Er ist buchstäblich ein «Mietobjekt»: Der ehemalige Werber Robert Riesen sorgt seit elf Jahren als Störkoch für unvergessliche kulinarische Erlebnisse unter Freunden. Auch in der TV-Sendung «Mini Chuchi, dini Chuchi» von SRF 1 stellte er sein Können unter Beweis und ging als Sieger hervor.
Der blaue Overall ist sein äusseres Markenzeichen, wenn er am Kochen ist. So auch bei unserem Besuch an seinem Wirkungskreis im umgebauten Bauernhaus in Bolligen, wo er mit seiner Frau Sybille seit fünf Jahren wohnt. Bei der «Mise en place» und während des Kochvorgangs ist die Küche sein unangefochtenes Reich. «Bei der Räumung des Chaos’ komme ich zum Zug und der Koch verzieht sich», lacht Sybille. In dieser Rolle bekundet sie nach eigener Aussage aber keinerlei Mühe, wird sie doch mit den aufgetischten Speisen ihres Gatten jeweils reichlich belohnt!
Kartoffeln an Senfsauce von Muttern
Während Robert Riesen für uns die farbenfrohe «Norsk Fiskesuppe» (norwegische Fischsuppe) zubereitet, beantwortet er ebenso farbig unsere Fragen.
Die Gerüche in Mutters
Küche haben mich
nie losgelassen.Robert Riesen
Zum Kochen kam Klein-Robert schon mit etwa 13 Jahren und zwar durch den frühen Verlust seines Vaters. Seine Mutter war nun allein mit ihren vier schulpflichtigen Kindern. «Da mussten wir als Familie zusammenstehen», erinnert sich Robert Riesen. «Die Mutter arbeitete um drei Uhr morgens im Lager der Migros und kam gegen Mittag nach Hause.» Mit 15 Jahren kochte Robert schon selbstständig für die ganze Familie. Es war für ihn aber kein Muss, denn er fühlte sich in der Küche stets «sauwohl», wie er lachend erzählt. «Ich war als Pubertierender immer hungrig, und in der Küche war ich an der Quelle. Die Atmosphäre, die Wärme und die Gerüche der Küche haben mich bis heute nie losgelassen.» Seine Mutter sei eine hervorragende Köchin gewesen und damit sein Vorbild geworden. «Ich träume noch heute von ihren Kartoffeln an Senfsauce oder dem Osterfladen – bis heute unerreicht. Ich schaffe es nicht in dieser Qualität», schwärmt er.
Warum ist er trotz Kochbegeisterung nicht Koch geworden? Obwohl er daran Gefallen fand, verfallen ist er der Tätigkeit nicht. Ein Kollege machte ihm den Beruf des Buchdruckers schmackhaft (heute Druckausrüster EFZ). Nach einigen Schnuppertagen bekam er die Lehrstelle bei der damaligen Hallwag AG in der Lorraine. Der grosse Maschinensaal, die schönen Kunst-Bücher, die dort entstanden, imponierten dem 16-Jährigen gewaltig. «Auch heute rieche ich noch am Papier, wenn ich ein Buch öffne», schmunzelt er. Seine eigenen Bücher, die er verfasst, verraten durch die Gestaltung den Fachmann. Während seiner Hobbykoch-Karriere hätte er mehrmals ein Restaurant übernehmen können, er lehnte aber stets ab, «da ich sonst meine Leidenschaft verloren hätte. Heute koche ich, was mir schmeckt und arbeite für Menschen, die ich mag», so seine dezidierte Meinung.
Kochen für Boss
Der «Kick» zum Störkoch war wenig erfreulich: Martin Boss, ein enger Freund von Robert Riesen, erkrankte mit 43 Jahren an der tödlichen Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateral Sklerose). Ein heftiger Schock für ihn und dessen Lebenspartnerin Pedä Siegrist. «Trotzdem beschloss Tinu, die Zeit, die ihm noch bleiben wird, in vollen Zügen zu geniessen», blickt Robert zurück. Als Martin Boss auf den Rollstuhl angewiesen war, übernahm eine Gruppe von 17 engagierten Personen aus dessen Bekanntenkreis verschiedene Aufgaben. Robert Riesen widmete sich – wie könnte es anders sein – der kulinarische Betreuung. Manchmal sei es zugegangen «wie in einer Beiz», erzählt er. Robert kochte für zwei bis 20 und mehr Personen, oft auch unvorhergesehen. «Ich kaufte für vier Gäste ein, kam zu Tinu, der mich mit den Worten empfing: ‹Achtung, Programmänderung, heute sind wir zwölf›. Also kehrte ich um und kaufte erneut ein.» Es folgten drei sehr intensive, aber befriedigende Jahre.
Sehr oft wählen
die Kunden Rezepte aus meinen Büchern.Robert Riesen
«Tinu starb im Oktober 2014», erzählt Robert Riesen nachdenklich. Das war für den damals 65-Jährigen eine Zeitenwende. Er hängte die Werbung an den Nagel und widmete sich fortan seiner langjährigen Leidenschaft, dem Kochen. Er schrieb dann alle Rezepte auf, die er für seinen Freund gekocht hatte. Daraus entstand schliesslich in enger Zusammenarbeit mit der Grafikerin Pedä Siegrist sein erstes – inzwischen vergriffenes – Buch «Kochen für Boss – Wer stirbt schon gern mit leerem Magen». Die Hommage an einen guten Freund.
Das Jahr der Paella
Robert Riesen kocht im persönlichen, privaten Kreis für zwei bis 20 Personen oder im erweiterten Rahmen für 50 Gäste und mehr. Er bespricht mit den Kunden den Ablauf und das Menü mit höchstens fünf Gängen (im kleinen Kreis) und drei Gängen bei grösseren Gesellschaften. Den Einkauf besorgt er selbst, falls gewünscht zusammen mit dem Kunden. Die Speisen bereitet er in der Küche des Gastgebers zu, auf Wunsch, oder wenn notwendig, begleitet von einem Commis und/oder Servicekräften.
Die Kunden von Robert Riesen kommen hauptsächlich aus Bern und Umgebung. Durchschnittlich bestreitet er zwei Veranstaltungen pro Monat als Störkoch, allerdings unterschiedlich verteilt. «Ab Herbst habe ich meist Hochbetrieb. 2024 war zudem das Jahr der Paella. Bei Garten-Partys bereitete ich etwa zehn Paellas zu», so Robert Riesen. «Sehr oft wählen die Kunden Rezepte aus meinen Büchern», stellt er fest. Neben den «Stör-Einsätzen» bewältigt der Koch-Begeisterte Anlässe in Zusammenarbeit mit der Casa Lusitania oder gibt Kochkurse «für Kenner und Liebhaber, die ihren ausgeprägten oder manchmal unterdrückten kulinarischen Leidenschaften frönen möchten». Die Kurse finden in seinem Bauernhaus (bis vier Personen) oder in externen Spezial-Lokalitäten statt. Ein gewisses Basiswissen sei kein Nachteil «und man sollte schon mal einen Kochlöffel in den Händen gehalten haben», lächelt er verschmitzt.
Risotto und Schmorgerichte
Gibt es für den Störkoch auch Speisen, die er nicht mag? «Ich esse eben alles gern», so seine rasche Antwort. Bei Rosenkohl zeigt er sich allerdings etwas zurückhaltend, «aber ich weiss auch nicht warum!» Nicht widerstehen kann er einem Steinpilz-Risotto, einem knusprigen Schweinskrustenbraten oder einer kross gebratenen Schweinshaxe, verrät er. Was er aus ethischen Gründen nicht (mehr) isst und zubereitet, sind Froschschenkel und Gänseleber. «Das ist einfach nicht nötig», sagt er bestimmt.
Risottos jeder Art und Schmorgerichte wie Schweinebauch, Rinderbacken, Kalbs- und Rindshaxen bezeichnet Robert Riesen als seine Spezialitäten. Schmorgerichte seien zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten, weil sie eine lange Zubereitungszeit benötigten, begründet er seine Vorliebe für diese Speisen. Als profunder Kenner von Pilzen stehen im Herbst frische Pilzgerichte auf der Angebotsliste des Störkochs. «Ein schönes Pilzragout oder Steinpilzcarpaccio – fantastisch!», gerät er ins Schwärmen. «Ich liebe auch die japanische Küche mit Misosuppen, Maki, Nigiri usw. Daran habe ich mich noch nie gewagt, denn es ist eine Welt für sich, die von der Pike auf erlernt werden will», gesteht er. «Solche Spezialitäten esse ich gerne auswärts und überlasse die Zubereitung den Könnern und Kennern!»
Auf dem Siegerpodest
2015 und 2017 wirkte Robert Riesen als Gastgeber in der Vorabendsendung «Mini Beiz, dini Beiz» von SRF 1. Er präsentierte dabei die Gourmanderie Moléson in Bern und ging jeweils als Sieger hervor. 2022 mass er sich in der Nachfolgesendung «Mini Chuchi, dini Chuchi» eine Woche lang mit vier weiteren Teilnehmenden zum Thema Fisch. Mit seiner norwegischen Fischsuppe stieg er aufs Siegerpodest. Ein Jahr später beteiligte er sich beim Sommer-Spezial von «Mini Chuchi, dini Chuchi» – und räumte gleich wieder den ersten Preis ab.
Inzwischen ist die norwegische Fischsuppe für den BärnerBär vollendet und präsentiert sich dampfend und gluschtig im Teller, begleitet von knuspriger Baguette – köstlich. Wir werden still. Guten Appetit für einige blaue Stunden mit dem Mann im blauen Overall!
Fotos: Daniel Zaugg