anbieten. Wir haben hier einen klassischen Reitbetrieb», begründet Manuela Hofer die Auswahl.
Grundausbildung verlangt
Ohne Schnuppern geht nichts: Wer im NPZ die Lehre absolvieren will, muss vor dem Schnupperkurs eine sogenannte «Grundausbildung Pferd»mit Attest oder Diplom des Schweizerischen Verbands für Pferdesport –heute Swiss Equestrian – absolviert haben. Manuela Hofer erläutert dieses Erfordernis an einem praktischen Beispiel: «Zu den ersten Tätigkeiten bei Lehrbeginn gehört unter anderem auch die Vorbereitung des Pferdes zum Training. Da ist es ein Vorteil, wenn der/die Lernende bereits erste Erfahrungen im Umgang mit Pferden sammeln konnte.» Wer diese Grundausbildung von Swiss Equestrian nicht vorweisen kann, muss nicht auf einen Pferdeberuf verzichten. «Dann schnuppert er/sie bei uns für die zweijährige Lehre als Pferdewart:in mit eidgenössischem Berufsattest (EBA)», beruhigt Manuela Hofer.
Beim Schnuppern merken einige Interessent:innen, dass der Beruf «happiger» ist als vermutet. Dazu Manuela Hofer: «Oft denken Jugendliche vor allem ans Reiten des Pferdes. Dazu gehören aber auch Füttern, Misten, Striegeln, Boxen reinigen.» Die Lernenden müssen sich zu Beginn der Lehre für einen Schwerpunkt entscheiden. Nach erfolgreichem Lehrabschluss besteht jedoch die Möglichkeit, in einer Zusatzausbildung einen weiteren Schwerpunkt zu wählen.
Leidenschaft und Idealismus
«Für den Beruf ist die Leidenschaft unabdingbar», sagt Manuela Hofer bestimmt. «Wir haben es mit Lebewesen zu tun, mit ihren Gefühlen und Launen.» Dieser Aussage kann vorbehaltlos zugestimmt werden. Zum Beruf gehört aber auch Idealismus, denn die Verdienstmöglichkeiten sind im Vergleich zu anderen EFZ-Berufen eher bescheiden. So beträgt der vom Berufsverband SWISS Horse Professionals empfohlene Mindestlohn für Lehrabgänger:innen 3974 Franken (Stand 2023). Manuela Hofer bestätigt denn auch, dass einige ehemalige Lernende den Beruf gewechselt hätten.