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Musikerin Jamie Wong-Li: Die Eine, die nicht immer lacht

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Getriebene, Entwurzelte, Getrennte. Jamie Wong-Li spricht viel – doch jeder ihrer Sätze ist wohlüberlegt. Einblick ins Seelenleben der nachdenklichen Berner Musikerin.

Jamie, seit Ihrem letzten Album sind zwölf Jahre vergangen. Andere bringen alle zwei bis drei Jahre eine Platte raus.
Mit der Musik verhält es sich wie mit der Liebe: Sie kommt in dein Leben, wenn die Zeit reif ist.

Sie haben die Musik also kaum vermisst.
Doch, sehr. Wie man auch die Liebe vermisst. Aber nichts von alledem lässt sich erzwingen. Abgesehen da-von war das Produkt schon 2013 fertig, in dem Sinne sind es also nicht zwölf, sondern nur fünf Jahre. Aber genau dann kam das Kind – das Kind und das Album stammen übrigens beide vom Produzenten (lacht).

Ihr neues Album heisst «Morphine». Was hat es mit den Drogen auf sich?
In diesem Kontext ist es die Musik, die den Schmerz des Lebens erträglicher macht. Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten, man kann das alles fast gar nicht mehr ertragen. Es geht um Liebeskummer, aber nicht nur.

Bloss: Absichten, um mit diesem Sound in der Hitparade zu landen, haben Sie jedenfalls nicht?
Hatte ich nie. Vielleicht gewünscht. Doch mit Absicht Musik zu machen ist ja der Killer! Liebe machen mit Absicht…oh nein. Ich mache das, was von Herzen kommt.

Na ja, kaum jemand unterstellt Lo & Leduc, absichtlich kommerziell zu produzieren, nur weil sie einen Chart-erfolg an den nächsten reihen.
Nein, aber so ist ihre Musik.

Wenn einer Ihrer Tracks im Radio läuft, haben Sie aber sicher wenig dagegen?
Nein, ich habe nichts gegen Erfolg (lacht). Man kann ihn aber nicht er-zwingen. Meine Musik soll die Menschen berühren und sie zum Tanzen bringen. Etwas, das ich übrigens noch immer gerne mache: in Clubs tanzen gehen. Wenn dich der Beat packt und es groovt, dann ist es egal, um welche Art von Musik es sich handelt.

Die Trennung von ihrem Partner ist etwas mehr als ein halbes Jahr her. Vermissen Sie die Zweisamkeit?
Nein, aber ich vermisse die Familie respektive die Vorstellung davon. Weil ich das als Kind selbst nicht hatte und aus sehr komplizierten, zerbrochenen Familienverhältnissen stamme. Ich sagte mir immer: Wenn ich eine Familie gründe, wird das toll und idyllisch. Das hält bis ans Ende deines Lebens, bitte keine Traumata im Nachwuchs… dass es meinem Sohn jetzt im gleichen Alter passiert wie mir damals…Zufall? Schicksal? Trotzdem habe ich wahnsinnig viel daraus gelernt.

Sie sprechen Ihre Kindheit an: Sie kamen mit 6 aus Hongkong in die Schweiz. Dazu die familiären Probleme …
Meine Eltern, beide aus Hongkong, trennten sich, und später heiratete meine Mutter einen Schweizer. Die Wurzeln meiner Schmerzen stammen aus jener Zeit: der Verlust der Familie, der Bruch mit der Kultur, Entwurzelung von der Heimat. Wir waren elf Leute in einer kleinen Vierzimmerwohnung, so wuchs ich auf.

Sie würden sich aber dennoch die Note glücklich und zufrieden geben?
(Überlegt) Ja, doch…

Da war ein leichtes Zögern.
Ich bin eigentlich nie zufrieden und glücklich. Wobei, nein, das kann man so nicht sagen: Streichen Sie das raus! Ich denke, ich bin ein Mensch mit sehr vielen Sehnsüchten. Um diese zu erreichen, ist ständig etwas in mir, das getrieben ist. Das hat aber nichts mit dem Bruch mit dem Part-ner oder mit meinem Job zu tun.

Bräuchten Sie einen neuen Freund, um statt recht – sehr zufrieden zu sein?
Nein. Um sehr zufrieden zu sein im Leben, braucht es nichts von aussen, obschon es natürlich auch helfen kann. Zufriedenheit kommt von in-nen, du selbst machst dir den Stress. Der Partner ist dann das Tüpfelchen auf dem i, mit dem du diesen glück-lichen Zustand teilen kannst. Man darf nie jemand anderem Schuld geben für sein eigenes Befinden.

Dieses Getriebene, Melancholische – das findet sich auch in Ihrer Musik wieder.
Ich bin so, es geht nicht anders. Diesmal ist die Musik besonders melancholisch, das hat aber nichts mit mir zu tun. Der Produzent, mein Ex, ist Ungare und ich kenne kein melancholischeres Volk als die Ungaren. Der Osten allgemein. Grossreiche, die zerfallen sind. Scheint in deren Genen zu liegen (lacht). Gleichzeitig mag ich diese Schwere sehr gerne. Das Melancholische ist in mir. Jeder hat vielleicht seine Schäden, aber anstatt zu randalieren wie andere, lebe ich diese Seite halt in der Musik aus.

War es für Sie je ein Thema, wieder nach Hongkong zu gehen?
Kurz bevor das Album entstand, ja. Ich hatte keine Kinder, die Reise nach Asien war bereits gebucht, ich schwanger, was ich aber damals noch nicht wusste. Ich überlegte mir, in Hongkong viel-leicht Deutsch zu unterrichten.

Jetzt, da der Sohn auf der Welt ist, könnten Sie das Projekt ja noch einmal anreissen.
Nein, ich liebe Bern, ich will hierbleiben, das ist mein Zuhause.

Es heisst, Sie würden nicht gerne über Ihren Jahrgang reden. Fakt ist: Sie wurden relativ spät Mutter.
Das ist heute nicht mehr so spezi-ell. Heute kriegen viele mit Ende 30 noch ein Kind.

Verraten Sie uns eine Ihrer grössten Sehnsüchte.
Glücklich und zufrieden sein (lacht laut). Ich brauche noch etwas Zeit, um das alles zu verdauen. Immerhin wohne ich schon mal an einem ganz schönen Fleckchen.

Yves Schott

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