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Manchmal kommen sie sogar von weit her zu ihm

Schirmdoktor Erich Baumann flickt seit über 20 Jahren ramponierte Schirme. Mit seiner Handwerkskunst macht er viele Menschen glücklich und konnte auch schon bei einer Ehekrise helfen.

Hunderte von Schirmen stapeln sich in den Regalen, unzählige kleine und grosse Schubladen mit Ersatzteilen prägen das Bild des Ateliers in Münchringen. Auf der Werkbank liegen schön aufgereiht die Werkzeuge parat. Erich Baumann flickt hier pro Jahr rund 1000 Regenschirme, Sonnenschirme und auch Blitzschirme für Fotografen. Mit seinem schweizweit einzigartigen Reparaturservice ist der Schirmdoktor sogar im Ausland gefragt. «Kürzlich waren Reporter der ‹Frankfurter Allgemeinen Zeitung› da.» Hauptberuflich ist Baumann Busfahrer bei Bernmobil. Wie wurde er zum bekannten Schirmdoktor? «Da muss ich etwas ausholen. Viele ältere Berner kennen sicher noch den Schirm-Verkaufsstand der Gebrüder Tozzini am Käfigturm. Sie waren als Schirmherren von Bern bekannt, ihr Schirmhäuschen prägte über 70 Jahre lang das Berner Stadtbild. In den Achtzigerjahren mussten sie den Stand und ihre Manufaktur aufgeben. François Loeb vom gleichnamigen Warenhaus fand, dass dieses Handwerk nicht aussterben dürfe und vermittelte den Schirmservice an die Bandgenossenschaft, die schon damals Menschen mit Beeinträchtigung unterstützte. Nach einigen Jahren übernahm die GEWA in Zollikofen diese Dienstleistung. Ich arbeitete dort in der Werkstatt als Arbeitsagoge und reparierte auch immer wieder Schirme. Das Handwerk gefiel mir so gut, dass ich die Chance ergriff, als mir die GEWA vor rund 16 Jahren anbot, das Business als Selbstständiger zu übernehmen.»

Schirmgeschichten aus Baumanns Atelier
«Wenn es richtig schifft und chuttet, nehme ich einen Schirm mit zehn Stangen, normal sind acht. Mit zehn Stangen ist der Stoff satt gespannt. So erzeugen die Regentropfen einen schönen vollen Ton – für mich ist das wie Musik.» Schirmliebhaber Baumann weiss, dass Schirme auch im Leben anderer Menschen eine wichtige Rolle spielen können. «Einmal schickte mir eine ältere Frau ein ramponiertes Exemplar. Unter diesem Schirm habe sie von ihrem in der Zwischenzeit verstorbenen Ehemann das erste Müntschi bekommen. Und erst kürzlich rief mich ein Mann echt verzweifelt an. Er habe den defekten Lieblingsschirm seiner Frau zerbrochen und entsorgen wollen. Sie mache ihm jetzt die Hölle heiss und wolle den Schirm in einwandfreiem Zustand zurück. Ich konnte in beruhigen und reparierte das wertvolle Stück originalgetreu.» Auch wegen solcher Geschichten findet es Baumann schade, dass der Schirm heute oft als Wegwerfartikel behandelt wird. Er sieht jedoch im Trend zur Nachhaltigkeit eine Chance. «Seit einiger Zeit kommen sogar Familien zu mir ins Atelier. Sie wollen ihrem Nachwuchs zeigen, dass ein defekter Schirm nicht gleich auf dem Müll landen muss. Alle, die ihren Schirm bei mir flicken lassen wollen, können ihn gerne auch an den Annahmestellen im Loeb, im Ryfflihof und in der Berner Brocki abgeben oder mir direkt per Post schicken.»

Jürg Morf

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