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Velopionier Thömu Binggeli im grossen Interview

«Ich sehe mich eher als Macher denn als König»

Thömu Binggeli: «Es ist wahnsinnig schwer, Mobilität vorauszusagen.» Foto: zvg

Thömu Binggeli übernimmt das Velogeschäft der Migros. Was steckt dahinter? Wie sieht für den Berner Velo­pionier die Mobilität der Zukunft aus? Und welche Ziele hat er eigentlich noch?  

Thömu Binggeli, was steckt hinter der Überlegung, Bike World von der Migros zu übernehmen?
Wir sind ein innovationsgetriebenes KMU, ein Familienbetrieb, der eine eigene Marke führt und hier bei Bern unterschiedlichste Velos entwickelt und baut. Mit BikeWorld erhalten wir nun deutlich mehr Standorte und mehr Fläche, so können wir unsere Expansion in der Schweiz vorantreiben. Eine perfekte Ergänzung also.

Der Velomarkt ist seit der Pandemie gesättigt, die Nachfrage ging zurück. Gewisse Anbieter werfen zudem mit Schleuderpreisen um sich. 
Wir haben Respekt vor der Integration von Bike World, wir übernehmen rund 130 Mitarbeitende. Ich bin aber überzeugt, dass wir die beiden Kulturen zusammenführen können. Zudem werden wir die Läden umbauen. Die Leute sollen gerne zu uns kommen und sich wohlfühlen. Gleichzeitig werden wir im Preis-Leistungsverhältnis noch besser werden müssen. Neben Thömus werden wir auch andere Velomarken anbieten sowie Kleider und Zubehör. Aber ja, der Markt ist umkämpft, tendenziell stehen eher zu viel Velos zum Verkauf. Doch es zieht zum Glück bereits wieder etwas an. Das Potenzial ist vorhanden, Velofahren ist der zweitbeliebteste Sport in der Schweiz. 

Sie sprechen von Kultur – wie würden Sie die Ihrige beschreiben?
Wir probieren, im Denken sehr agil zu sein, wollen uns ständig erneuern und haben flache Hierarchien. Am Ende des Tages sind wir hemdsärmlige Chrampfer, die eine tolle Dienstleistung anbieten.

Die Tamedia-Zeitungen haben Sie kürzlich als neuen «Velokönig» betitelt. Einverstanden?
Das ist etwas für die Presse (lacht). Ich bin ein Bauernsohn und sehe mich eher als Macher denn als König. Ich bin mit Leib und Seele Veloentwickler und -produzent. Jeden Tag damit beschäftigt, Neues aufzubauen.

Wäre «Velopionier» passender? 
Ja, das ist besser. Veloförderer vielleicht auch. 

Selbst fahren Sie nie Auto?
Ich brauche es hie und da, wenn ich Ski fahren gehe oder die Kinder irgendwo hinbringe. Ich geniesse die enormen Freiheiten mit dem Velo. 

Wie gehen Sie als Unternehmer mit Rückschlägen um? 
Mein Glück ist, dass ich bereits mit 17 eingestiegen bin. In diesem Alter denkt man noch wenig darüber nach, was alles schieflaufen könnte. Seither habe ich viel gelernt, erreicht aber auch in den Sand gesetzt. Mit dieser Erfahrung und diesem Hintergrund übernehmen wir BikeWorld. Wobei mir eigentlich der Begriff «Integrieren» lieber ist. Jetzt wollen und müssen wir anpacken. 

Haben Sie sich in Bezug auf die Übernahme unternehmerisch ein konkretes Ziel gesetzt? 
Natürlich. Wir wollen uns als führende Schweizer Velomarke weiterentwickeln, zudem möchten wir unseren Kundinnen und Kunden guten Service und Beratung bieten, das Velo auf ihren Körper bauen oder anpassen. Eben echten Mehrwert gegenüber dem Onlinehandel, der uns für das Velo nur beschränkt geeignet scheint. 

Ein Velo ist komplex?
Absolut. Mit der sorgfältigen Beratung finden wir für alle das passende Velo. Weil wir ein grosses Lager haben, bauen wir für alle das Velo in kurzer Zeit massgeschneidert zusammen. 

Ist das Velo das Transportmittel der Zukunft? Oder war es das für Sie schon vor 20, 30 Jahren? 
Das Velo ist für mich das genialste Fortbewegungsmittel seit meinen Kindeszeiten. Das Velo öffnete mir die Tür zum Kindergarten, zur Schule, später dann für den Ausgang. Das Geniale an E-Bikes ist, dass sich dadurch die Radien enorm vergrössert haben und der Komfort gewachsen ist. Auch dass Jung und Alt – sportlich oder nicht – gemeinsam unterwegs sein können. Ich glaube fest daran, dass wir die Velokilometer enorm steigern können, indem wir die integrierte Mobilität fördern.

Das heisst?
Das Velo im Zug mitnehmen, im Postauto oder im Auto … ich war neulich am Geburtstag eines Freundes in Ascona. Von Oberried zum Bahnhof Bern hatte ich mit dem Velo etwa 13 Minuten, danach gings mit dem Zug in etwas mehr als eineinhalb Stunden nach Domodossola, dort lud ich mein Velo wieder aus und pedalte in rund einer Stunde durch das Centovalli nach Ascona. Eine abwechslungsreiche, weite Reise in weniger als drei Stunden. Solche Kombinationen haben enormes Potenzial.

Hinzu kommt die Umweltfreundlichkeit eines Velos.
Klar, Velos brauchen wenig Platz auf der Strasse und zum Parkieren und sie sind nachhaltig. Wir haben mit der Berner Fachhochschule ein System entwickelt, um die ausgedienten Akkus als Stromspeicher zu verwenden. Um ein Velo zu produzieren, wird auch weniger graue Energie benötigt als für ein Auto. Ich argumentiere aber eher zurückhaltend mit Stichworten wie Ressourcen und Kreislaufwirtschaft. 

Wie sieht denn Ihre Vision einer Mobilität der Zukunft aus?
Es ist wahnsinnig schwierig, Mobilität vorauszusagen. Das bestätigen mir jeweils etwa das Bundesamt für Stras­sen oder die SBB, wenn ich mich mit ihnen austausche. Die visionären Mobilitätswürfe zu skizzieren, ist wirklich ambitioniert und mit viel Unsicherheit verbunden. Ich persönlich rechne mit selbstfahrenden Autos, dass sich Menschen zum Beispiel nach Zürich fahren lassen, ohne selber am Steuer zu sitzen. Und natürlich bin ich überzeugt von der Zukunft des Velos. Weil es enorm effizient, platzsparend und gesund ist. Schon nur 20 Minuten an der frischen Luft reichen, um die Hirnhälften zu aktivieren. Gerade um den Verkehr in städtischen Gebieten zu bewältigen, benötigt es in Zukunft viel mehr Veloinfrastrukturen.

Nach dem getätigten grossen Wurf – was kommt als Nächstes?
Wir möchten beim Velo Innovationsleader sein. Wir sind ein führendes Land der Veloentwickler. Thömus arbeitet etwa zusammen mit der ETH, der Berner Fachhochschule und zahlreichen anderen KMU, die in Technologie führend sind und so viel zu bieten haben

Zusammenfassend gesagt: Wenn das Velo Menschen zusammenbringt, dann ist Thömu Binggeli glücklich? 
Ich möchte mit unserem Engagement für das Velo einen kleinen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das würde mich mit Stolz und Freude erfüllen. 

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