Der Beruf von Goldschmiedin Claudia Neuburger hat buchstäblich goldenen Boden. Mit «Punctum Aureum» betreibt sie an der Münstergasse in Bern seit 30 Jahren ihr eigenes Atelier.
Claudia Neuburger streckt uns zur Begrüssung ihre linke Hand hin, die rechte hat sie gebrochen und im Gips. Nicht gerade eine optimale Voraussetzung für einen handwerklichen Beruf, der viel feinmotorisches Geschick verlangt. Die Geschäftsinhaberin nimmts gelassen: «Die Verletzung ist vergänglich!» Im hinteren Teil des hellen und heimeligen Ladens, welcher Altstadtmauern in den Raum integriert, sind die beiden Goldschmiedinnen Kim Herrmann und Alina Reifler am Werkbrett beschäftigt; die Arbeit ruht also nicht.
Seit dem Mittelalter
Der Beruf des Goldschmiedes als solcher ist seit der Antike bekannt. Seine Bezeichnung erhielt er jedoch erst im Mittelalter, da diese Aufgabe umfangreiche Kenntnisse in der Arbeit mit Gold und Legierungen erforderte. Alchemisten behaupteten, unterschiedliche Materialien in Gold verwandeln zu können. Aus diesem Grund waren Fälschungen allgegenwärtig. Man sann nach einer Lösung, um das ehrliche Handwerk der Goldschmiede zu schützen, die ab 1200 n. Chr. in Pisa, Siena und Florenz arbeiteten. Ihre Werkstätten wurden sodann mit Fenstern zur Strasse hin ausgestattet. So konnten Passanten tagtäglich sehen, wie die Goldschmiede arbeiteten.
Kein Geheimnis daraus, wie die Goldschmiedinnen bei Punctum Aureum arbeiten, macht auch Claudia Neuburger. Die Kundinnen und Kunden ihres Ladens an der Münstergasse 30 können ihren Mitarbeiterinnen zuschauen, wie die in Auftrag gegebenen Schmuckstücke entstehen. «Etwa 80 Prozent unserer Arbeiten sind Kundenaufträge. Wir arbeiten nur wenig ans Lager», weiss Claudia Neuburger zu berichten. «Wir machen grundsätzlich alles, was uns gefällt», erzählt die Goldschmiedemeisterin. Zurzeit herrsche allgemein der Trend nach filigranem Schmuck, der im Internet bestellt werden könne und oft nach einmaligem Tragen entsorgt werde. «Aber wir stehen für Nachhaltigkeit. Wir fertigen Schmuck, der Alltagstauglichkeit hat. Schmuck, der zum ständigen Begleiter wird und den man sieht», sagt sie dezidiert.
Der goldene Punkt strahlt wie die Sonne
Claudia Neuburger wusste bereits während der Schulzeit, dass sie einen handwerklichen Beruf ergreifen würde. «Ich stellte schon damals für meine Klassenkameradinnen aus Silberdraht Schmuck her», schildert die heute 60-Jährige. «Ich schnupperte dann auch in einem Zahntechnik-Labor, aber die Arbeit enthielt für mich zu wenig gestalterische Elemente.» Auch vor Beginn ihrer vierjährigen Lehre zur Goldschmiedin war für die selbstbewusste junge Frau klar, dass sie dereinst ein eigenes Atelier betreiben werde. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte sie an der Schule für Gestaltung einen gestalterischen Vorkurs, danach Kurse in kaufmännischen Fächern. Sie war also gut vorbereitet, im Alter von 29 Jahren 1993 an der Postgasse das «Punctum Aureum» zu eröffnen. Bereut habe sie diesen Schritt nie, wie sie heute sagt. «Vieles habe ich im Laufe der Jahre mit ‚learning by doing’ erfahren.» Der lateinische Firmenname Punctum Aureum («goldener Punkt») charakterisiert für Claudia Neuburger einen goldenen Fixpunkt, der wie die Sonne über diesen Punkt hinausstrahlt. «Das Symbol des Goldes ist ja ein Kreis auf der Elemententabelle. Die gute Energie dieses Punktes hat mich fasziniert», begeistert sich Claudia Neuburger. Der lateinische Ausdruck sei eleganter und runder – eben wie ein Kreis.
Kreativität nicht an erster Stelle
Claudia Neuburger überrascht mit der pointierten Aussage, der Goldschmiede-Beruf sei nicht in erster Linie kreativ, sondern vielmehr technisches Handwerk. «Man kann das Gold nicht einfach anschauen und ihm mit einem Augenzwinkern die Form geben, die man sich vorstellt!», begründet die erfahrene Berufsfrau ihre Aussage. Es brauche handwerkliche Fähigkeiten und Techniken, die man sich im Verlauf der Lehrzeit aneignen müsse. «Und ganz wichtig: Es braucht ein grosses Frustpotenzial! Bei den zu lernenden Techniken gelingt nicht alles auf Anhieb», sagt die langjährige Prüfungsexpertin bei den Lehrabschlussprüfungen (heute: Qualifikationsverfahren). Im ersten Lehrjahr arbeite man noch viel mit Messing und nicht gleich mit Edelmetallen. «Man darf sich von Misserfolgen nicht entmutigen lassen. Aber das Schöne: Am Ende eines Arbeitstages sieht man dreidimensional, was man gemacht hat.» Sie vergleicht den Beruf mit Hochleistungssport: «Wenn wir nicht dauernd mit der Feinmotorik im Training bleiben, sind wir nicht fit genug für den Beruf.»
Geschichte von Generationen
Neue Technologien haben im Wandel der Zeit auch vor dem alten Handwerk nicht Halt gemacht: CAD (Computer Aided Design), Laser-Schweissen für knifflige Reparaturen oder 3D-Drucker, welcher die Produkte ausdruckt. Dazu Claudia Neuburger: «Fluch oder Segen – man muss als Goldschmiedin selber herausfinden, welche Technologie man für sich nutzen will. Ich bin eher Befürworterin für das ‚menschgemachte’ Handwerk.» Mit seinen Erzeugnissen transportiert das Team von Punctum Aureum Emotionen. «Ein Schmuckstück ist die edelste Form, Geschichten zu erzählen», erklärt Claudia Neuburger. «Wenn wir das Schmuckstück umarbeiten und für den Alltag tauglich machen, wird die Geschichte eines Schmucks neu geschrieben und dadurch ein geschätzter Lebensbegleiter.»
Welche Vorlieben hat die Geschäftsinhaberin selber? Sie schmunzelt, zeigt auf ihre Hand: «Ich trage gerne Ringe, eher grössere, die kann ich selber gut anschauen.» Dabei bevorzugt sie den aus Brasilien stammenden Edelstein Turmalin, der in verschiedensten Farben existiert. «Jeder Stein versprüht seinen eigenen Charakter», schwärmt sie. Befragt nach ausgefallenen Wünschen der Kundschaft, überlegt Claudia Neuburger nicht lange: «Eine Kundin wollte aus einer Kokosnuss-Schale eine Handtasche fertigen lassen. Wir besetzten die Schale mit Silberbeschlägen, Rahmen und Verschluss und übergaben der Kundin das Gewünschte!» Geht nicht, gibts nicht im Atelier an der Münstergasse.